Die Städtische Galerie in Neunkirchen zeigt in einer exquisiten Ausstellung „Brennpunkt Keramik" zeitgenössische Keramikunikate aus der „Sammlung Hannelore Seiffert".
Sinnlich, verführerisch und zuweilen auch schelmisch anmutend, beglücken derzeit über 100 Keramik-Exponate die Besucher der Städtischen Galerie in Neunkirchen. Wer bislang glaubte, dass Keramik sich in den Ergebnissen töpfernder Selbsthilfekurse erschöpft, wird in dieser Ausstellung eines Besseren belehrt. Vornehmlich figurative Stücke und abstrakte Objekte hat die Leiterin der Städtischen Galerie Nicole Nix-Hauck gemeinsam mit der saarländischen Sammlerin Hannelore Seiffert für diese exzellente Präsentation ausgewählt. Und die Auswahl fiel beiden ganz schön schwer, angesichts der Seiffertschen Privatsammlung, die rund 1.200 Stücke von mehr als 400 national und international renommierten Keramikkünstlern umfasst.
Das Besondere dieser Sammlung: Sie ist konsequent auf zeitgenössische Unikatkeramik ausgerichtet. Seiffert sammelt nichts Historisches, nur „zeitgenössisches mit spezieller Delikatesse oder mit besonderem Witz. Auf jeden Fall originell in der Idee und meisterlich in der Ausführung." Die meisten Künstler kennt sie persönlich, pflegt freundschaftliche Kontakte bis nach China oder in die USA. Zu jedem Stück, jeder Vase oder Wandarbeit gibt es eine persönliche Geschichte, den Künstler oder die besonderen Umstände des Erwerbs betreffend. Spricht Hannelore Seiffert über Ton, Porzellan, Glasur oder Biskuitoberfläche, dann leuchten ihre Augen und sie vermag die Leidenschaft, die sie ihrer „Parallelwelt" – wie sie alles, was mit Keramik zu tun hat, selbst augenzwinkernd benennt – entgegenbringt, im Gespräch auch auf ihre Mitmenschen zu übertragen. Seiffert ist jedoch nicht nur eine leidenschaftliche Sammlerin, sondern auch selbst als Keramikerin tätig. Daher vermag sie künstlerische Techniken und Raffinessen der Werke ihrer Sammlung nicht nur ästhetisch, sondern auch fachlich zu beurteilen.
Die Initialzündung für ihre Obsession begann 1992 als sie bei einer Ausstellung im Saarbrücker Schloss auf keramische Arbeiten der saarländischen Künstlerin Heidrun Kley Baltes traf. Seiffert war derart beeindruckt, dass sie selbst keramisch arbeiten wollte und Kurse bei Kley Baltes in Dillingen belegte, gefolgt von Workshops bei Maria Geszler-Garzuly, Petra Bittl und anderen international bekannten Keramikern. Über das eigene keramische Arbeiten hinaus entwickelte sie recht schnell den Blick für das besondere Objekt.
Mitte der 90er-Jahre beginnt dann auch Seifferts Sammelleidenschaft. Auf der Ambiente-Messe in Frankfurt erwirbt Seiffert erstmals eine vierteilige Wandarbeit mit filigranen Porzellannadeln von Petra Bittl mit dem Titel „Kleine Beete", die in der Neunkircher Schau natürlich nicht fehlen darf. Zu den mittlerweile 80 Stücken von Bittl in der Seiffertschen Sammlung zählt auch das 2014 erworbene „Häkelobjekt" aus rot-brauner Terrakotta, das eine gänzlich andere haptische Oberflächenanmutung verströmt als die „Wandkästchen".
Überhaupt ist das große Thema dieser Schau die Oberfläche und ihr sinnliches Potenzial. Es fällt schwer, die unterschiedlichen Oberflächen mit ihren visuellen Reizen nicht auch haptisch erfahren zu dürfen. Wie gern würde man einfach mal die Oberfläche berühren wollen. Dazu zählt zum Beispiel die zweiteilige, grünliche Seladonplastik von Jean-François Fouilhoux, die sich wie cremige Wellen erhebt. Das ursprünglich in China hergestellte Steinzeug – und nach seiner seladongrünen Glasur benannt – entsteht durch einen reduzierenden Brennvorgang im Gasofen. Was sich simpel anhört, beschäftigt Fouilhoux seit Jahren. Er ist immer noch auf der Suche nach seiner perfekten Seladonglasur und nummeriert jedes Werk mit Angaben zu Materialveränderungen und unterschiedlichen Brenngraden. Auch die mit wasserbläulicher und gefühlt dickflüssiger Seladonglasur überzogenen Arbeiten von Masamichi Yoshikawa sprechen mit ihren sinnlichen Oberflächen an.
Oberflächen von Sinnlichkeit
Ganz anders hingegen der Japaner Satoru Hoshino mit seiner bezaubernden Schwarzbrand-Vase. Seit im Jahr 1986 ein Erdrutsch sein Atelier zerstörte, tritt er mit dem Material in einen neuen Dialog. Seine im Ton zurückbleibenden Daumenabdrücke versteht er nicht nur als Abbild des aktiven Künstlers gegenüber dem passiven Material, sondern sie sind ihm zugleich eine visuelle, empathische Verschmelzung mit der Natur.
Zu den herausragenden abstrakten Stücken der Ausstellung gehören Paula Bastiaansens Porzellanspirale, die aus in Streifen geschnittenem Porzellan – einem Schnittmuster gleich – zu einer „Schneewolke" emporsteigt, sowie Ursula Commandeurs „Virus", der weiße Porzellanröhrchen mit einem Drahtgespinst wie ein Korallenskelett erscheinen lässt. Die Präsentation der beiden Objekte vor blauem Grund – im Gegensatz zum übrigen „White Cube" – weist ihnen einen besonderen Rang innerhalb der Ausstellung zu.
Bei den figurativen Stücken dominiert die Ungarin Maria Geszler-Garzuly die Neunkircher Schau mit insgesamt zehn Arbeiten, darunter sechs „Marias". Der Torso „Steinernes Herz" ist – wie auch alle übrigen „Marias" – ein Selbstbildnis der Künstlerin mit architektonischer Kopfbedeckung und keramischem Siebdruck, den Geszler-Garzuly zu einem mittlerweile weltweit angewandten Verfahren entwickelte.
Wie Geszler-Garzuly ist auch Seiffert seit 2007 Mitglied in der Internationalen Akademie für Keramik in Genf (AIC/ICA). Was sich unspektakulär anhört, gleicht jedoch einem Ritterschlag, denn Seiffert ist bislang als einzige deutsche Sammlerin in diesen erlesenen Kreis aufgenommen worden. Bei AIC-Symposien in Xian, Paris, Santa Fe oder Dublin erweiterte Seiffert sowohl ihre Kontakte in die internationale Szene als auch zugleich ihre eigene Sammlung. 2014 entdeckte Hannelore Seiffert während einer AIC-Tagung in Dublin, und einem Ausflug ins benachbarte Kilkenny, Sergei Isupovs skurrilen Kopf mit der Bemalung „Lecture in Art" und verliebte sich sofort in dieses surreale Stück. Da Isupov in Kilkenny auch selbst Workshops durchführte, hatte Seiffert nicht nur Gelegenheit den russischen, heute in den USA lebenden Künstler persönlich kennenzulernen, sondern das Stück auch sofort zu erwerben. In der Neunkircher Ausstellung kann es der Besucher umrunden, beginnend beim Boxerpaar, das sich Auge in Auge gegenübersteht, bis hin zum Kunstunterricht mit Aktzeichnen am Hinterkopf.
Ebenso skurril sind zwei weitere Köpfe mit ungewöhnlicher Oberfläche. Ein von Ute Naue-Müller (früher Grossmann) aus bemaltem Steinzeug mit drahtigem Haargespinst und Schnurrbart geschaffener „Don Quichotte", der eine schelmische Reminiszenz an Salvador Dalí zu sein scheint und Angela Klärner-Clarks Kopf mit dem Titel „Katalysator", der wie ein Alien aus einer fernen Galaxie wirkt. Das Geniale beim Werk „Katalysator": Der Titel meint schlicht das Dargestellte. Die gebürtige Thüringerin und heute in Philadelphia lebende Klärner-Clark hat einen handelsüblichen Katalysator – früher tatsächlich ein beschichteter Wabenkörper aus Keramik – mit seiner Struktur aus dünnwandigen Kanälen als Rohling benutzt und ihm durch schräges Ausfräsen sein galaktisches Äußeres gegeben.
Vom spanischen Superstar Rafa Perez fasziniert eine schwarz-weiße „Keramik-Spirale" aus Bläh-Ton. Was macht die Arbeit des Spaniers neben ihrer reizvollen Haptik so besonders? Er hat ein Tongemisch, den Bläh-Ton, erfunden, der entgegen der sonst üblichen chemischen Prozesse beim Brand nicht schrumpft, sondern sich aufbläht.
Befragt nach ihren Lieblingsstücken in der Sammlung bleibt Seiffert eine Antwort schuldig. Alle Arbeiten sind ihr ans Herz gewachsen, sie will keine bevorzugen oder einen Künstler hervorheben. Aber dann fügt sie als leidenschaftliche Sammlerin doch lächelnd hinzu: „Das schönste Stück der Sammlung ist immer das nächste!"