Mehr als zwei Wochen lang hat Saudi-Arabien dementiert, dann gab die Regierung dem internationalen Druck nach: Der kritische Journalist Jamal Khashoggi sei im Konsulat in Istanbul getötet worden – bei einem Faustkampf. Doch kaum jemand glaubt diese Version.
Es ist ein Krimi, wie man ihn bislang allenfalls aus dem Kino oder dem Fernsehen kannte. Wochenlang hat Saudi-Arabien bestritten, etwas mit dem Verschwinden des kritischen Journalisten Jamal Khashoggi zu tun zu haben. Dann eine nachgeschobene überraschende Erklärung: Der 59-Jährige sei im Istanbuler Konsulat des Königreichs bei einer Schlägerei zu Tode gekommen. Erst auf massiven Druck hin hatte das Königreich die Tötung Khashoggis eingeräumt. Demnach sei es zwischen Khashoggi und mehreren Personen zu einer tödlichen Schlägerei gekommen, berichtete unter anderem die staatliche Nachrichtenagentur Spa. 18 saudische Staatsangehörige seien deshalb festgenommen worden, zudem seien zwei enge Berater des Kronprinzen Mohammed bin Salman aufgrund des „bedauerlichen und schmerzhaften Ereignisses" entlassen worden.
Türkische Ermittler gehen dagegen davon aus, dass Khashoggi von einem aus Saudi-Arabien angereisten 15-köpfigen Einsatzkommando im Konsulat gefoltert, ermordet und zerstückelt wurde. Ende November veröffentlichte die Türkei Details ihrer Ermittlungen. „Er wurde innerhalb von sieben Minuten getötet. Es war vorsätzlicher Mord", sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung". Er selbst habe sich die Tonaufnahmen angehört, die den Mord im saudischen Konsulat in Istanbul belegen sollen. „Es ist zu hören, wie der Gerichtsmediziner die anderen instruiert: Sie sollten Musik hören, während er den Körper zerteilt. Man merkt, dass er es genießt." Weiter sagte Cavusoglu: „Er zerteilt gerne Menschen. Es ist ekelhaft." Details, wie die türkischen Behörden an die Aufzeichnungen aus dem saudischen Konsulat gekommen seien, nannte Cavusoglu nicht. In türkischen Medien waren zuvor Details aus den Tonaufnahmen – wie etwa über die Zerteilung der Leiche – veröffentlicht worden. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte Mitte November zwar bestätigt, dass seine Regierung im Besitz von Aufnahmen aus dem Konsulat zum Mord an Khashoggi sei, selbst aber keine Einzelheiten preisgegebe.
Der im US-Exil lebende Journalist Khashoggi war Anfang Oktober ins saudische Konsulat in Istanbul gegangen, um Papiere für seine Hochzeit abzuholen und kam nicht mehr heraus. Erst unter großem internationalem Druck gab Saudi-Arabien die Tötung des Journalisten zu. Die Leiche Khashoggis wurde bis heute nicht gefunden. Im Laufe der Ermittlungen häuften sich Hinweise auf eine Verwicklung des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman in den Fall. Saudi-Arabien hingegen weist eine Verwicklung des Thronfolgers zurück.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hatte unterdessen in Argentinien Anzeige gegen Mohammed bin Salman erstattet. Der Prinz sollte wegen der Folterung und Tötung Khashoggis bei seiner Teilnahme am G20-Gipfel Ende November in Buenos Aires verhaftet werden, beantragte die Organisation bei einem Bundesgericht der argentinischen Hauptstadt.
Was wusste der Kronprinz?
Mit der Darstellung der Schlägerei versucht die Regierung in Riad offenbar, den Kronprinzen aus dem Fokus der Kritik zu nehmen. Denn eine Verbindung zu der Tat könnte dem 33-Jährigen, der als starker Mann des Wüstenstaats gilt, massiv schaden. Der junge Thronfolger gilt als wichtige Kraft bei den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reformen des Landes. Er steht wegen der aggressiven Außenpolitik des Königreichs aber auch in der Kritik. US-Präsident Donald Trump hält es aber auch weiter für möglich, dass der junge saudische Kronprinz nichts von der Tötung Khashoggis gewusst habe. Einen Waffendeal mit Saudi-Arabien rückgängig zu machen, „würde uns mehr schmerzen als sie", sagte Trump. Die USA gelten international als einer der wichtigsten Verbündeten Saudi-Arabiens, einer autoritären, islamischen Monarchie ohne Wahlen und Parteien.
Anfang Dezember holt die Türkei erneut gegen das engste Umfeld des saudischen Kronprinzen aus und erlässt im Fall Khashoggi Haftbefehle gegen zwei hohe Beamte. Einer von beiden sei Saud al-Kahtani, ein enger Vertrauter von Prinz Mohammed bin Salman, wie die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. Der andere Haftbefehl erging demnach gegen den Ex-Vizechef des Geheimdienstes, Ahmed al-Asiri. Beide halten sich in Saudi-Arabien auf. Das Gericht stellte die Dokumente auf Forderung des Istanbuler Generalstaatsanwalts aus. Den Haftbefehlen zufolge, aus denen Anadolu zitiert, wirft die Staatsanwaltschaft den beiden prominenten Beamten „geplanten und vorsätzlichen Mord" vor. Auch von „Folter" ist die Rede. Die Männer seien unter denjenigen gewesen, die den Mord in Saudi-Arabien geplant hätten. Nachdem die Staatsanwaltschaft auf „neue Beweise" gestoßen sei, habe sie die Fahndungs- und Haftbefehle ausgestellt. Die Fahndungs- und Haftbefehle sind aber wohl eher ein politischer Schachzug, um den Druck auf Saudi-Arabien aufrechtzuerhalten, als ein aussichtsreiches juristisches Manöver.
In den USA hatten sich tags zuvor auch US-Senatoren nach einem CIA-Briefing überzeugt gezeigt, dass der Kronprinz an dem Mord beteiligt war. Die beiden Republikaner Bob Corker und Lindsey Graham stellten sich in Washington gegen den republikanischen Präsidenten Donald Trump. Graham sagte über den saudischen Kronprinzen: „Ich denke, dass er verrückt ist, ich denke, dass er gefährlich ist, und er hat die Beziehung gefährdet." Corker sagte nach dem Briefing: „Ich habe überhaupt keine Zweifel, dass der Kronprinz die Tötung angeordnet hat, die Tötung überwacht hat, genau wusste, was passierte und es vorab geplant hat. Wenn er vor einer Jury wäre, würde er innerhalb von 30 Minuten schuldig gesprochen."