Manche Bands sind unkaputtbar: Nach dem Tod ihres Frontmanns Glenn Frey schienen die Eagles am Ende angekommen zu sein. Doch nun steigt die Band wie ein Phönix aus der Asche und präsentiert ein voluminöses Legacy-Boxset. 2019 möchten die runderneuerten Adler auch in Deutschland landen.
Wer die Eagles zum Interview treffen will, muss ihnen wohl oder übel hinterherfliegen. Das kann auch schon mal eine halbe Weltreise bedeuten. Der Autor dieser Zeilen traf die umtriebige Band einmal im fernen Taiwan. Dort gönnte sie sich einen freien Tag inmitten einer anstrengenden Welttour.
Wären da nicht die Falten und Bauchansätze der Musiker, käme man sich vor wie gefangen in einer Zeitkapsel. Die 1970er-Jahre sind ohne die Songs der Eagles über Western-Outlaws, Kalifornien und Tequila undenkbar. Das Album „Their Greatest Hits (1971-1975)" gilt mit 38 Millionen Einheiten bis heute als das meistverkaufte in der US-Musikgeschichte. 1998 wurden die Eagles in die Rock and Roll Hall Of Fame aufgenommen. Die Gruppe um Don Henley (71), Joe Walsh (70) und Timothy B. Schmit (70) kann auch nach einer halben Ewigkeit im Rockbusiness noch künstlerisch überzeugen, besonders Henleys warme, leicht nasale Stimme und Schmits süßlicher Falsett erzeugen wohlige Schauer. Ihre dreistündigen Konzerte sind technisch perfekt, jede Nuance wirkt einstudiert, die Songs haben kaum Ecken und Kanten. Mit Ausnahme der rockigen Soloeinlagen des Leadgitarristen Joe Walsh klingt alles rund und schön, manchmal aufwendig mit zusätzlichen Bläsern und Keyboards.
Dass die Band überhaupt noch existiert, grenzt an ein Wunder. Gründungsmitglied Glenn Frey, einer der erfolgreichsten Songschreiber in der Geschichte der Rockmusik, starb im Januar 2016 im Alter von 67 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung. Bei der Beerdigung sang sein Sohn Deacon (24) die Eagles-Ballade „Peaceful Easy Feeling". So schwer ihm das auch gefallen sein muss – in dem Moment wirkte der junge Gitarrist und Sänger auf Don Henley mutig und gefasst. Wenige Monate später wurde Deacon Frey offizielles Mitglied der reformierten Eagles – neben dem anderen Neuzugang Vince Gill (61). Der 20-malige Grammy-Gewinner und Gitarrist aus Nashville war ein Golfpartner von Glenn Frey und passt mit seinem vom Country infizierten Pop-Sound perfekt zu den Eagles. „Er ist wahrscheinlich der fröhlichste Typ auf der Bühne", witzelt der Multiinstrumentalist und Leadsänger Don Henley.
Ob die Band in dieser Besetzung jemals ein Studio betreten wird, steht in den Sternen, zumal die Eagles in ihrer fast 50-jährigen Karriere nur sieben reguläre Studioalben veröffentlicht haben. Diese gingen zusammen mit diversen Liveplatten und Hitkopplungen bis heute über 150 Millionen Mal über den Ladentisch.
400 Euro für vordere Sitzplätze
Nun wurde das Gesamtwerk der Band stilvoll wiederveröffentlicht – in Form einer schweren Vinyl-Box mit 15 Studio- und Live-LPs beziehungsweise einer Box mit zwölf CDs, einer DVD und einer Blu-ray. Die Vinylversion verzichtet auf die Konzertvideos „Hell Freezes Over" und „Farewell Tour: Live From Melbourne", dafür sehen die Pressungen erstklassig aus und kommen zusätzlich mit einem Hardcover-Buch im LP-Format daher. Der renommierte Toningenieur Bob Ludwig hat die Liveaufnahmen sowie die Singles- und B-Seiten-Zusammenstellung remastered. Die beiden Boxen sind nichts für den schmalen Geldbeutel, aber bieten viel fürs Geld. Auch wer den Eagles bei ihrer Reunion-Tour richtig nahe sein will, also in einem der bestuhlten vorderen Blöcke, muss dafür tief in die Tasche greifen: rund 400 Euro. Die billigsten Sitzplätze gibt es für rund 70 Euro.
Für die Fans der Eagles ist eine Show ohne „Hotel California" unvollständig. Hat die Band jemals darüber nachgedacht, ihren Erkennungssong einfach wegzulassen oder ihn völlig umzukrempeln à la Bob Dylan? „Nein, wir denken nicht an künstlerischen Selbstmord", kontert Don Henley. „Die Kritiker lieben es, wenn Dylan seine Klassiker durch den Wolf dreht, aber wenn sie mich fragen, ruiniert er damit seine Karriere. Seine Performance bei den Grammys war definitiv nicht gut! Die Leute haben gewisse Erwartungen an uns, wir sind keine experimentelle Band, wir sind ziemlich vorhersagbar. Dafür werden wir von Kritikern ganz schön niedergemacht. Aber nur, weil das Publikum uns so mag, wie wir sind, gibt es uns immer noch. Die Leute haben eine emotionale Verbindung zu den Originalfassungen, die sie aus dem Radio kennen. Deshalb kommen sie auch zu unseren Konzerten. Junge Leute entdecken die Eagles in der Plattensammlung ihrer Eltern."
Das berühmte, mit zwei Gitarren gespielte Solo gegen Ende von „Hotel California" wurde von den Lesern des „Guitarist"-Magazins zum besten aller Zeiten gewählt. Der Song selbst erhielt 1978 einen Grammy. Als der damalige Leadgitarrist der Eagles, Don Felder, das Originaldemo in seinem Haus in Malibu aufnahm, hatte er bereits alle Soli geschrieben. Bei den Bandsessions zum nächsten Studioalbum ein Jahr später wollte er sich eigentlich mit Joe Walsh bei den Soli abwechseln, aber Don Henley bestand darauf, dass Felder genauso spielt wie auf dem Demo. Das Tape befand sich aber in seinem Haus ein paar tausend Meilen entfernt. Also rief Felder seine Frau an, die ihm dann das Demo heraussuchte und am Telefon vorspielte.
Die meisten Songs spielt Joe Walsh wie im Schlaf, aber „Hotel California" ist für den Supergitarristen nach wie vor eine Herausforderung. „Man muss ganz wach und konzentriert sein, um das Doppel-Gitarrensolo perfekt hinzubekommen", erklärt der Schwager von Ringo Starr. „Man muss hier sehr flink die Bünde wechseln. Der Song hat komplizierte Nuancen. Es soll ja nicht klingen wie ein entgleister Zug."
Die Eagles wurden zum Synonym für Amerika. Aber sie müssen auch etwas haben, das Menschen in Deutschland, der Schweiz, Asien oder Australien anspricht. Sieht die Band sich selbst als kulturelle Botschafter ihrer Heimat? „In solchen Kategorien denken wir nicht", sagt Don Henley. „Wir haben vor ein paar Jahren erstmals in China und Taiwan gespielt. Amerikanischen Rock’n’Roll kennt man dort erst seit 25 Jahren, aber jetzt sprießen auch in diesen Ländern Bands aus dem Boden. Ich kann nicht erklären, weshalb wir in Asien so viele Fans haben. Das Wort „Kalifornien" hat wohl eine symbolische Bedeutung für viele Menschen, es steht für westliche Pop-Kultur. Amerikanische Kultur wurde bis in den letzten Winkel der Welt exportiert. Ich bin nicht sicher, ob ich das immer gut finden soll, aber die Popularität des Songs „Hotel California" hat auch etwas mit dem Wort „Kalifornien" zu tun. Wie es Grand Funk schon sagten: Wir sind eine amerikanische Band. Joe wuchs in New Jersey, Ohio und Kansas auf, ich bin Texaner und Timothy ist unser Alibi-Kalifornier. Bei uns verschmelzen Elemente aller amerikanischen Spielarten: Blues, Bluegrass, Country, Rhythm’n’Blues, Rock.
Joe Walsh hat sämtliche Höhen und Tiefen des Musikgeschäfts durchlebt und sich durch „Life‘s Been Good" selbst ein Denkmal gesetzt. Für den Gitarrengott gibt es heute nichts Schöneres, als in dieser Band zu sein. „Es kann passieren, dass man dieses Gefühl eine Zeit lang nicht hat, aber es kommt immer wieder. Dann hat man keine Kontrolle mehr über das, was man da gerade macht. Jeden Abend um Punkt 20 Uhr muss ich dem Publikum weismachen, dass ich immer noch 25 bin – und zwar für drei Stunden. Diese Art von Disziplin liebe ich."