Spirituosen voller Aromen und intensiv im Geschmack stammen aus einer Destillerie, die sich in einem Marzahner Gewerbepark versteckt hat. Die Deutsche Spirituosen Manufaktur setzt ausschließlich auf Handarbeit. Das Ergebnis: Brände der edelsten Kategorie.
Haben Sie schon einmal einen so intensiven Geruch in der Nase gehabt, dass Sie glaubten, mitten in einem Erdbeerfeld zu stehen? Oder gerade vor einem Marktstand mit Zitronen? Tim Müller sprüht aus einem Flakon immer wieder einen Spritzer klare Flüssigkeit in ein Glas und reicht es zum Riechen: Haselnuss, Spargel, Koriander, Blutorange, Steinpilz – die Nase taumelt von Geruch zu Geruch. „Und hier Rote Bete", sagt er. „Das riecht genauso wie die Knollen bei meiner Oma im Garten gerochen haben, ein bisschen nach Erde."
Eigentlich handelt es sich bei den Geruchsproben um „Schnaps", aber ein so derbes Wort wird dem nicht gerecht, was Tim Müller und sein Partner Konrad Horn in der Deutschen Spirituosen Manufaktur (DSM) produzieren. Derart geruchsintensive Spirituosen erhält man nur durch besonders sorgfältige Destillation, und genau auf die hat sich die DSM spezialisiert: auf Brände und Geiste, die zu 100 Prozent in Handarbeit hergestellt werden – ohne Zusatz von Zucker oder Aromastoffen. „Von der Verarbeitung der Rohstoffe über das Mazerisieren und Maischen bis zur Destillation und zur Verpackung – alles geschieht per Hand", sagt Müller. So saß vor Kurzem die ganze Belegschaft mit Küchenmessern um den Tisch, um das Weiße an der Innenhaut von Mandarinen herauszupulen. „Die machen das Endprodukt nämlich bitter", erklärt er. Alle machten mit – die ganze Belegschaft: ein gelernter Destillateur, ein Auszubildender, eine Markenbotschafterin und die Einkäuferin.
Tim Müller ist der Geschäftsführer. Konrad Horn, promovierter Pharmazeut, der Tüftler. Beide haben mit ihrer Spirituosen-Manufaktur im Oktober 2018ein ehrgeiziges Projekt an den Start gebracht. Sie sind Newcomer auf dem Markt der Edelbrände. Ein halbes Jahr haben sie experimentiert, über 500 Versuchsreihen mit allen möglichen Rohstoffen angelegt – und vieles wieder verworfen. Tim Müller: „Wir wollten etwas produzieren, was es noch nicht gibt." Er ist der kreative Kopf der Firma, war zehn Jahre lang Fotograf, hat Betriebswirtschaft studiert und lange in Südafrika gearbeitet. Dort kam er auch mit seinem Partner Konrad Horn zusammen. „Und vom Wein am Kap kamen wir auf den Brandy und vom Brandy auf die Idee, selbst Spirituosen herzustellen."
Handverlesene Zutaten, biologisch angebaut
Sie legten von Anfang an äußersten Wert auf beste Zutaten. Jeder Rohstoff ist handverlesen. Bei einheimischen Pflanzen arbeiten sie mit Demeter- oder Bio-zertifizierten Betrieben zusammen. Bei Rohstoffen wie Muskat oder Zitronengras lassen sie über Zwischenhändler die ausländischen Erzeuger in Thailand oder im Oman testen. Alles wird frisch verarbeitet, und so kann es vorkommen, dass eine Charge Himbeeren in einer Saison je nach Witterung in der Wachstumszeit anders schmeckt als in der nächsten. „So entstehen Jahrgangsbrände – wie beim Wein", schmunzelt Müller.
Zusammen haben sie über eine Million Euro investiert. „Aber dafür sind wir unabhängig und haben keine Bank im Nacken sitzen", sagt der Geschäftsführer. Das Brennen passiert in den wohl besten kupfernen Destillierapparaten, die derzeit in Betrieb sind. „Wir haben sie von einer Firma am Bodensee speziell für uns anfertigen lassen", erklärt Müller. „Die produzieren die ‚Jaguars‘ unter den Destillationsapparaten." Tischler und Schlosser haben die Regale und Tische eingepasst, die Spirituosen werden in Apothekerflaschen abgefüllt, die Etiketten sind nummeriert und handsigniert.
Die Firma hat sich in einer hohen Halle mit großen Fenstern im Gewerbepark Georg Knorr an der Grenze von Marzahn zu Lichtenhagen eingemietet, für manche ein Ort am Ende der Welt. „Aber mit der S-Bahn sind Sie in 25 Minuten am Alex", widerspricht Müller. „Und von Prenzlauer Berg bis hierhin brauche ich nur 20 Minuten." Außerdem hat der Standort noch einen Vorteil: „Wir können die Rückwand herausnehmen und unsere Fläche erweitern." Genug Platz für Verkostungen (mit Menü) und Workshops, bei denen jeder Gast selbst an einem kleinen Destillierapparat ein bisschen brennen üben kann, ist aber jetzt schon vorhanden.
Was zum Kern des Geschäfts führt – und endlich zur Erklärung des so wichtigen Mazerierens: Wie entstehen eigentlich die Brände und „Geiste"? Und was ist – mal abgesehen von den Aromen – der Unterschied zwischen einem Birnenbrand und einem Himbeergeist? In den Destillator kommt – erste Möglichkeit – eine Maische. Das ist eine Pampe aus Früchten, die zur Gärung angesetzt wurden. Das setzt voraus, dass der verwendete Rohstoff genug natürlichen Zucker enthält, um mit einer Hefe den Gärprozess in Gang setzen zu können. Aus dem Zucker wird Alkohol, der beim Erhitzen in einem ersten Turm als Dampf aufsteigt und im zweiten zum Abkühlen gezwungen wird. Er kondensiert auf „Glocken" (eine Art Klappen im Dampfturm), verdampft wieder, kühlt sich ab, und zwängt sich schließlich durch ein enges Rohr in den dritten Turm. Von dort quillt er als klare Flüssigkeit in ein Gefäß. Der Hahn, aus dem er fließt, ist verplombt: Jeder Liter, so will es das Gesetz, wird erfasst und versteuert, denn für Alkohol ist Branntweinsteuer fällig. Alles Hochprozentige, das so hergestellt wird, nennt sich „Brand".
Drei-Nasen-Prinzip bürgt für Qualität
Die zweite Möglichkeit: In den Destillator füllt man in reinen Alkohol eingelegte Früchte, Blumen, Pilze, Gewürzpflanzen. Mazerieren bedeutet also nichts anderes als einlegen. Alles Weitere läuft dann wie gehabt. Im zweiten Fall entsteht kein neuer Alkohol, sondern der vorhandene Alkohol wird veredelt. Was dann herauskommt, ist ein „Geist". Tim Müller: „Die Aromen müssen so weich auf die Zunge gelangen, dass sie die Geschmacksnerven nicht betäuben. Ein Geist darf nicht brennen."Drei-Nasen-Prinzip bürgt für Qualität
Beide Methoden, Maischen und Mazerieren, dienen dazu, die Aromen von den Rohstoffen zu trennen – und das so schonend wie möglich, damit sie in den Spirituosen in reiner, geschmacklich voller Form erhalten bleiben. Und sich nicht mit dem zuvor im Brennbehältnis produzierten Aroma vermischen – von der vorherigen Produktion darf nichts zurückbleiben, eine Geschmacksverschleppung wäre fatal. Bevor eine Charge neu produziert wird, gibt es deswegen das Drei-Nasen-Prinzip: Drei Leute müssen die Neutralität der Produktionsstrecke bestätigen. Sie sind auch die ersten, die die Qualität eines neuen Destillats beurteilen dürfen.
So viel Aufwand hat seinen Preis. Was Tim Müller und Konrad Horn mit ihrer Belegschaft zusammen herstellen ist ein Premium-Produkt. Eine 350-Milliliter-Flasche kostet zwischen 59 und 89 Euro. Probierfläschchen kommen auf 14,50, der Sprühflakon auf 18,50 Euro. Und beim Sprühflakon kommt Müller auch auf die Kunden zu sprechen: „Es sind Sterneköche dabei, die entdeckt haben, dass sie mit unseren Essenzen ihre Speisen veredeln können, etwa Austern mit Fenchelgeist oder Fleisch mit Thymian oder Wacholder. Und Bartender, die zum Beispiel Gin Tonic mit Spargelnote oder Wodka mit Zitronengras-Essenz anbieten." Also durchaus die Edelgastronomie mit Kunden, die solvent genug sind, sich so etwas zu leisten. „Ich kenne keinen, der sich eine Flasche von unserem Geist kauft, um sie einfach zu Hause auszutrinken", meint Müller.
Am besten verkaufen sich ihre Spirituosen aus Rote Bete, Koriander und rotem Pfeffer. Tim Müller selbst mag am liebsten Zitrusfrüchte und Salbeigeist. Trotz der großen Auswahl: In den einschlägigen Läden sind die wertvollen Marzahner Tropfen noch gar nicht vertreten, die meisten Kunden bestellen online. Denn noch ist die Deutsche Spirituosen Manufaktur am Anfang – auch wenn sie in den großen Häusern in Hamburg, Baden-Baden oder Leipzig durchaus schon ein Begriff ist.
An der Wand aufgereiht stehen aktuell Dutzende Boxen mit dicken Umschlägen. Kleine Präsente für zukünftige Kunden, von denen sich Tim Müller und sein Team viel versprechen: „Das ist unsere nächste Marketing-Aktion – wir wollen auf jeden Fall noch bekannter werden."