In Peter Hedges berührendem Drama „Ben is Back" stellt das plötzliche Auftauchen ihres drogensüchtigen Sprösslings Mama Holly vor fatale Entscheidungen, an der die gesamte Familie zu zerbrechen droht.
Es ist wirklich nicht alles Schnee, was weiß und pulvrig ist: Diese Erfahrung muss auch Holly Burns (Julia Roberts) schmerzlich machen. Ben ist plötzlich wieder da: Fluch oder Segen? Holly ist jedenfalls hin und weg, als sie mit ihren drei Kids die Auffahrt zu ihrem schmucken Vorstadthaus hochfährt und ihren 19-jährigen Filius Ben (Lucas Hedges) vor dem schmucken Vorstadthaus am Heiligen Abend erblickt. Eigentlich sollte der verschollene Sohn herzlichst willkommen sein. Doch Schwester Ivy (Kathryn Newton) reagiert mit eisiger Distanz. Ebenso harsch reagiert Stiefvater Neal (Courtney B. Vance), wähnte man(n) doch das Enfant terrible in der Reha. Ben war (ist noch?) nicht nur schwer rauschmittelabhängig, sondern hat auch eine blendende Karriere als Drogendealer mit süffisanten Mottos wie „Wer überhaupt keine Drogen benötigt, kann gar nicht normal und gesund sein", oder „Lieber Gras rauchen als Heuschnupfen!" hinter sich. Oft, viel zu oft, hat er deshalb alle getäuscht, seine Mutter nach Strich und Faden belogen, verletzt und alle mit falschen Besserungsversprechungen zutiefst enttäuscht. Deshalb stürzt Holly augenblicklich in die angsterfüllte Ambivalenz von Abschreckung und Annäherung, von Ekel und Entgegenkommen. Irgendwie will sie immer noch an das Gute in ihrem Sohn glauben. Allerdings mit verschreckter Vorsicht und mächtigem Misstrauen.
Flugs werden erst einmal alle infrage kommenden Objekte obskurer Suchtbegierden wie Arztrezepte und schnell zu verhökernder Schmuck sorgsam versteckt. Und das, obgleich Ben nach eigenen Angaben seit gut zwei Monaten clean ist. Der verlorene Sohn hat keine Chance. Ständig wird er von seinem neuen alten sozialen Umfeld stigmatisiert und provoziert. Selbst Bekannte glänzen nicht gerade mit der nun so nötigen, wärmenden Willkommenskultur, intimen Inklusion und respektierenden „Reintegration": Während des Einkaufens kassiert Ben feindselige Blicke, Hollys Bekannte ziehen sich abrupt zurück und sogar ein Wiedersehen mit seinem ehemaligen Hausarzt Dr. Crane (David Jackson) wird von klinisch kühler Kommunikationsflaute überschattet.
Vom Umfeld stigmatisiert
Es soll jedoch noch schlimmer kommen: Man hat in Ben einen Ex-Dealer erkannt. Kurz darauf wird Familienvierbeiner Ponce gekidnappt – und zwar von einem unberechenbaren Ex-Drogenkumpel, dem Ben angeblich noch Geld schuldet. Sogleich begeben sich Mutter und Sohn auf die Suche nach dem geliebten Hund. Dabei wird Holly in einer nicht enden wollenden Nacht knallhart mit Bens ehemaliger Lebenswelt aus Raub, Beschaffungskriminalität und erfrorenen Obdachlosen konfrontiert. Für Holly ist das eine zutiefst erschütternde Erfahrung, die durch Bens Geständnis schmerzhaft multipliziert wird: „Auf Drogen fühle ich mich viel sicherer, mehr geliebt, viel glücklicher und so heil, wie ich mich noch nie bei Dir fühlen konnte." Denn Drogen sind selten das Hauptproblem, sondern vielmehr sind es die gravierenden Probleme und Lebensängste an sich. Zutiefst mitfühlen ob dieser weltweit immer akuteren Problematik wird auch der Zuschauer bei diesem brillant und bestechend inszenierten und eindringlich bebildertem Drogen-Drama von Peter Hedges („Das wundersame Leben des Timothy Green", 2012), der mit seinem leiblichen Sohn als Hauptdarsteller Seite an Seite mit der empathisch aufspielenden Julia Roberts ein goldenes Regiehändchen beweist. Als Buchautor („Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa", 1993) und Regie-Ikone weiß er nur zu gut, wie wütende Dramatik in ebenso wuchtige wie leise Bilder gebannt werden. Lucas Hedges trägt seine seelische Pein im fein nuancierten Mienenspiel förmlich in den Kinosaal, und Julia Roberts meistert famos die verzweifelt-zerrissene Dichotomie einer über dem bodenlosen Abgrund balancierenden Mutter.
„Ben is Back" polarisiert ebenso im sozialpolitischen Sinne und geht mit dem maroden US-amerikanischen Gesundheitssystem, das Geringverdiener im Schneeregen darben lässt, harsch ins Gericht. Wenn im Land der mittlerweile sehr eingezäunten Unmöglichkeiten die Zahl der Drogenopfer und Abhängigen Jahr für Jahr epidemisch in die Höhe schnellt, muss sich die perfide monetär orientierte Versorgung samt ihrer Ärzteschaft die Frage gefallen lassen, wieso sogar bei lapidaren Blessuren Hammermittel verordnet werden, durch die man abhängig werden kann. Dennoch begeht diese im zweiten Teil an Tempo aufnehmende Familientragödie nicht den naiven Fauxpas, Eigenschuld zu verniedlichen. „Schlechter Umgang", „Schluss mit der Freundin" oder „schlimme Kindheit" taugen auch hier als Ausrede kaum. Überdies besitzen jüngere Weiße aus besseren Verhältnissen weitaus größere Chancen, schneller wieder „clean" zu werden als verarmte Drogenabhängige anderer Herkunft und Hautfarbe.
Darüber hinaus erwies sich Ben stets als unberechenbarer Wackelkandidat, wenn es um die schnelle Befriedigung seiner gefährlichen Gelüste ging. Das sind alles andere als verzeihbare Petitessen, die er durch bloße Lippenbekenntnisse und ständig gebrochene Versprechen nicht so einfach aus der Welt zu tilgen vermag. Klar, nicht nur für ihn ist doch das Leben immer viel einfacher gewesen, wenn er sich betäubte. Eine berührende Betäubung und beeindruckende Bedröhnung der besonders nachhaltigen Klasse bekommt der Betrachter bei diesem Kino-Kick. Der ist kostengünstig wie suchtbefreit und trotzdem wunderbar in seiner tiefen Breitenwirkung.