Jean-Baptiste Adamsberg ist der ungewöhnlichste Kommissar der gegenwärtigen Krimiliteratur: Er ermittelt nicht. Er träumt, lässt Gedankenblasen aufsteigen, geht spazieren. Und kommt so zu den aufregendsten Ergebnissen, die seine ungläubige Brigade, die ihn nur den „Wolkenschaufler" nennt, immer aufs Neue verblüffen.
Anfangs steht er auch in diesem Krimi „Der Zorn der Einsiedlerin" allein.
Alle finden, dass die Pariser Polizei ein Fall aus dem Süden Frankreichs nichts angeht. Vier alte Männer sind an Spinnenbissen gestorben, was eigentlich nicht sein kann. Denn das Gift dieser Einsiedlerspinne reicht objektiv bei Weitem nicht aus, jemanden umzubringen. Sind die Spinnen mutiert? Haben sie Insektizide aufgesaugt? In den sozialen Netzwerken wird wild spekuliert. Doch Adamsberg sieht mehr dahinter – auch weil sein Nacken jedes Mal schmerzt, wenn jemand die Einsiedlerin erwähnt.
Er kommt auf die Spur eines Waisenhauses, in dem in den 40er-Jahren Kinder von einer „Einsiedlerspinnenbande" gequält wurden, deckt Vergewaltigungen und merkwürdige „Unfälle" auf. Dann sterben weitere Männer – wieder an dem Biss der Einsiedlerin. Langsam wird offenbar, dass sie alle für etwas büßen müssen, was lange zurückliegt. Ein Rächer ist am Werk. Doch Adamsberg scheitert immer wieder an einem Punkt: Es ist ein Biss, aber man braucht mindestens zwei Dutzend Einsiedlerspinnen, um einen Menschen zu töten. Wie passen diese Fakten zusammen?
Der Roman lässt auch den Leser an Adamsberg zweifeln. Hat er sich verrannt? Was haben die Frauen damit zu tun, die sich im Mittelalter aus religiösen Gründen als Märtyrerinnen einmauern ließen, sogenannte „Reclusen"?
Fred Vargas, französische Historikerin und Mittelalterarchäologin, gelingt es, in ihrem Roman Wissenschaft und Fantasie so zu verweben, dass es spannend bleibt. Wieder ist ihr ein Krimi gelungen, der den Leser bis zur letzten Seite mit den Fragen fesselt: Wer war es? Und wie funktionierte es?