Als Polizeibeamte Mitte September Baumhäuser von Aktivisten im Hambacher Forst räumen sollen, beginnt ein vierwöchiges Katz-und-Maus-Spiel beider Seiten. Erst ein vorläufiger Rodungsstopp des Oberverwaltungsgerichts Münster sorgt für eine Atempause.
Mit einem massiven Polizeiaufgebot beginnen die Behörden Mitte September im Braunkohlerevier Hambacher Forst damit, die Baumhäuser der Umweltaktivisten zu räumen. Für den jahrelangen Protest der Braunkohlegegner ist das eine Zäsur, denn die in den vergangenen Jahren errichteten Baumhäuser sind längst ein Symbol des Widerstands gegen die Braunkohle geworden. Aktivisten kündigten als Reaktion auf den Polizeieinsatz „zivilen Ungehorsam" und eine „bundesweite Massenmobilisierung" an.
Der Energiekonzern RWE will noch im Herbst mehr als die Hälfte des verbliebenen Waldstücks zwischen Köln und Aachen roden, um weiter Braunkohle baggern zu können. Dagegen gibt es seit Langem Proteste. Aktivisten haben in bis zu 25 Metern Höhe zahlreiche Baumhäuser errichtet und halten den Wald damit seit sechs Jahren besetzt. Begründet wird die Räumung allerdings nicht mit dem geplanten Braunkohleabbau. Vielmehr argumentiert das NRW-Bauministerium unter anderem mit dem fehlenden Brandschutz in den Baumhäusern. Für die Polizei ist es einer der größten Einsätze in der jüngeren NRW-Geschichte. Aus dem gesamten Bundesgebiet wurden Einsatzkräfte zur Verstärkung in den Hambacher Forst geholt. Auch Wasserwerfer und schweres Räumgerät wurden zum Hambacher Forst gebracht. Aus Sicht von RWE ist die Abholzung dagegen unvermeidbar, um die Stromproduktion in den Braunkohlekraftwerken zu sichern.
Polizeikräfte aus ganz Deutschland
Vor Beginn der Kohleförderung war der Wald 4.100 Hektar groß; nach Angaben des Tagebau-Betreibers RWE Power wurden bislang 3.900 Hektar für den Kohleabbau gerodet. Der Wald hat nach Angaben des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) eine 12.000 Jahre lange Geschichte. Es gibt dort Vorkommen streng geschützter Arten wie Bechsteinfledermaus, Springfrosch und Haselmaus. Der Protest vor Ort richtet sich auch gegen den Abbau von Braunkohle allgemein.
In den nächsten Tagen leisten die Demonstranten immer wieder Widerstand, verschanzen sich auf ihren Baumhäusern oder in Verstecken unter der Erde. Am 19. September stürzt ein Journalist durch die Bretter einer Hängebrücke zwischen zwei Baumhäusern und fällt 15 Meter in die Tiefe. Rettungskräfte können nichts mehr für ihn tun. Alle Arbeiten zur Räumung im Hambacher Forst werden vorerst eingestellt. Der verunglückte Journalist hatte seit Längerem das Leben der Aktivisten in den Baumhäusern dokumentiert. Er habe gerade seine volle Speicherkarte tauschen wollen, als er abstürzte, erklärt die Polizei. Der Unfall löst weitere Proteste gegen die Räumung aus. Immer wieder gibt es Festnahmen und auch Verletzte. Bis Ende September werden 77 Baumhäuser geräumt.
Thema zu komplex für Eilverfahren
Am 5. Oktober dann verfügt das Oberverwaltungsgericht Münster überraschend einen vorläufigen Rodungsstopp im Hambacher Forst. Die Richter entsprechen damit in einem Eilverfahren dem Antrag des Umweltverbandes BUND. Dieser argumentiert, dass der Wald mit seinem Bechsteinfledermaus-Vorkommen die Qualitäten eines europäischen FFH-Schutzgebietes habe und deshalb geschützt werden müsse. Das Gericht erklärt, die Unterlagen dazu umfassen mehrere Kisten, die Rechtsfragen seien so komplex, dass man sie nicht in einem Eilverfahren beantworten könne. Die Rodung müsse vorerst gestoppt werden, damit keine „vollendeten, nicht rückgängig zu machenden Tatsachen geschaffen" würden, wie das Gericht mitteilt. Einen Tag später nehmen nach Angaben der Veranstalter 50.000 Menschen an einer Demo gegen die Abholzung teil. „Es ist die mit Abstand größte Demo, die das rheinische Braunkohlerevier je gesehen hat", sagt Dirk Jansen, Geschäftsführer des BUND Nordrhein-Westfalen. Gleichzeitig beginnen Klimaaktivisten mit dem Bau neuer Baumhäuser. Auch weiterhin kommt es zu Konflikten zwischen der Polizei und den Aktivisten.
Bis Anfang November leitet die Polizei insgesamt 193 Strafverfahren ein. In mehr als der Hälfte der Fälle (106) geht es um Widerstand gegen Polizeibeamte, wie aus einer Kleinen Anfrage der SPD an die Landesregierung hervorgeht. 51 Polizisten wurden demnach während des Einsatzes zwischen dem 13. September und Anfang Oktober von den Besetzern mit Fäkalien beworfen. Ende November beginnt das Energieunternehmen RWE mit der Beseitigung von neu errichteten Barrikaden in dem Wald, abgeholzt werden darf aber nach wie vor nicht. Das Verwaltungsgericht Köln will im ersten Quartal 2019 über eine Klage gegen die geplanten Rodungen im Hambacher Forst entscheiden. Einen konkreten Termin gibt es derzeit aber noch nicht. Möglicherweise hat sich das Thema bis dahin bereits erledigt: Die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission will bis Anfang Februar ein Konzept für den Kohleausstieg vorlegen. Umweltverbände fordern, dass die Kommission das alte Waldgebiet am Tagebau Hambach erhält.