In Europa sind Verführer von rechts und links auf dem Vormarsch
Was für ein Gegurke! Wer sich die britische Diskussion über den Brexit anschaut, kann nur ungläubig den Kopf schütteln. Premierministerin Theresa May jongliert und laviert zwischen den politischen Lagern. Doch das große Wort führen rechte und linke Populisten, die auf dem Feuer der Brexit-Debatte ihr eigenes Süppchen kochen.
Ex-Außenminister Boris Johnson ist bei den Konservativen der Trommler eines harten Schnitts mit der EU. Er gibt den Einpeitscher, hetzt gegen Brüssel und hofft, mit seiner Schwarz-Weiß-Politik Regierungschef zu werden. Jeremy Corbyn, der Vorsitzende der größten Oppositionspartei Labour, hat mit seinem wachsweichen Kurs – ein bisschen für, ein bisschen gegen Brexit – das Hickhack verstärkt. Er kennt nur ein Ziel: Neuwahlen.
Der Populismus triumphiert immer dann, wenn die politische Klasse eines Landes versagt. In Großbritannien gab der frühere Premier David Cameron die Entscheidung aus der Hand und überließ die Schicksalsfrage Brexit einem Referendum. Vereinfacht gesprochen verlief das Votum im Juni 2016 so: In einem aufgeheizten Meinungsklima stimmte die ältere Bevölkerung, die zum großen Teil auf dem Land wohnt und dem verflossenen britischen Empire nachtrauert, für den EU-Ausstieg. Sie setzte sich knapp durch gegen die Menschen in den Städten. Vor allem die gut ausgebildeten Jungen, die von Ausbildung, Job und Karriere in anderen Ländern träumen, sahen sich um ihre Zukunft betrogen. Sollte es zum Brexit kommen – möglicherweise zu einer ungeordneten Trennung ohne Vertrag –, werden die Briten mit den wirtschaftlichen Verwerfungen leben müssen. Das heißt: höhere Zölle, teurere Importe, weniger Jobs.
Doch 2018 war nicht nur in Großbritannien das Jahr des Populismus. Auch in Italien feierten die Verführer von den politischen Rändern einen großen Sieg. Bei den Parlamentswahlen im März wurden die rechte Lega und die linke Fünf-Sterne-Bewegung nach oben getragen. Beide bildeten eine Spendierhosen-Koalition, die sich eines auf die Fahnen geschrieben hat: Geld ausgeben, das der Staat nicht hat. Die Steuern sollen massiv gesenkt, ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt und das Renteneintrittsalter erhöht werden. Beide Parteien pflegen die Feindbilder Brüssel und Berlin, um von eigenen Versäumnissen abzulenken. Zudem macht vor allem die Lega Front gegen Flüchtlinge.
Auch in Spanien sind die Rechtspopulisten im Aufwind. Bei den Regionalwahlen in der größten Provinz Andalusien Anfang Dezember erzielte die rechtsextreme Partei Vox ein zweistelliges Ergebnis. Die fast 40 Jahre andauernde Alleinherrschaft der Sozialisten ist passé. Das Erfolgsrezept von Vox ist einfach: weniger Migranten, mehr Nationalismus. Spanien, das nach dem Ende der Franco-Diktatur 1975 lange Jahre immun gegen Bewegungen von rechts war, ist an dieser Flanke wieder verwundbar.
Nicht zu vergessen: In Deutschland sitzt die AfD mittlerweile im Bundestag und in allen 16 Landesparlamenten. Sie ist zu einem festen Faktor in der Politik geworden. Vor allem mit ihrem Anti-Flüchtlings-Mantra bestimmte sie teilweise die Agenda, was CSU-Chef Horst Seehofer schmerzlich erfahren musste. Die AfD greift den zeitweise aufgetretenen Kontrollverlust des Staates bei der Migrationspolitik auf und inszeniert sich als Anwalt der sozial Schwachen und Zukurzgekommenen. Letzteres haben in Frankreich die Menschen selbst in die Hand genommen. Die „Gelbwesten" protestierten wochenlang gegen Steuer- und Abgabenerhöhungen, dass sogar Präsident Emmanuel Macron einknicken musste. Das stärkt die Position der Rechts- und Linkspopulisten bei den kommenden Wahlen.
Keine Frage: 2018 war das Jahr der Populisten. Sie florieren überall dort, wo Regierungen Schwäche zeigen. Gute Politik ist keine Raketenwissenschaft. Grundvoraussetzungen sind klare Richtung, klare Sprache und klare Kommunikation. Sie muss die Bedingungen für eine gute Ausbildung und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft schaffen. Wer viel arbeitet, sollte entsprechend mehr verdienen als jemand, der wenig arbeitet. Bei alledem gilt es, eine soziale Symmetrie zu wahren: Die Ausschläge nach unten und oben sollten sich in Grenzen halten. Europa ist nicht Amerika. Wird dies bedacht und sind fähige und integre Köpfe an der Spitze, laufen die Populisten gegen die Wand.