22 Jahre ist es her, dass eine deutsche Tennisspielerin auf dem heiligen Rasen von Wimbledon triumphieren konnte. Wie der Name Steffi Graf wird seit dem 14. Juli 2018 auch der Name Angelique Kerber für immer mit dem bedeutendsten Tennisturnier verbunden bleiben.
Es ist immer noch ein Wahnsinn, dieser Sieg. Alles, was hier passiert ist", freute sich Angelique Kerber am späten Abend des 14. Juli im „Aktuellen Sportstudio" des ZDF. Punkt 18.22 Uhr hatte sie das Finale von Wimbledon gewonnen, durch ihren Triumph über die 23-malige Grand-Slam-Gewinnerin Serena Williams. Sie gewann 22 Jahre nachdem Steffi Graf dort zuletzt die Ruhmesschale in Händen hielt – bewundert von einem Kieler Kind namens Angelique Kerber. Umso mehr war die mittlerweile 30-Jährige überwältigt von ihrem eigenen ultimativen Tennistriumph im „Wohnzimmer" von Boris Becker, dem Centre Court des altehrwürdigen All England Clubs.
Der „Head of Men’s Tennis", der bereits mit 17 Jahren die am höchsten geachtete Trophäe des Tenniskosmos in Wimbledon abgeholt hatte, hieß Angelique via Twitter sofort als neues „WG-Mitglied" in seinem heiß geliebten Wohnzimmer willkommen. Auch die „Gräfin", das Wohnzimmer-WG-Mitglied Steffi Graf, gratulierte der neuen Tennis-Queen und ermunterte sie umgehend in einer SMS, das Erreichte „zu genießen". Seit Graf 1996 zum siebten Mal an der Church Road gewann, darbten die Deutschen ohne einen weiteren Triumph im Mekka der Tennisturniere. Angelique Kerber erlöste sie, genoss folgsam, strahlte und tanzte mit dem Sieger des Herren-Wettbewerbs, Novak Djokovic, als „Lady in Red", im roten Kleid, beim nächtlichen Dinner der Wimbledon Champions. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits ihren Namen auf der Liste der Siegerinnen-Galerie des Club-Gebäudes bestaunt. Wie all diese Legenden, ist auch Kerber zum Wimbledon-Mitglied auf Lebenszeit geworden: Am 14. Juli 2018 gewann Angelique Kerber ein Stück mythischen Ruhms, sie wird auf ewig als „Wimbledon-Siegerin" tituliert werden. Ein ganz spezieller Erfolg, der vor ihr nur drei weiteren Deutschen gelang: Becker, Graf und Michael Stich.
Ein Stück mythischer Ruhm
Wer Tennis spielt, will Wimbledon gewinnen. Angie auch, schon als Kind. Schließlich geht es um das prestigereichste aller Turniere. „A dream came true", stammelte die Kielerin deshalb auch bald, nachdem sie sich fassungslos und rücklings in ihrem regelkonform weißen Turnier-Kleid auf dem grünen Rasen des Centre Courts gewälzt hatte. Dann stürmte sie hoch zu Mutter Beata ins Publikum, umarmte und drückte ebenso ihren Trainer Wim Fissette. Der 38-jährige ruhige Belgier hatte Kerber seit November 2017 behutsam und strategisch geschickt aus ihrem damaligen Tief herausgeführt. Er hatte ihre Fußposition korrigiert, ihren Aufschlag verbessert, ihr Selbstbewusstsein zurückgebracht, sie ein wenig abgeschirmt: wichtige, große Schritte nach Angies zwischenzeitlichem Absturz von der Hochglanz-Position. Für 34 Wochen hatte sie nach ihrem US-Open-Sieg im September 2016 auf Position eins der Tenniswelt verbracht, bevor sie während ihres Absturzjahres im Ranking des Frauenprofi-Verbands WTA immer weiter zurückfiel.
Eine andere Deutsche, Sabine Lisicki, hatte Fissette 2013 ebenfalls ins Wimbledon-Finale geführt. „Bine" ging dort aber die Puste aus. Der Trainer weiß deshalb ganz genau, um wie viel Druck es in diesem Endspiel geht: „Um ehrlich zu sein: Ich denke, man kann ein Grand-Slam-Champion sein – oder man kann ein Wimbledon-Champion sein", sagte er später im Jahr über Angies Sieg, gegenüber der Presse am Rande eines Turniers in Cincinnati. Der Unterschied zu den Grand Slams in Melbourne, New York und Paris: „Jeder kennt dieses Turnier."
„Angie" entzauberte in ihrem zweiten und diesmal erfolgsgekrönten Wimbledon-Finale sogar die Winner-Wucht einer Serena Williams. „Sie hat jeden Ball von Serena entschärft, sie war die beste Spielerin des Turniers", lobte Barbara Rittner, Head of Women’s Tennis im Deutschen Tennisverband, ihren einstigen Schützling. Kerber hatte 2016 bereits zwei der insgesamt vier Grand-Slam-Turniere gewonnen, nämlich die Australian Open und die US Open, und kämpfte damals im Londoner Finale ebenfalls gegen Williams. Zum Saisonende 2018 ist Angie wieder die Nummer zwei in der Welt des gelben Balls, obwohl sie das Jahr an Position 21 begonnen hatte: Erfolgreich zurück und hochgezoomt, nicht zuletzt durch ihren großen Sieg auf dem „heiligen Rasen" von Wimbledon, den sie sich quer durch alle Runden mit unglaublicher Souveränität – fast schon Entspanntheit – verdiente.
Serena Williams wähnte sich im vierten Turnier nach ihrer Babypause auf der Zielgeraden zum 24. Grand-Slam-Titel, der sie mit der Rekordmarke der Australierin Margaret Court hätte gleichziehen lassen. Kein Wunder, dass nach Kerbers 6:3, 6:3-Sieg ein paar Tränen flossen bei der 37-jährigen US-Amerikanerin.
Für Steffi Graf haben mittlerweile andere Dinge Priorität als die Erinnerung an die einstigen Erfolge: „Ich schaue kaum zurück." Wird das bei Angie irgendwann auch so sein? An jenem 14. Juli in London sind diese Gedanken weit weg. Stattdessen ließ die Norddeutsche ihren Emotionen freien Lauf: „Es ist ein Moment, den man für alle Ewigkeit festhalten will … Ein Traum ist wahr geworden … Das ist für immer ... Ich bin durch mit meinem Leben."