Am 15. Dezember startet die neue Saison in der Formel E. Im fünften Jahr ihres Bestehens wartet die Elektro-Rennserie gleich mit mehreren spektakulären Neuerungen auf – und wird für Hersteller, Fahrer und Fans immer attraktiver.
So ganz hatten es viele wahrscheinlich nicht geglaubt, als Formel-E-Chef Alejandro Agag im Sommer ankündigte, der neue Rennmodus der Elektro-Rennserie würde sich am Videospiel „Mario Kart" orientieren. Und als die Marketingabteilung der Formel E bald darauf ein Video zum 26. Geburtstag des Spieleklassikers veröffentlichte, fühlten sich die Skeptiker erst recht bestätigt. Der kurze Clip zeigte auf, was passieren würde, wenn die speziellen Funktionen von „Mario Kart" auch in der Realität zur Verfügung stünden und die Fahrer beispielsweise Bananenschalen auf der Strecke platzieren könnten, um die nachfolgenden Fahrer von der Strecke rutschen zu lassen. So etwas konnte doch gar nicht ernst gemeint sein.
Wenn die Formel E am 15. Dezember mit dem Rennen in Riad (Saudi-Arabien) in ihre inzwischen fünfte Saison startet, dann wird es selbstverständlich keine Bananenschalen geben, keine Bomben und keinen Unsterblichkeits-Stern. Trotzdem hat Alejandro Agag mit seiner Ankündigung recht behalten, dass sich vor allem die Fernsehzuschauer bei den Rennübertragungen künftig wie bei einer Partie „Mario Kart" fühlen werden.
Während des Rennens kurzzeitig mehr Leistung
Als neue Besonderheit hat die Formel E in dieser Saison nämlich den sogenannten Angriffsmodus (Attack Mode) eingeführt – ein neues strategisches Element, das die Spannung noch erhöhen soll. Dabei steht einem Fahrer während des Rennens kurzzeitig mehr Leistung zur Verfügung, um andere Autos zu überholen oder seine Position zu verteidigen: 225 kW (306 PS) statt wie sonst 200 kW (272 PS). Jeder Fahrer ist laut Reglement verpflichtet, den Angriffsmodus im Rennen zu nutzen; wie oft und wie lange er verwendet werden darf, wird erst kurzfristig vor jedem Rennen festgelegt. Die Besonderheit: Um den Modus zu aktivieren, muss zuvor eine bestimmte Zone auf der Strecke abseits der Ideallinie befahren werden. Das kostet zwar Zeit, bringt aber eben auch zusätzliche Energie. Der kürzeste Weg ist in der Formel E also künftig nicht unbedingt der schnellste. Damit die Zuschauer vor dem Fernseher all das besser mitbekommen, werden spezielle Grafiken eingeführt: Die Aktivierungszone wird mit farbigen Streifen markiert; zudem leuchten auch am Wagen bestimmte Lichter auf, wenn der Fahrer das Energieplus einsetzt. Eben wie auf der Konsole.
Die Formel E war immer schon für ihre Innovationskraft bekannt. Serienboss Alejandro Agag meint: „Die Formel E ist einen neuen Weg gegangen, als sie sich als erste für elektrische Rennwagen entschieden hat. Wir scheuen uns also eindeutig nicht davor, Neues auszuprobieren. Ob es sich nun um neue Innovationen auf der Strecke oder die Änderung des Rennformats handelt oder um neue Arten für Fans, den Sport zu verfolgen oder mit ihm zu interagieren."
Die größte Änderung in diesem Jahr betrifft jedoch die Rennwagen selbst. Seit dieser Saison wird mit den sogenannten „Gen2"-Autos gefahren. Diese zweite Generation ist deutlich leistungsstärker als die vorherige. Sie kann schneller beschleunigen – in den Tests benötigte sie gerade einmal 2,84 Sekunden von 0 auf 100 km/h gegenüber 3,05 Sekunden beim Vorgänger. Zudem erreicht sie eine höhere Maximalgeschwindigkeit – 280 statt wie bisher 225 Stundenkilometer. Vor allem aber liegt die Kapazität der Batterie deutlich höher, sodass der bislang notwendige Fahrzeugwechsel während des Rennens künftig entfällt. Auch das Design des Rennautos hat sich verändert und unterscheidet sich deutlich von anderen Rennserien, unter anderem durch den fehlenden Heckflügel. Daniel Abt vom deutschen Rennstall Audi Sport ABT Schaeffler, der in der vergangenen Saison als erster und bislang einziger Deutscher gleich zwei Formel-E-Rennen gewinnen konnte (in Mexiko-Stadt und in Berlin), wusste nach der Präsentation des neuen Boliden gleich, woran ihn das Auto erinnert: „Es sieht aus wie das Batmobil aus den Batman-Filmen."
280 statt wie bisher 225 Stundenkilometer
In der abgelaufenen Saison hatte das Audi-Team mit Abt und dem Brasilianer Lucas di Grassi, einem ehemaligen Formel-1-Piloten, hauchdünn vor dem chinesischen Rennstall Techeetah die Teamwertung gewonnen. Techeetah-Fahrer Jean-Eric Vergne (Frankreich) holte sich dafür den Titel in der Einzelwertung. Beide Teams zählen auch in dieser Saison wieder zu den Favoriten, Außenseiterchancen werden zudem den Indern von Mahindra Racing zugerechnet. Überraschend stark präsentierte sich in den Testfahrten in Valencia (Spanien) das Team von BMW i Andretti Motorsport, das erst seit dieser Saison ganz offiziell als BMW-Werksteam an den Start geht. Im vergangenen Jahr war Andretti mit unterlegenem Material noch Letzter geworden, doch nun gilt der Rennstall dank Unterstützung aus München auf einmal als Geheimfavorit. „Die Tests in Valencia haben gezeigt, dass wir ein ordentliches Paket entwickelt haben. Aber jeder weiß, dass in den Tests noch nicht alle Karten auf den Tisch gelegt werden. Trotzdem sind wir zuversichtlich, dass wir konkurrenzfähig sind. Ob wir im ersten Jahr auch schon siegfähig sind, wird sich zeigen", sagt BMW-Motorsportchef Jens Marquardt.
Überhaupt ist die Zahl der Hersteller, die sich in der Serie engagieren, stetig gewachsen. Zur Saison 2018/19 ist neben BMW auch Nissan neu dazu gestoßen, im nächsten Jahr folgen Mercedes-Benz und Porsche. „Die Formel E hat sich ihren Platz in der Motorsportwelt erarbeitet. Für mich stehen alle Signale auf Grün", so Marquardt. Aus Herstellersicht biete die Rennserie die ideale Plattform, um den Leuten zu zeigen, wie aufregend das Thema Elektromobilität sein kann. Marquardt sagt: „Wir wollen zeigen, dass diese Technologie inzwischen ausgereift ist und richtig Spaß machen kann."
Mit Felipe Massa ist ein weiterer großer Name dazugekommen
Dazu trägt auch die prominente Besetzung des Fahrerfeldes bei. Mit Felipe Massa ist ein weiterer großer Name dazugekommen – der Brasilianer, Formel-1-Vizeweltmeister 2008 und langjährigwer Kollege von Michael Schumacher bei Ferrari, fährt in der Formel E künftig für das monegassische Team Venturi. Teamchefin Susie Wolff, übrigens die einzige Frau in dieser Position, sagt: „Es ist sehr wichtig, dass wir Fahrer haben, die weltweit bekannt sind. Felipe hat zwar noch nicht ein Rennen für uns absolviert, doch die Aufmerksamkeit um seine Person ist schon jetzt enorm." Auch Ex-Sauber-Pilot Pascal Wehrlein ist neu dabei und sitzt nun im Cockpit von Mahindra – allerdings erst im zweiten Rennen Anfang Januar in Marrakesch (Marokko). Er meint sogar: „Ich denke, die Formel E hat vielleicht das stärkste Fahrerfeld im gesamten Motorsport." Neben ihm und Daniel Abt sind mit André Lotterer (Techeetah) und Neuling Maximilian Günther (Dragon Racing) noch zwei weitere deutsche Fahrer vertreten.
Fahrerisch ist die Formel E auch für erfahrene Piloten eine Herausforderung. Sie müssen nicht nur Gas geben, bremsen und lenken, sondern vor allem mit der Energie haushalten, damit ihnen das Auto nicht vor dem Ziel liegen bleibt. Dafür stehen den Fahrern verschiedene Energierückgewinnungssysteme zur Verfügung – so wird beispielsweise beim Bremsen an der Vorderachse kinetische in elektrische Energie umgewandelt, die direkt wieder zur Verfügung steht, die sogenannte Rekuperation. Eine weitere Schwierigkeit sind die engen Stadtkurse, auf denen gefahren wird. Von Anfang an ist die Formel E in die Innenstädte gegangen, meist auf öffentliche Straßen oder wie beim Rennen in Berlin auf den ehemaligen Zentralflughafen Tempelhof. „Wir bringen den Motorsport zu den Menschen", sagt Susie Wolff. Damit spricht die Elektrorennserie eine ganz andere Klientel an als beispielsweise die Formel 1 oder die DTM. Mit Einführung der Jaguar I-Pace eTrophy gibt es ab dieser Saison auch ein weiteres Rennformat im Rahmenprogramm.
Das Formel-E-Rennen in Berlin findet am 25. Mai 2019 übrigens parallel zum Formel-1-Klassiker in Monaco statt. Überhaupt kommt es in der zweiten Saisonhälfte gleich zu sechs Überschneidungen mit der Formel 1, sie überlappt sich komplett mit der Königsklasse. Es scheint, als befände sich die Formel E auch in dieser Hinsicht neuerdings im Angriffsmodus.