Das Höhlendrama von Thailand hielt zwischen dem 23. Juni und dem 10. Juli die ganze Welt in Atem. Zwölf junge Fußballer und ihr Trainer wurden wohlbehalten aus einem überfluteten Höhlensystem gerettet – nach 17 Tagen.
Am späten Vormittag des 25. Juni verschicken die Nachrichtenagenturen in Deutschland ihre ersten Meldungen. Im Tausende Kilometer entfernten Thailand werde seit Samstag eine Fußball-Jugendmannschaft und deren Trainer vermisst. Warum die zwölf Jungen und ihr Trainer Ekaphol Chantawong die Höhle aufsuchten, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Laut seiner Facebook-Seite hielt der Trainer dort aber bei einem früheren Besuch 2016 schon einmal eine „besondere Trainings-Einheit" ab.
In Thailand ist zu jener Zeit Regensaison. Gerade in Berggebieten kann es dabei zu plötzlichen Überschwemmungen kommen. Chiang Rai liegt etwa 1.000 Kilometer nördlich von Bangkok, an der Grenze zu den Nachbarländern Laos und Myanmar. Die weitverzweigte Höhle ist bei Touristen wenig bekannt, offiziell ist der Zugang nur in zwei kleinen Abschnitten erlaubt. Eine Sturzflut habe der Mannschaft und ihrem Trainer den Weg nach draußen versperrt, teilt die Polizei der nordthailändischen Provinz Chiang Rai zunächst mit. Bei ihrer Rettungsaktion durchsuchen Spezialkräfte, darunter auch Taucher, die Höhle, können die Jugendlichen aber zunächst nicht finden, wie der örtliche Polizeichef sagt. Die Rettungskräfte entdecken unter anderem Rucksäcke und Fußabdrücke der Jugendlichen in einem vier Kilometer langen Tunnel.
Doch auch in den nächsten Tagen gibt es kein Lebenszeichen der Kinder, und immer mehr richten sich die Augen der Welt auf die thailändische Provinz. Spezialtaucher aus aller Welt bieten ihre Hilfe an und reisen nach Asien. Neun Tage lang bleibt die Suche erfolglos – bis zwei britische Höhlentaucher die Truppe vier Kilometer vom Ausgang entfernt entdeckt. Dort haben sich auf einer trockenen Stelle in Sicherheit gebracht. Am 2. Juli zeigen erste Bilder der Einsatzkräfte die Kinder im Inneren der Höhle im Schein von Taschenlampen – erschöpft, aber überglücklich.
Nach der ersten Erleichterung wird schnell klar, wie schwer es wird, die „Wildschweine", wie sich das Fußballteam nennt, gesund herauszuholen. Wegen der Monsun-Saison wird es ein Kampf gegen Wetter und Zeit. Groß ist die Sorge, dass neue Regenfälle die Hilfsaktion unmöglich machen könnten. Und es schüttet in Mae Sai immer wieder. Zwischenzeitlich überlegen die Rettungskräfte, Tunnel in die Tiefe zu bohren. Aber schließlich entschließt man sich doch, zu tauchen. Aus diesem Grund beginnen die Helfer, mit den Kindern das Tauchen zu üben. Sie müssen Masken anziehen und lernen, damit unter Wasser zu atmen. Mehr als 1.000 Angehörige, Behördenvertreter, Katastrophenhelfer und Hunderte Reporter aus aller Welt harren derweil vor der Höhle Tham Luang-Khun Nam Nang Non aus.
Am 6. Juli dann der große Rückschlag: Beim Versuch, Sauerstoffbehälter in der Höhle zu platzieren, stirbt ein ehemaliger Angehöriger der Spezialeinheit Thai Navy Seals wegen Sauerstoffmangel in der Höhle. Der Taucher verliert auf dem Rückweg das Bewusstsein und erstickt. Die Rettungsaktion wird mehr und mehr zum dramatischen Wettlauf gegen die Zeit. Der verwinkelte Höhlentrakt hat viele Windungen und Engpässe, die selbst erfahrene Taucher vor Probleme stellen. Und die Wassermassen haben – ähnlich wie in einem Siphon – manche Senken zulaufen lassen, welche die Gruppe auf ihrem Weg in die hinteren Kammern der Höhle noch zu Fuß durchqueren konnte.
Alle haben es gut überstanden
Hinzu kommt, dass der Sauerstoffgehalt in der von den Jugendlichen aufgesuchten Kammer stetig abnimmt – ganz im Gegensatz zur psychischen und körperlichen Belastung der Eingeschlossenen. Und je mehr Wasser in die Höhle strömt, desto schlechter wird wegen aufgewirbelter Ablagerungen die Sicht für die Taucher, die die eingeschlossene Gruppe mit dem Nötigsten versorgen. Dennoch ist die Entscheidung keine leichte: Über Stunden durch die überflutete Höhle zu tauchen, könnte lebensgefährlich für die geschwächten Jungen sein – abwarten ebenfalls.
Am 8. Juli entschließen sich die Helfer dazu, die Rettungsmission zu starten. 18 Taucher sind im Einsatz, darunter 13 aus dem Ausland. Im nächstgelegenen Krankenhaus bereitet man sich darauf vor, dass bald die ersten Kinder eingeliefert werden. Der baden-württembergische Tunnelbohrer Herrenknecht hat derweil Spezialisten an den Unglücksort geschickt, falls die Tauchmission fehlschlagen sollte. Am frühen Nachmittag dann die ersten noch unbestätigten Meldungen, dass die Taucher die ersten Kinder gerettet haben sollen. Am späten Nachmittag folgt die Bestätigung: Die ersten vier Jungen sind wohlbehalten angekommen und werden zu weiteren Untersuchungen ins Krankenhaus gebracht. Hoffnung keimt auf, alle Kinder retten zu können. Doch es bleibt weiter ein Wettlauf gegen die Zeit.
Allen ist nach wie vor klar, wie irrsinnig gefährlich diese Idee eigentlich ist: eine Gruppe von Kindern, die keinerlei Erfahrung im Tauchen haben, vier Kilometer durch eine überflutete Höhle zu lotsen. An manchen Stellen ist der Weg so eng, dass die Profitaucher ihre Pressluftflaschen abschnallen müssen – an der engsten Stelle gerade einmal 40 Zentimeter. Darüber hinaus kann man im Wasser vielerorts kaum sehen. Hier kann man sehr leicht in Panik geraten. Der kleinste Fehler – von einem der Taucher, aber auch einem der Jungen – kann tödlich sein. Und keiner hat vergessen, dass bei den Vorbereitungen vor einer Woche ein erfahrener thailändischer Taucher ertrank. Wenn selbst Profis das nicht überleben, wie sollen es dann die Kinder schaffen? Manche halten es für ein Wunder, dass bislang alles gut gegangen ist.
Jetzt nehmen jeweils zwei Retter die Jungen einzeln ins Schlepptau. Alle stecken in Taucheranzügen, haben Taucherbrillen auf und werden von ihren Begleitern mit Luft versorgt. Sicherheitshalber, so verrät der dänische Taucher Ivan Karadzic, einer aus dem Kernteam von 13 internationalen Profis, verpasste man den Jungen der ersten Vierer-Gruppe aber auch noch starke Beruhigungsmittel.
Am Morgen des nächsten Tages startet der nächste Einsatz, und den Helfern gelingt es, vier weitere Jungen zu retten. Und einen weiteren Tag später, am 10. Juli, brandet Jubel auf, der sich um die ganze Welt ausbreitet: Alle zwölf Jungen und auch ihr Trainer sind wohlbehalten zurück an der Oberfläche. Niemand ist ernsthaft verletzt. Alle haben die vergangenen 17 Tage den Umständen entsprechend, bis auf vereinzelte Lungeninfekte, gut überstanden.
Anfangs werden die Kinder in der Klinik abgeschirmt, auch ihre Eltern dürfen erst nach und nach zu ihnen. Allerdings dürfen sie erst einmal nur durch eine Glasscheibe voneinander getrennt Kontakt haben – aus Angst vor Infekten, weil das Immunsystem der Kinder geschwächt ist. Zudem müssen die Kinder nach über zwei Wochen Dunkelheit Sonnenbrillen tragen – zum Schutz vor dem Tageslicht. Acht weitere Tage später dürfen die Kinder das Krankenhaus verlassen, endlich wieder nach Hause – und zurück in die Normalität.