Matthias Musche ist der mit Abstand beste Torschütze der Bundesliga und ein Hoffnungsträger für die Handball-WM im eigenen Land.
in Magdeburg fühlt sich Matthias Musche fast wie ein kleiner König. Der Linksaußen des Handball-Bundesligisten SC Magdeburg ist nicht nur ein Kind der Stadt und des Vereins, er spielt bislang auch eine herausragende Saison und ist mit seinem blonden Rauschebart und den kessen Sprüchen auch eine Marke geworden. „Ich kann mittlerweile kaum noch anonym irgendwo hingehen", sagt Musche. „Manchmal nervt es, wenn man ständig angequatscht wird. Es hat aber definitiv auch seine schönen Seiten."
Denn eigentlich klopfen sie ihm beim Bäcker, im Supermarkt oder in seiner Lieblingskantine derzeit alle nur auf die Schultern. Mit 152 Toren in den ersten 17 Ligaspielen führt der 26-Jährige einsam die Torschützenliste an. Fast noch beeindruckender ist seine Wurfquote von fast 80 Prozent. Der Zweitplatzierte, Tim Hornke von der TBV Lemgo, hat mit 123 Treffern schon einen gehörigen Rückstand und dürfte sich beim Weihnachtsfest einige Sticheleien von Musche gefallen lassen. Denn Hornke ist mit Musches Cousine verheiratet. „Wenn sich Matthias nicht verletzt", sagt Hornke, „dann wird er sich in dieser Saison ganz bestimmt die Torschützenkrone holen." Davor soll Musche aber noch den SCM in die Europacup-Ränge und die deutsche Nationalmannschaft möglichst zum Titel bei der Heim-WM im Januar werfen. Beim WM-Testspiel der Bad Boys Mitte Dezember in Rostock gegen Polen (35:23) war Musche mit sechs Toren erfolgreich.
„Wir sind mit dem Ergebnis und dem Spiel ganz zufrieden", sagt Musche, der selbstbewusst in die Titelkämpfe geht: „Das Halbfinale wäre richtig cool, und danach ist ja bekanntlich immer alles möglich." An das Wintermärchen von 2007, als Deutschland für ein paar Wochen im Handball-Fieber war, hat Musche noch gute Erinnerungen. Das Finale habe er zusammen mit seiner Handballer-Familie geschaut, „das war schon unglaublich", sagt er. Die DVD der Doku „Projekt Gold", die er sich gleich danach gekauft hatte, steht noch immer in seinem Regal. Jetzt will Musche selbst Handball-Geschichte schreiben. Die WM 2015 in Katar war bislang sein einziges großes Turnier mit der Nationalmannschaft, beim Debüt des damaligen Bundestrainers Dagur Sigurdsson stand Platz sieben als Endergebnis. Als das Team ein Jahr später bei der EM in Polen zum ganz großen Wurf ausholte, hatte ihn eine Knieverletzung im linken Sprungbein gestoppt. Bei der Titelverteidigung im Jahr 2018 fehlte der Name Musche im Aufgebot von Neu-Bundestrainer Christian Prokop.
152 Tore in den ersten 17 Ligaspielen
Prokop wurde danach stark für seine Nominierung kritisiert, auch von Musche. Doch das gehört der Vergangenheit an, der Magdeburger hat sich einen festen Platz im DHB-Team erkämpft, eine Nicht-Nominierung des besten Bundesliga-Schützen wäre diesmal ein kleiner Skandal. Dass Musche aber auch bei der WM zu den besten Werfern gehören wird, ist dennoch eher unwahrscheinlich. Denn auf seiner Position des Linksaußen hat er den wohl stärksten Konkurrenten überhaupt vor der Nase: Uwe Gensheimer. Der Profi vom Topklub Paris Saint-Germain gilt als vielleicht einziger Weltklasse-Feldspieler im deutschen Team und dürfte von Prokop vorerst den Vorzug gegenüber Musche erhalten. Kein Problem, findet dieser. „Uwe hat jahrelange Champions-League- und Nationalmannschafts-Erfahrung. Das kann sehr hilfreich sein", sagt Musche und vergleicht seine Situation im Nationalteam mit der in seinem Verein: „Als ich beim SCM angefangen habe, da war ich auch nicht sofort Stammspieler. Das ist keine unbekannte Situation für mich."
Die Zeiten, in denen Musche sich in Magdeburg hinten anstellen muss, sind aber längst vorbei. Durch den langen Ausfall von Lukas Mertens (Kreuzbandriss) kommt Musche in dieser Saison auf deutlich mehr Einsatzzeit, und er darf jetzt auch Siebenmeter werfen. Er war mitverantwortlich für den SCM-Startrekord von sieben Siegen in Folge, zwischenzeitlich träumte man in der GETEC Arena sogar vom ersten Meistertitel seit 2001. „Ich würde wahrscheinlich heulen vor Freude", sagte Musche. Die Tränen kann er sich wohl sparen, zu souverän agiert Tabellenführer SG Flensburg-Handewitt. Doch für Musche bedeutet die Saison schon jetzt der große Durchbruch. Der 26-Jährige befindet sich in der Form seines Lebens. Ein Satz, den er selbst nicht so gern hört. „Das ärgert mich immer ein bisschen", sagt er, „denn ich bin einfach der Meinung, dass ich auch in den vergangenen drei Jahren schon gute Leistungen gebracht habe." Aber eines muss er zugeben: „In Sachen Konstanz habe ich einen Schritt nach vorne gemacht." Außerdem ist Musche im Magdeburger Team als Typ unersetzlich. Der extrovertierte Spieler pusht seine Teamkollegen und die ganze Halle. Bei ihm sei es schon „ein bisschen wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde", gibt Musche zu. „Ich kann sehr ruhig und sehr entspannt sein, aber auch genau das Gegenteil." Er brauche diese Emotionalität, um Höchstleistungen zu bringen. „Ansonsten würde das Spiel irgendwie an mir vorbeilaufen", sagt er. Außerdem wolle er dem Publikum immer auch eine gute Show bieten: „Wir spielen einen Zuschauersport, und da füllt auch jeder eine Rolle aus."
Mit seinen vielen Toren, seinem mitreißenden Charakter auf dem Parkett und seinem authentischen Auftreten daneben hat er sich zu dem Aushängeschild des SC Magdeburg entwickelt. Das kommt einem bekannt vor? Genau, die Parallelen zum einstigen SCM-Idol Stefan Kretzschmar sind unverkennbar. „Ich glaube", sagt Club-Geschäftsführer Marc-Henrik Schmedt, „dass Musche nach Stefan Kretzschmar die zweite Marke im Handball werden kann." Auch Bob Hanning, Vizepräsident des Deutschen Handball-Bundes (DHB), ist froh, dass sich Musche nicht verbiegen lässt: „Typen wie Matthias Musche haben durchaus das Potenzial, die Menschen zu begeistern. Durch sportliche Leistungen, aber eben auch durch ihre Emotionalität und ihr sympathisches Auftreten."
Bei Musche, der den Fußballprofi Sergio Ramos (Real Madrid) als sein sportliches Vorbild nennt, potenziert es sich noch mal, weil seine Verbundenheit zu Magdeburg und dem SCM so enorm hoch ist. Er ist in Magdeburg geboren, ist in der Jugendabteilung des Clubs ausgebildet worden und hat nie für einen anderen Verein gespielt. Im September hat er seinen Vertrag beim SCM bis 2024 verlängert. Nach Vertragsende ist Musche 32 Jahre alt – und vielleicht bereit für ein Handball-Abenteuer fernab der Heimat. Er wolle seine Karriere „auf keinen Fall mit 32 Jahren beenden". Magdeburg ist aber sein allererster Ansprechpartner.