Anfang Januar dreht sich im Tiroler Pillerseetal drei Wochen lang alles um Huskys, Samojeden & Co. Beim größten Schlittenhundetreffen im Alpenraum können auch Musher-Novizen viel lernen. Dazu zählen vor allem rasante Ausfahrten durch die verschneite Berglandschaft – und zum Heulen schöne Camp-Momente.
Auf dem schneebedeckten Wiesengelände hinter dem Dorfplatz von St. Ulrich herrscht tierisch-lebhafte Stimmung. Hier ein paar herumtollende Huskys in einem per Minizaun abgesteckten Hundespielplatz neben einem Wohnwagen, dort ein paar Kläffer auf der Ladefläche eines Pick-ups, woanders auf der Rückbank eines umgebauten Geländewagens. Überall heult und bellt, hechelt und wuselt es. Zwischen den insgesamt rund 200 bis 300 Hunden sitzen dick eingepackte Männer und Frauen auf Klappstühlen und grüßen freundlich, wenn man vorbeischlendert. Manche kochen Kaffee auf Gaskochern, andere unterhalten sich angeregt. Durch den hier und dort gelb gefleckten Schnee kommen einem auch einige Leute entgegen, die meisten mit Hunden an der Leine, ein paar mit Einkaufstüten. Willkommen im temporären Schlittenhunde-Camp von St. Ulrich am Pillersee! Wären da nicht Zwiebelturm und Alpenbarockhäuschen würde man sich in Alaska wähnen. Aber wir sind mitten in Tirol.
Hier im Pillerseetal, das für seine Biathlonweltcups und das mit mehr als 30 Meter Höhe weltgrößte begehbare Gipfelkreuz bekannt ist, kommen jeden Januar aus ganz Europa mehr als 1.000 Huskys und deren Halter zum größten Schlittenhund-Camp im Alpenraum zusammen. Nicht alle gleichzeitig, sondern über drei Wochen verteilt. Nur Hartgesottene bleiben die gesamte Dauer und bereiten ihre Gespanne – 2018 waren 124 gemeldet – auf den weitläufigen Strecken rund um den Pillersee für die Rennen am letzten Wochenende vor.
Ein extra Fahrzeug für die Hunde
Eddy Nutz, der das Camp vor 23 Jahren gegründet hat und immer noch als Renn- und Campleiter fungiert, nimmt, wie auch Organisationschef Mario Horngacher, nicht aktiv daran teil. Erst recht nicht an denen zur holländischen, bayerischen und neuerdings auch österreichischen Meisterschaft. Das überlässt er anderen. Mario Loibl zum Beispiel, der auch schon seit Jahren mit seiner Partnerin Melanie ins beschauliche Pillerseetal kommt. Auch diesmal sind sie wieder dabei und haben sich zwischen ihren beiden Fahrzeugen eingerichtet. In einem schlafen die Menschen, in dem anderem die neun Schlittenhunde, untergebracht in raffiniert verschachtelten Käfigen. Tagsüber freilich sind die Hunde draußen im Schnee, in einem mit einem kleinen Zaun abgetrennten Bereich, oder unterwegs im Gelände, zu Trainingszwecken. Das Besondere: Mario fungiert ja zudem als Mentor für Musher-Kurse, wo sich zu bestimmten Terminen interessierte Tierfreunde Einblick in die ganz eigene Welt der Schlittenhunde und ihrer Lenker verschaffen können.
Normal ist das vom Tourismusverein angebotene Programm auf drei Tage angelegt und beinhaltet auch Iglu-bauen, Lagerfeuerromantik und andere Aktivitäten. Wir bekommen den Expresskurs an einem Tag. Und eine Konzentration auf das Thema Hund. Da geht es erstmal los mit Kennenlernen (Mensch-Mensch, Mensch-Tier) und Schlittenhundetheorie. Diesbezüglich hat der 39-Jährige einiges zu erzählen. Etwa über die vielen Rassen, die existieren. Von wegen alles blauäugige Huskys. Seine Schützlinge etwa sind überwiegend Sibirian Huskys, die sich durch braune Augen, schlankere Körper und größere Schnelligkeit auszeichnen. Mario bezeichnet die Rasse als „den Mercedes unter den Schlittenhunden" und grinst. „Die Ferraris hingegen sind Hounds, eine Mischung aus Wind- und Jagdhund." Beispiel gefällig? „Da drüben tollen gerade ein paar im Schnee." Aha, den Vierbeinern mit den auffälligen Schlappohren hätte man ihr Können nicht unbedingt zugetraut.
Dann erzählt Mario über Charakter und Verhaltensweisen der Tiere. „Es gibt in jedem Rudel eine bestimmte Rangordnung, inklusive Chef. Die Jüngeren respektieren das." Gut zu wissen, da es bei der Erziehung genau darum geht: Dass der Musher als Chef anerkannt wird. Wie lautet schließlich doch gleich ein Sprichwort: „Trainierst du die Hunde nicht richtig, trainieren sie dich – aber richtig!" Schnell wird klar, wie aufwendig das Halten von Schlittenhunden ist. „Pflege, Training, Schmusen – unser Hobby beansprucht uns ungefähr den halben Tag. Pro Tag!"
Marios Nachbarin Sisi, selbst schon seit Jahren Dauergast im Camp, bestätigt, dass das Mushing weitaus komplizierter und anstrengender ist, als es mitunter in idyllischen, schneereichen TV-Dokumentationen rüberkommt. „Auf den Schlittenkufen zu stehen, bedeutet harte Arbeit. Das ist kein Spaziergang, das ist echter Sport", so Sisi. Folgerichtig musste sich die körperlich nicht gerade hochgewachsene Frau, der man ihre 59 Jahre nicht ansieht, auch erst einige Kraft antrainieren. Doch für ihr Credo „Geschwindigkeit ist das Ziel" war das unabdingbar. Ihr Partner Andreas, der bis vor einigen Jahren Touren fuhr, verfolgte ein anderes Motto: „Der Weg ist das Ziel."
Beide Füße auf dem Bremsteppich
Das gilt auch für die Freizeit-Musher. Da geht es ums Reinschnuppern, das Erfolgsgefühl, überhaupt auf dem Schlitten zu bleiben, ohne runterzurutschen. Bei einer Platzrunde am verschneiten Trainingsplatz kann das jeder aus der Gruppe mal erleben und zu Mario hintendrauf auf den Schlitten. Wer will, darf dann auch mal alleine ran und selbst die Zügel in der Hand halten. Fühlt sich gut an, aber eher wie ein netter Appetitanreger. Kurz: Ich will mehr.
Für die größere Runde braucht es aber auch eine größere Einweisung. Die bekomme ich. Mario zeigt mir Schlitten, Kufen, Seile, Panikleine. Dann die Kommandos „Gee" – sprich: tschi – für „rechts" und „Haw" – ho – für links. „Go" und „Stop" erklären sich von selbst. Dann erklärt er das Setting. „Ich führe das Gespann bis zum Startplatz und wechsle dann auf ein Ski-Doo. Mit dem fahre ich immer rund 30 Meter vor euch auf dem Trail voraus." Und ich mit dem aus den Hunden Spirit, Chester und Samu bestehenden Dreiergespann hinterher.
Kaum im Schlitten eingespannt, sind Spirit, mein Leithund, und seine „Kollegen" nur noch schwer zu bändigen. Die Ankerkralle, eine Art Handbremse, ist bereits gelöst. Nun heißt es, mit beiden Füßen auf dem Bremsteppich zu bleiben, um den Schlitten zu stoppen. Nur kurz, denn als der Ski-Doo mit Mario losfährt, gibt es kein Halten mehr: schnell die Füße auf die Kufen, denn die Huskys sausen wie vom Donner gerührt los. Klar, die Hunde flitzen ihrem Herrchen hinterher, denk ich. Doch gerade, als ich in einen passiven Fahrgeschäftmodus zu verfallen drohe, wird mir klar, dass ich die Zügel mehr in die Hand nehmen muss. An einer Abzweigung fährt der Ski-Doo nämlich nach rechts, ich aber geradeaus weiter. War mein „Gee" zu zaghaft? Offenbar. „Du musst die Kommandos deutlicher geben", schimpft Mario, als er zu mir umkehrt und hilft, das Gespann knotenfrei wieder auf Kurs zu bringen.
Am Schluss stehen Musher-Taufe und Diplomverleihung
Ein wichtiger Weckruf. Denn ab jetzt bin ich mit höchster Konzentration dabei, versuche ständig, den Kontakt zu den Hunden zu halten. Lobe, dirigiere, verbreite Chefstimmung. Gut so, denn der durch herrliche Wald- und Schneewiesenlandschaft führende Trail geht mal rauf, mal runter, mal nach links und mal nach rechts. Kein Vergleich zur flachen Trainingsrunde mit seinen vorgezeichneten Spurrinnen. Ich muss mich richtig in die Kurven legen. Einmal gerate ich fast aus der Bahn und in eine Schneeanhöhe. Akute Umkippgefahr! Gerade noch kann ich gegensteuern. Ein anderes Mal, wo die Hunde mit Tempo hügelaufwärts hecheln, will ich mitanschieben – im Fachjargon: pedalen. Doch, oh Schreck: Als ich beherzt in den Boden treten will, versinkt mein Schuh im unerwartet tiefen Schnee. Schon wieder so ein Wackelmoment. Der nächste kündigt sich drei Kurven später an, als es wieder runtergeht. Der Tacho an der Lenkstange zeigt 25 Stundenkilometer an. Fühlt sich schneller an. Und der Weg ganz schön schmal. Vorausschauendes Lenken ist Gold wert. Ich slide wie ein Weltmeister, was mir Freudentränen in die Augen treibt. Dann kreuzen wir eine Loipe – uff, kein Verkehr! –, dann den Bach, und da vorne ist auch schon das Ziel in Sicht, als das Dreiergespann von der plattgetrampelten Route abweichen will und in den Tiefschnee abdriftet. Ein Fall für die Bremsmatte – nicht die Kralle. Wir kommen zum Stehen, die Hunde wälzen sich im Schnee. Zum Glück kann ich – oder ist es Mario? – das Trio nochmal für die letzten Meter motivieren. Mit strahlendem Gesicht respektive hechelnder Zunge passieren wir das Ziel und kommen zum Stehen. Der Tacho sagt: Für die rund zweieinhalb Kilometer durch den Wald und Wiesen haben wir rund elf Minuten gebraucht. Mario sagt: „Profis schaffen die Runde in sechs."
Egal, ich bin extrem beschwingt und will noch viel mehr (er-)fahren. Marios Tipp: „Schau einfach heute Abend noch mal vorbei. Am Lagerfeuer kommen immer die besten Geschichten zur Sprache." Und Camp-Urgestein Eddy findet: „Am Kursende stehen Musher-Taufe und Diplomverleihung. Aber in Wahrheit ist es die einmalige Beziehung zwischen Mensch, Hund und Natur, die bei den Teilnehmern zählt und es zu einem unvergesslichen Erlebnis macht."