Arbeitsplatz, Ruhezone, Café: An 15 deutschen Bahnhöfen existieren Lounges, die sich speziell an Vielfahrer richten. Jetzt baut die Deutsche Bahn die in die Jahre gekommenen Wartehallen um – angepasst an die „Generation Smartphone".
Ein freundliches „Grüß Gott", dann ist erst mal Schluss: Wer die „DB Lounge" im Nürnberger Hauptbahnhof betreten will, kommt an einem elektronischen Lesegerät nicht vorbei. Erst wenn die Fahrkarte eingescannt und von der Maschine für würdig befunden wurde, können sich Reisende die Wartezeit versüßen. Die Lounge – das sagt schon der Name – soll Exklusivität ausstrahlen. Nur Erste-Klasse- oder „Bahn-Comfort-Kunden", die pro Jahr mindestens 2.000 Euro verfahren, dürfen den abgetrennten Wartebereich betreten.
Wer diese Hürde genommen hat, betritt eine Oase der Ruhe. Komfortable Ohrensessel, Teppiche, holzvertäfelte Wände. Um die Ecke ein Zeitungsregal und eine Bar, an der es kostenlos Kaffee, Tee und Softdrinks gibt. An der Wand hängen – ganz wichtig – mehrere Flachbildschirme, auf denen die aktuellen Abfahrtszeiten angezeigt werden. Die Lage ist gut, lediglich ein ICE nach Jena hat zehn Minuten Verspätung. Die entspannte Verkehrslage scheint auf die Fahrgäste abzufärben. Außer Tastaturen, raschelnden Zeitungen und dem Zischen der Zapfanlage ist kaum etwas zu hören. Die schallschluckende Decke absorbiert die Hintergrundgeräusche.
Genau 15 solcher Lounges gibt es an deutschen Bahnhöfen. Mit Frankfurt fing 1997 alles an, gefolgt von Leipzig und anderen Metropolen, an denen genug Fahrgäste ein-, um- oder aussteigen, damit sich das Konzept für die Bahn lohnt. Der Premium-Wartebereich, den es an Flughäfen schon lange gibt, kommt offenbar gut an. Rund fünf Millionen Reisende nutzen die Lounges nach Angaben des Konzerns jedes Jahr – Tendenz steigend. Beliebt sind Rückzugsorte auch deshalb, weil die normalen Wartehallen oft zugig und hoffnungslos überfüllt sind, es dort an Bänken mangelt oder die einzig verfügbaren Sitzplätze in einer dunklen, verlassenen Ecke liegen, so wie am Berliner Hauptbahnhof.
Fünf Millionen Kunden nutzen Service jährlich
Die Lounges aber sollen aufblühen und gleichzeitig die Reisegewohnheiten der „Generation Smartphone" unterstützen. Nach und nach will die Bahn deshalb alle Lounges so umbauen wie den Nürnberger Prototypen. Dort gibt es neuerdings drei verschiedene Zonen: den Ruhebereich mit Sesseln und Sitzecke, den Bistrobereich mit Zapfstation und Kinderspielecke und den Arbeitsbereich mit Barhockern und Stehtischen, ausgestattet mit besonders vielen Steckdosen. Dass es W-Lan gibt, versteht sich heute von selbst. Pfiffiger sind da schon die separaten „Telefonnischen", deren Filzwände nerviges Geplapper dämmen sollen. Natürlich dürfen auch in diesen Kokons diverse Steckdosen und USB-Anschlüsse nicht fehlen.
„Vor sechs bis acht Jahren war das Arbeiten von unterwegs kaum ein Thema", sagt Carsten Müller, Produktmanager DB Lounge bei der Deutschen Bahn. „Heute ist jeder mit dem Smartphone unterwegs, möchte sein Gerät nutzen und auch aufladen. Auf diese veränderten Gewohnheiten müssen wir reagieren." Der Bedarf sei durchaus da, versichert Müller. „Viele Kunden planen einen ausreichenden Puffer ein, gerade bei geschäftlichen Reisen. Manche nehmen sogar extra eine S-Bahn früher, um in der Lounge noch einen Kaffee zu trinken oder Termine vorzubereiten."
Es gilt, die exklusive Nutzergruppe bei Laune zu halten. „Ich kenne als Bahncard-100-Fahrer alle Lounges in Deutschland", hat ein Reisender ins Gästebuch der Nürnberger Lounge geschrieben. „Von der neuen in Nürnberg bin ich ganz begeistert." Andere loben das „nette Personal", die Ohrensessel und die neue Zonen-Einteilung. Kritiker wünschen sich Wasser ohne Kohlensäure und eine Rückkehr des Fahrkartenverkaufs in der Lounge, den es bis Ende 2016 noch gab. Der Lounge-Beauftragte der Bahn erhält ebenfalls viele Rückmeldungen. „Manchmal geht es um ganz banale Dinge wie Sauberkeit oder eine defekte Kaffeemaschine", sagt Carsten Müller. Oder um verstopfte Toiletten – auch bei unserem Termin in Nürnberg war ein WC „unbenutzbar", wie es im Bahn-Jargon heißt.
Trotzdem überwiegt das positive Feedback, sowohl im Gästebuch als auch vor Ort. „Ich bin jeden Monat mindestens einmal in einer Lounge", sagt Martin Nicol, 65. „Ich finde es gut, dass man die Wartezeiten dort überbrücken kann." Am neuen Konzept gefallen ihm vor allem die Ohrensessel, weil man dort einen Raum für sich habe. „Nur München ist noch besser. Da gibt’s im Erste-Klasse-Bereich sogar was zu essen."
Kritik an Exklusivität
Christiane Rentzsch, 53, ist erst zum zweiten Mal in einer Lounge. Sie wartet auf ihren Anschlusszug und ist ebenfalls begeistert. Aber: „Ein Café, in dem man nichts bezahlt, ist für mich undenkbar. Die Gäste, die hier verkehren, könnten sich das leisten."
Die Bahn führt eine Statistik darüber, wie lange sich die Reisenden im Schnitt in der Wartezone aufhalten. Meist sind es zwischen 20 und 30 Minuten, je nach Standort aber auch deutlich mehr. In Hamburg etwa seien Aufenthalte zwischen vier und fünf Stunden nichts Ungewöhnliches, sagt Müller. Zum Beispiel, wenn Reisende auf ein Kreuzfahrtschiff warteten. So ist jede Lounge zwar vom Grundsatz her gleich ausgestattet. Dennoch gibt es lokale Unterschiede. Am Frankfurter Flughafen etwa liegt die Lounge direkt an der Rolltreppe, die von den Gleisen in die Wartehalle führt. Um Unbefugte abzuschrecken, ist die Toilette deshalb mit einem Zahlenschloss gesichert.
In Hannover wiederum hat man einen direkten Blick auf die Bahnhofshalle, was an machen Tagen skurrile Züge annehmen kann. Als im Oktober 2017 das Sturmtief Xavier über Norddeutschland hinwegfegte, brach ein Großteil der Zugverbindungen zusammen. Während sich in der Hannoveraner Bahnhofshalle Hunderte von gestrandeten Reisenden drängten, schlürften die Lounge-Gäste eine Etage höher in Ruhe ihren Cappuccino: ein beheizter Aufenthaltsort mit Ledersesseln, Getränken und Waschräumen, ist allemal bequemer als die eingesetzten Hotelzüge. Meist stört sich niemand an der Zwei-Klassen-Gesellschaft der Wartenden, doch bei Unwetter ist alles anders – hitzige Wortgefechte am Lounge-Eingang inbegriffen.
Die Empfangsdame in Nürnberg formuliert es so: „Wenn die Schiene läuft, läuft’s auch hier drinnen." Wer schon einmal an einem Bahnhof unterwegs gewesen ist, in dem reihenweise Züge ausfallen, kann sich gut vorstellen, wie die Stimmung an den Tagen aussieht, an denen „die Schiene nicht läuft". Der Fahrgastverband Pro Bahn fordert daher, dass auch die regulären Wartebereiche aufgerüstet werden. „Mit den Lounges sind wir im Großen und Ganzen zufrieden", sagt Pro-Bahn-Sprecher Karl-Peter Naumann. „Sie sind ein gutes Angebot für Vielfahrer." Man solle aber auch an alle anderen Fahrgäste denken und die Wartebereiche zumindest an den großen Bahnhöfen beheizen.
Manche Lounges sind unterteilt
Das neue Lounge-Konzept findet Naumann prinzipiell gut. „Nürnberg ist wunderschön geworden, sehr wohnlich, mit unterschiedlichen Sitzmöglichkeiten und Platz zum Telefonieren." Eine kleine Anregung fällt ihm dann aber doch ein: Auch Reisende der zweiten Klasse sollten doch bitte etwas zu essen bekommen. Manche Lounges sind, genau wie im Zug, nämlich nochmals unterteilt. In der ersten Klasse werden auch kleine Snacks serviert, in der zweiten Klasse müssen sich Reisende mit der Zapf-Station begnügen und sich dort selbst bedienen.
„Man könnte in der zweiten Klasse eine Gebühr für die Speisen verlangen", sagt Naumann. „Das wäre doch ein guter Kompromiss." Darauf angesprochen, entgegnet Lounge-Planer Müller, man kenne diesen Wunsch bereits. „Wir schauen uns an, wie groß dieser Bedarf tatsächlich ist", sagt er, ohne weitere Details zu nennen. Ohnehin stehe jetzt erst einmal der Umbau der anderen Lounges an: zunächst in Leipzig, danach in Stuttgart, wo im Rahmen von Stuttgart 21 sowieso der Hauptbahnhof umgekrempelt wird. Innerhalb der nächsten drei Jahre sollen die existierenden Lounges dann alle dem Nürnberger Modell folgen und modernisiert werden. Bis sich das Reiseverhalten irgendwann wieder ändert – und die nächsten Umbauten anstehen.