Im „Palsta" wird, der nordischen Geradlinigkeit verpflichtet, aufs Produkt geschaut. Aus zwei, drei Komponenten werden im Schillerkiez geschmacksstarke und überraschend raffinierte Gerichte kreiert und vorzugsweise Naturweine ausgeschenkt.
Es geht um die Zutaten, und es geht um den puren Geschmack. Von beidem gibt es mehr als genug auf den Tellern im „Palsta". Direkt am Tempelhofer Feld hat die neuzeitliche nordische Küche mit ihren einfachen, ausdrucksstarken Gerichten im Restaurant von Betreiberin Viivi Haussila-Seppo seit dem 17. August eine Dependance. Womöglich war es eine besonders kluge Strategie, auf ein Domizil in dem nicht so überlaufenen Eck vom Schillerkiez, am Ende der Herrfurthstraße linksherum, zu setzen. Ein Restaurant mit starkem Wein-Schwerpunkt, das in den Wintermonaten läuft, muss sich am Rand des Riesenparks um die Kundschaft im Sommer jedenfalls wenig Sorgen machen.
Das Konzept scheint aufzugehen. „Wir freuen uns besonders, dass auch so viele Leute aus der Nachbarschaft kommen", sagt Viivi Haussila-Seppo. Als unlängst Gäste sagten, sie seien eigens wegen des „Palsta" aus dem Prenzlauer Berg angereist, war Viivi „touched", wie sie sagt. Die 35-Jährige, eine versierte Restaurantmanagerin aus Helsinki, kam erst 2015 mit ihrem Mann Aleksi nach Berlin. Sie nimmt den Erfolg nicht für selbstverständlich. Gute Gründe gibt es im „Palsta" fürs Gelingen ohnehin genug: die Küche überzeugend, die Weine spannend, eine herzliche Atmosphäre im Service und ein kleines Küchenteam, das etwas reißen will. Die 40 Plätze sind zum Wochenende hin gut besetzt – das internationale Hipstertum, die Nordic-Food-Freunde und Touristen haben das „Palsta" auf dem Schirm.
In nordischen Ländern ist es üblich, dass man sich nur mit dem Vornamen anredet, also machen wir das ausnahmsweise in diesem Text auch. Viivi und ihr Team bringen ihren Gästen denselben Respekt entgegen wie den verarbeiteten Produkten. Schließlich will jeder von einem Restaurant, das mehr als Trend und Chichi sein will, immer wieder angesprochen werden. Dabei spielen womöglich auch die sehr fairen Preise von um die sieben, acht Euro für snackigere Teller und maximal um die 16 Euro für ein Fleisch- oder Fisch-Gericht eine Rolle. Ohne tolles Essen und guten Geschmack geht es dennoch nicht.
„No rules!" bei Speisen und Wein
Das ausschlaggebende „Peng" macht es sofort bei mir bei „Brokkoli mit Brokkoli und Brokkoli", wie ich das beinah monochrome Gemüsegericht in unserer zweiten Essrunde nenne. Der Geschmack von Brokkoli knallt auf jeder Ebene rein: Ein leicht angebräunter Grüngebirgszug zieht sich über den Teller, wird getoppt von einer Brokkolicreme und Rucolablättchen, benetzt von einer, jawohl, Brokkoli-Vinaigrette. Dazu, zum gefälligen Stippen, ein schlichter Hügel von Hüttenkäse mit geröstetem Buchweizen. Die milchige, kugelige Frische vom Weißkäse, der Crunch vom Getreide und die Spielarten vom Gemüse – mehr braucht kein Mensch. Na gut, vielleicht ein Stück vom dunklen, krustenreichen Brot, das von den Vorspeisen noch auf dem Tisch steht, zum Aufwischen sämtlicher Vinaigrette-Reste. Oh, ich könnte sofort noch eine Portion davon vertilgen!
Das wäre wiederum schlecht, weil wir schon eine Runde kleiner Gerichte hinter uns und noch Kabeljau, Schweinebauch und ein dänisches Dessert vor uns haben. Die nordischen und insbesondere dänischen Akzente setzt Küchenchef Filip Søndergaard in der offenen Küche im hinteren Drittel der Raumflucht. Zum Beispiel beim winterlichen Dessert mit „Æbleskiver", kleinen Apfel-Pfannkuchen aus einer speziellen Pfanne. Sie werden mit „Risalamande" – nein, keinem „Riesensalamander", wie ich mich verlese –, einem Milchreis mit Mandeln sowie mit Kirscheis gereicht. Die puffigen Mini-Krapfen sind ein typisch dänisches Gebäck, das insbesondere in der Adventszeit geschätzt wird.
Doch bevor Dänemark die Chance hat, uns cremig und wohlig aus dem Abend hinauszugeleiten, liegt erst einmal Island auf dem Teller. Unübersehbar in Form eines genau auf den Punkt gegarten, dicken Stückes Kabeljau. Allein der perfekte Biss, genau auf der Kante von gerade nicht mehr roh, aber auch nicht zu durch, stimmt unverzüglich euphorisch. In einer guten Pfütze Sud tummeln sich Miesmuscheln, Spinat, Mandeln und Rosenkohl. Der Fotograf, der sich im Laufe des jahrelangen gemeinsamen Essengehens zu einem Crunch-Experten entwickelt hat, ist ebenfalls vom Mandel-Knack entzückt, der dem schlichten Fisch und Gemüse den besonderen Twist verpasst. Ohne wär’s schon schön, mit ist es noch besser. Pech für die fischfrei essende Freundin, dass sie nur einen Löffel Sud nippen kann. Gut für uns, bekommen wir so noch mehr von diesem vollmundigen Gericht.
War da nicht was mit „Wine Bar" im zweiten Namensteil? Wir reden übers Essen, und es passiert genau das, was Viivi beschrieben hatte: „Filip ist ein so guter Koch mit einer so guten Küche, dass sich der Fokus inzwischen in Richtung Essen verschoben hat." Allerdings hat Wein-Experte Antoine Gaudio parallel dazu seinen überzeugenden Auftritt, und zwar mit Naturweinen. Er lässt uns zwei von den Weißen auf der Karte probieren. Schon sind wir überzeugt vom weniger geländegängigen der beiden, einem 2017er Weißen von Martin Otto Wörner. Die Naturwein-Cuvée aus Müller-Thurgau und Riesling darf uns mit würzigen, klaren und beinah schon ein bisschen bitter angeraspelten Noten durch die erste Runde begleiten. In der mir nicht so einfach zugänglichen Welt der Natur- und Orange-Weine gibt es also einiges zu entdecken.
Antoine sorgt mit Informationen und der Verführung durchs vergleichende Probieren höchst praktisch für die guten Argumente. Auch wenn er mit Georgien und Tschechien eher unbekannte Weinländer im Fokus hat, gibt es doch zumindest einen dänischen „Wild Cider" im Angebot – spontanvergoren und ungefiltert. Dass die Wein-Hälfte auf der einseitigen Karte genau so viel Raum einnimmt wie die Abteilung „Essen", macht deren Stellenwert im Großen und Ganzen klar. Gerade mal Neun zu Elf geht’s nach strenger Auszählung für das Essen aus. Aber genau das ist, worauf es eben nicht ankommt: „Wir machen keine Vorschriften", sagt Viivi. „Man kann einfach auf ein Glas hereinkommen und an der Bar seinen Wein trinken."
Mit Blick aufs Weinregal wechseln die Gäste vom Tisch an die Bar, probieren das eine oder andere Glas, diskutieren, machen Entdeckungen. Das geht bei einem Preis von fünf bis sieben Euro für 0,16 Liter ganz zwanglos los. Dann passt etwa ein Charcuterie-Teller gut. Das Highlight: eine hauchdünn geschnittene, geräucherte Entenbrust, die sich hervorragend mit den fermentierten Pflaumenspalten verträgt. Wenn’s bei der guten Grundlage wärmer sein soll, kann’s auch ein substanzielles Schälchen warmer Kartoffelsalat mit Lauch-Mayo, Babyleaf-Spinat und gebratenem Buchweizen sein. „So richtiges Soul Food", seufzt die Begleiterin. „Eine Portion davon und du weißt: ‚Mutti hat dich lieb, und alles wird gut.‘" Auf die klassisch nordische und farbenfrohe Art mit Graved Lachs, der von einem cremigen Eiersalat, Schwarzwurzeln und Forellen-Rogen begleitet wird, funktioniert das aber auch. Marinierte Zwiebelhütchen, geröstete Roggenbrot-Brösel und Kresse sind der gartenlastige Gegenpart zu den meerigen Komponenten.
Lokalsprache ist Englisch; bei einem dänischen Küchenchef, einer finnischen Chefin, einem französischen Weinkenner und internationalem Publikum ebenso naheliegend wie die Devise „No rules!" bei den Speisen und beim Wein. „Kroketten sind nicht besonders nordisch, aber einfach delicious", gibt Viivi ein Beispiel. Ziegenkäse-Kroketten mit Tomaten-Aioli hören sich in der Tat ausgesprochen deliziös an. In skandinavischen Ländern wird schließlich nicht nur nordisch gegessen, selbst wenn sich bei den ambitionierten Küchenchefs nach den Erfolgen von „Noma", „Fäviken Magasinet" und Co. die Rückbesinnung auf die eigenen kulinarischen Wurzeln durchgesetzt hat. Und ja, ein weiterer Koch aus Finnland im dreiköpfigen Küchenteam wäre schon gut, ist aber selbst in Berlin nicht einfach zu finden, weiß Viivi. Ein Fleischgericht auf der Karte reicht, es stünden eher Fisch und vor allem Gemüse im Vordergrund, erklärt sie. Viivi gibt im Restaurant die grobe Richtung vor, Filip Søndergaard entwickelt die Gerichte – je nach saisonalem Angebot und Inspiration.
Manchmal muss im „Palsta" eine charmante Spielerei mit auf den Teller. Bei unserem vorweihnachtlichen Besuch bekommen wir im Fleischgang Schweinebauch „mit Christbaumkugeln", wie es der Begleiterin entfleucht. Wir sind uns krachend, knuspernd und zum weichen Unteren des Fleischs durchbeißend einig: „Schwein kann Deckel." Kruste als Kernkompetenz von Tier und Küche sind uns eine große Freude. Rotkohl, als Creme und in großen Halbmondstreifen auf dem Teller drapiert, sendet dekorative essbare „Season’s Greetings" mit knallroten Preiselbeeren und hellbraunen Haselnüssen on top.
Die kleine Karte ist glücklicherweise nicht in Stein gemeißelt, sondern auf ein einziges Blatt Recyling-Papier gedruckt. „Und man soll das alles nicht überinterpretieren", sagt Viivi. „Wir kochen, was wir gern essen, und wir schenken aus, was wir gern trinken." Ein bisschen was fällt jede Woche aus der Karte heraus, alle zwei Wochen etwas mehr. Das ist umso angenehmer, wenn man Nachbar oder Stammgast ist oder werden möchte –
die Mischung aus Konstanz und Abwechslung sorgt für genau den richtigen Mix aus Vertrautheit und Überraschung. Ohne Frage: Das „Palsta" hat das Zeug zum unkomplizierten nordischen Dauerbrenner in Neukölln.