Menschenhändler, radikale Umweltschützer, undurchsichtige Unternehmensmogule – und zwei Ermittler mit reichlich Psycho-Ballast: Das ist der Stoff der Serie um Kommissarin Lene Jensen und Privatdetektiv Michael Sander von Steffen Jacobsen.
Tausende Kilometer von seiner dänischen Heimat entfernt wird Privatermittler Michael Sander fündig. Im Leichenschauhaus einer Kleinstadt in Kaschmir kann er den verschüttgegangenen Erben eines dänischen IT-Milliardärs identifizieren, einen drogenabhängigen jungen Mann, der offenbar Selbstmord begangen hat. Der Abschluss eines Auftrags, der für Sander, aber auch für seine Frau, die Inspektorin Lene Jensen, weitreichende Folgen haben wird.
Eineinhalb Jahre später in Dänemark. Lenes und Michaels Ehe steckt tief in der Krise – sie stehen kurz vor der Scheidung. Doch während sie ihren Hausstand untereinander aufteilen, wird Lene zu einem seltsamen Todesfall hinzugerufen. Eine junge Asiatin ist in einem Waldstück erschossen worden, kurz vor ihrem Tod hat sie sich ihren Namen und ihr Geburtsdatum in die Haut geritzt. Lene und ihr Ermittlerteam stehen vor einem Rätsel, zumal ein Peilsender am Handgelenk der Frau befestigt war. Nachforschungen auf den Philippinen und in Deutschland weisen darauf hin, dass der eigenbrötlerische IT-Mogul Monell in den Fall verstrickt sein könnte. Während Lene Spur um Spur verfolgt, erhält auch Michael einen neuen Auftrag – er soll die verschwundene Ausnahmemusikerin Bettina Horst aufspüren. Von da an nimmt die Handlung ihren rasanten Lauf und schnell wird klar, dass Lenes und Michaels Fälle auf unheimliche Weise miteinander verwoben sind.
„Hybris" – das ist bereits der vierte Thriller, in dem der dänische Autor Steffen Jacobsen sein Ermittlerduo Lene Jensen und Michael Sander zwar nicht Seite an Seite Spuren verfolgen, aber sie dennoch bei ihren Nachforschungen immer wieder aufeinandertreffen lässt. Und dieses Mal bekommen die beiden es mit einem Multimillionär zu tun, der bei der Verfolgung seines Wunschtraums keinerlei Skrupel kennt.
Bis vor Kurzem hat Steffen Jacobsen noch als Chirurg und auch als medizinischer Berater gearbeitet. Was ihm, wie er erzählt, zum Schreiben viel zu wenig Zeit gelassen habe. So sei es nur gut, meint er, dass er nun endlich in Rente sei, sich voll auf seine Autorentätigkeit konzentrieren könne. Denn vorher habe er jeden Tag zwar auch ein bis zwei Stunden geschrieben, sei aber immer wieder „aus der Geschichte herausgerissen worden". Für ihn sei es wichtig, richtig in die zu erzählende Story eintauchen zu können, denn das sei schließlich die Hauptsache. Vielleicht auch ein Grund, weshalb man in Jacobsens Thriller zwar auf ein Protagonisten-Duo trifft, das jede Menge Ecken und Kanten hat; diese Eigenheiten führen aber selten zu langen Dialogen, die die Handlung ins Stocken geraten lassen könnten. Anders als bei anderen skandinavischen Suspense-Autoren, bei denen – so zumindest Jacobsens Eindruck – so die Story an Tempo verliert.
Ein Milliardär ohne jeglichen Skrupel
Überhaupt, das Tempo. Während Jacobsen seine oft düster eingefärbten Storys meist sachte beginnen lässt, nehmen sie von Kapitel zu Kapitel an Fahrt auf. Etwa, wenn in „Hybris" Ermittler Michael Sander eine Ärztin, die in zwielichtige Machenschaften verstrickt ist, vor Auftragskillern zu beschützen versucht. Oder sich Lene heimlich auf den Weg zur Privatinsel des IT-Multimillionärs macht, zu dem so viele Spuren führen. Klar, dass es bei dieser Dramaturgie auch stets einen Showdown geben muss – in „Hybris" ebenso wie in den Vorgängerthrillern, etwa in „Bestrafung": Da wird der Leser fast bis zum Schluss im Ungewissen darüber gelassen, ob Michael und Lene ein islamistisches Attentat in der dänischen Hauptstadt verhindern können.
Islamismus, Terrorgefahr, undurchsichtige Operationen von Geheimdiensten – das sind nur einige der Bausteine, die in Jacobsens Thrillern eine Rolle spielen. Für den Autor macht gerade der Bezug auf aktuelle Themen einen Thriller aus – im Gegensatz zum Krimi. Der spiele doch klassisch in einem eher zeitlosen Setting, meint Jacobsen, in dem ein Verbrechen aufgeklärt werden müsse, das sich unter miteinander bekannten Menschen ereignet habe. Man denke nur an die Klassiker von Agatha Christie bis Raymond Chandler. Anders sei es dagegen in einem Thriller, bei dem die Protagonisten durch ein Verbrechen zusammengeführt würden. Jacobsen dekliniert das beispielsweise in „Bestrafung" durch: Bei einem Selbstmordattentat im Vergnügungspark Tivoli werden Hunderte Menschen getötet. Dänischer Geheimdienst und Polizei wissen, dass eine islamistische Terrorzelle dahintersteckt, die einen weiteren Anschlag plant. Um das zu verhindern, soll eine Undercover-Agentin in das Netzwerk eingeschleust werden – doch einiges an dem Plan läuft anders als gedacht. Klar, dass auch hier Lene Jensen als zutiefst depressive Polizeiinspektorin und Ermittler Michael Sander aufeinandertreffen. Letzterer muss Lene aus dem Schussfeld ihrer Vorgesetzten bergen, da sie sich deren Anweisungen störrisch widersetzt. Dabei merkt er, dass Lenes Theorien zu den Hintergründen des Tivoli-Anschlags durchaus plausibel sind – und gemeinsam versuchen beide, mehr über die Attentäter und ihr Netzwerk herauszufinden.
Als Steffen Jacobsen vor über zehn Jahren begann, sich mit Thrillern und Krimis zu beschäftigen, tat er es, um sich abzulenken. Denn nach seiner Dissertation, die in Dänemark aus der Veröffentlichung von Dutzenden wissenschaftlichen Artikeln besteht, war er in ein „tiefes Loch gefallen". „Also fing ich an zu schreiben", erinnert er sich, „mein erstes Buch war aber ein ziemlich lausiger Krimi". Der Autor muss schmunzeln. Glücklicherweise aber habe er einen Lektor gefunden, der in dem literarischen Quereinsteiger Potenzial sah und mit Jacobsen an dem Stoff arbeitete, bis „Der Passagier" veröffentlicht werden konnte. Scheinbar geht es darin um einen Segelunfall im Rahmen einer Testfahrt zur Weltumsegelung, eine Frau geht über Bord. Jahre später stirbt einer der Mitsegler an einem Pfeilschuss ins Herz – und Kommissar Robin Hansen muss herausfinden, was die beiden Todesfälle miteinander zu tun haben.
Seit 2013 lässt der 1956 geborene Jacobsen das nun auch privat miteinander verbandelte Duo Lene Jensen und Michael Sander antreten – sie versuchen, mysteriöse Morde aufzuklären, skrupellosen Unternehmern das Handwerk zu legen und werden dabei nur allzu häufig selbst zur Zielscheibe. Wie gut, dass Sander durch seine zahlreichen Auslandseinsätze kampferprobt ist, und Lene als ambitionierte Freizeitboxerin Qualitäten besitzt, die sie vermutlich wieder bei ihrem nächsten Fall benötigen wird. In Dänemark ist „Ghostwriter" bereits erschienen, eine Geschichte rund um die Macht der Pharmakonzerne, die nicht immer – so zumindest bei Jacobsen – Interesse an der Entwicklung neuer Medikamente haben. Vermutlich Ende nächsten Jahres wird der Thriller, der unter anderem auch in Afrika spielt, in Deutschland für neuen spannenden Lesestoff aus Skandinavien sorgen.