Vieles wird anders im Tennisjahr 2019. Nicht nur in der Spielerszene, in der die Jüngeren immer mutiger werden. Markantester Wandel: Der klassische Davis Cup ist tot, die Wiederbelebung des ATP Cups läuft.
Früh endeten die kurzen Ferien für die Profis unter den Tennisspielern. Vorweihnachtszeit heißt bei ihnen Vorbereitungszeit auf die neue Saison. Stemmen, Rennen, Ausprobieren. Kondition und Technik werden zur Nährlösung für ihre nächsten Saison-Erfolge. Die Rund-um-Zwanzigjährigen, die zum Jahresende 2018 noch erstaunliche Siege einfuhren, strengten sich besonders beim Mentaltraining an. Sie wollen weitere Top-Ten-Positionen von den immer noch erfolgreich spielenden Legenden der 30-Plus-Generation um Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic, Juan Martin del Potro und den um Rückkehr kämpfenden Ex-Big-Four-Star Andy Murray, sowie Stan Wawrinka, übernehmen. Sieben der zehn Spitzenmänner sind derzeit 30 Jahre und älter, kein aktiver Grand-Slam-Sieger ist jünger als 30 Jahre.
Exakt so ein 31-Jähriger, der schon mal Hilfe bei einem Guru suchte, weil ihm die Ziele ausgingen, hat jüngst die größte Herausforderung der Tennisgeschichte der Offenen Ära für sich entdeckt und will sie 2019 starten: Der „Djoker", Novak Djokovic, will die 20 Rekord-Grand-Slam-Titel des Schweizers Federer knacken. Die Major-Trophäen 13 und 14 hatte sich der Serbe in Wimbledon und bei den US Open 2018 geholt, nachdem er zu seinem alten Trainer Marian Vajda zurückgekehrt war und alte Stärken hervorgekramt hatte. Wieder Nummer eins der Welt zu sein, nach viel Frustration und Rückschlägen, das ist spitze. Aber Rogers Rekorde schlagen, auch wenn der Spieler mit den meisten Grand-Slam-Titeln sieben Jahre älter ist als Djokovic? „Ja, ich glaube daran", bekundete der Ex-Schützling der deutschen Tennislegende Boris Becker gegenüber der serbischen Zeitung „Sportski Zurnal". An Willen mangelt es dem charismatischen 31-Jährigen nicht: „Ich weiß nicht, ob es passieren wird. Aber ich bin selbstbewusst, dass es so sein könnte. Ich will das wirklich."
Der „Djoker" greift an: Eine enorme Herausforderung ist das auch für den ehrgeizigen Federer, der eigentlich allmählich über seinen Abgang von den Courts der Welt nachdenkt. Also besser noch ein, zwei oder drei Grand-Slam-Titel drauflegen auf die Rekord-20? Die Sandplatz-Krone der French Open doch nicht kampflos dem 32-jährigen Nadal überlassen, der mit 17 Titeln noch ein Stück näher an Rogers Rekord dran ist, 2018 alles gab und als Nummer zwei der ATP-Zählung ins neue Jahr geht? Den Turnierkalender 2019 wieder mit mehr Terminen füllen? Schließlich hat der 37-Jährige festgestellt, dass lange Pausen, speziell eine ausgelassene Sandplatzsaison, mit Muskelkater-Attacken in „echten" Matchwochen bestraft werden – Luxussorgen aus den Kreisen der verbliebenen drei der Big Four, deren ewige Fitness den Nachrückern zu schaffen macht.
Zverev Vierter der Weltrangliste
Doch die Wechselatmosphäre heizt sich zum Start des neuen Tennisjahres heftig auf. Eingedenk der beachtlichen Erfolge der 20er-Generation am Ende der 2018er-Saison. Zielrichtung Top Ten: Bislang ist lediglich die deutsche Nummer eins, Alexander („Sascha") Zverev, aus der nächsten Generation, der „NextGen"-Gruppe der unter 25-Jährigen Profis, souverän unter die ersten Zehn der ATP-Tenniswelt eingezogen. Der 21-Jährige rangiert aktuell auf Position vier, war auch schon längere Zeit Dritter. Zudem ist er amtierender ATP-Weltmeister, sprich: Gewinner der ATP Finals in London zum Saisonabschluss 2018, der im Halbfinale Federer und im Finale Djokovic bezwang. Seine Top-Ten-Verstärkung mit Altersgenossen steht vor der Tür: Nach Angaben der Spieler-Organisation ATP sind zum Jahreswechsel erstmals seit 2006 fünf weitere Sportler, die jünger als ein Vierteljahrhundert sind, auch auf den Positionen zwischen elf und 20 zu finden. Jeder mit seiner ganz eigenen Vorgehensweise, ob Karen Khachanov (siegte in Moskau), Borna Coric (holte den Titel in Halle im Finale gegen Federer), Kyle Edmund (erster Turniersieg in Antwerpen), Stefanos Tsitsipas (erster Profiturniersieg in Stockholm) oder Daniil Medwedew (besiegte Kei Nishikori im Endspiel von Tokio).
Der „Head" des deutschen Herrentennis Becker prophezeite als Experte bei Eurosport eine Saison, die erstmals sogar bei den vier wichtigsten Turnieren von einer neuen Generation geprägt sein könnte: „Der Kampf um die Tennis-Krone wird das Thema für 2019 sein. Ich würde auf jeden Fall immer noch Djokovic als Favoriten sehen. Aber die Zeit der Jungen, angeführt von Zverev, Stefanos Tsitsipas, Denis Shapovalov, Alex De Minaur und Karen Khachanov, ist gekommen. Ich bin überzeugt, dass einige von diesen Jungen auch bei der Vergabe der Grand Slams mitreden werden."
Der 22-jährige Khachanov, jetzt schon Nummer elf im rundreisenden Tenniszirkus, greift die Großen der Ü30-Generation besonders heftig an. Er lässt deren Unbesiegbarkeit bröckeln – macht aber auch den „Zwanzigern" das Leben schwer. So wie beim letzten ATP-Masters-1000-Turnier der Vorsaison in Paris-Bercy, bei dem Khachanov zunächst Zverev (21 Jahre), dann Dominic Thiem (25 Jahre) und im Finale sogar den stärksten Rückkehrer 2018, die amtierende Nummer eins der Tenniswelt, Djokovic (31 Jahre) aus dem Wettbewerb verabschiedete. Eine knappe Viersatz-Niederlage gegen Nadal, nach viereinhalb Stunden auf höchstem Level in der dritten Runde der US Open, motivierte den jungen Russen, noch härter zu trainieren: Er hatte Chancen gewittert, erkannt, dass er auf dem Niveau der Großen mitspielen kann, wurde gefeiert. Landsmann Medwedew (22 Jahre), der in Singapur in der vergangenen Saison erst im dritten Finalsatz Federer (37 Jahre) 4:6 unterlag, zittert als bereits 16. der Herren-Zählung ebenfalls kaum noch vor den Granden ihres Sport: „Ich habe begriffen, dass ich Spieler wie Roger Federer schlagen kann."
Spaß dürfen Training und Strategieschärfung auch machen: Etwa beim „Unterwassertennis", das der Kroate Borna Coric, als „next big thing", als nächste große Sache, in den sozialen Medien postete. Der Weltranglisten-Zwölfte brachte zusammen mit dem ATP-Siebten, Marin Cilic, Kroatien Ende November den letzten Sieg in einem Davis-Cup-Finale nach altem Modus. „Es war ein perfektes Wochenende, wir haben alle davon geträumt. Ich bin unglaublich stolz auf das Team", lobte Cilic, der auch so ein „Dreißiger" auf der Höhe seiner Karriere, wie Djokovic und Juan Martin del Potro, ist. Kein Wunder nach all der Anerkennung, dass der 22-Jährige Coric unter Wasser gut gelaunt urlaubte. Der Grieche Tsitsipas macht lieber optisch auf Pirat und wird auch in der neuen Saison wieder mit einer einhändigen Rückhand, einem seltenen und effektiven Mittel, angreifen. So wie einst Pete Sampras, der sich mit Djokovic Rang drei bei 14 Grand-Slam-Titeln in der noch aktuellen Rekordwertung teilt.
„Der Wettbewerb ist tot"
Aus der Generation des 42-jährigen Sampras stammt übrigens auch Angelique Kerbers neuer Trainer, Rainer Schüttler. Der 42-jährige ehemalige Australian-Open-Finalist hat nach Aussagen der Nummer zwei der Damen-Tennis-Welt folgende Vorzüge: „Die Sprache, seine Erfahrung, auch als Spieler auf der Tour, und dass er jemand ist, mit dem man Spaß haben und dem man vertrauen kann." Auf ihr bewährtes Team setzt hingegen die deutsche Nummer zwei, Julia Görges, die 2018 in ihrem Karrierehoch auf Platz neun der Frauen-Tennisweltwertung sprang und 2019 ihre bislang besten Chancen auf einen Grand-Slam-Titel hat. Denn auch Serena Williams ist neuerdings nicht mehr unbesiegbar.
Beim Hopman Cup in Australien starteten Deutschlands Erste, Zverev und Kerber, Ende Dezember 2018 wieder gemeinsam in die neue Saison. Das letzte Mal, so wie es aussieht. Ab 2020 wird der beliebte Mixed-Show-Wettbewerb vom wiederbelebten ATP Teamwettkampf verdrängt, der künftig „ATP Cup" heißen soll und die einzelnen Spieler mit vielen Punkten zu Höchstleistungen bereits am Saisonstart anspornen könnte. Zeitnah und deshalb in Rivalität zum komplett reformierten Davis Cup.
Alexander Zverev will am 1. und 2. Februar 2019 in Frankfurt bei der Vorrunde des komplett umstrukturierten Davis Cups gegen Ungarn dabei sein. Jedoch nicht im November 2019, beim großen Nationenfinale des neuen Davis Cups, der erst nach dem Finale der ATP-Tour stattfindet. Platziert exakt in einer der zwei Wochen, die den besten Spielern als knappe Urlaubszeit zur Verfügung steht. Terminiert als Urlaubsunterbrechung für diejenigen Profis, die etwas früher in die Regeneration starten. Ungünstig.
Kein Wunder, dass bislang nur ein einziger Top-Ten-Spieler seine Teilnahme avisiert hat: Rafael Nadal. Der ATP Cup und der substanzlos sowie gegebenenfalls spielerlos gewordene Davis Cup könnten deshalb zusammengelegt werden. Anderen Überlegungen zufolge würden ein dann ebenfalls reformierter Fed Cup und der Davis Cup am gleichen Ort, zur selben Zeit, ausgetragen. Yannick Noah, Kapitän der französischen Mannschaft, sagte beim letzten Finale nach alter Art vor 20.000 Zuschauern in Lille: „Wenn diese Leute es im nächsten Jahr auch noch Davis Cup nennen, ist das nichts als eine Lüge. Lassen Sie sich nichts vormachen: Der Wettbewerb ist tot."
Das neue Jahr wird spannend. Der Tenniszirkus ist aus dem gewohnten, auch aus dem geliebten Trott. Seine Zukunft wird sich 2019 entscheiden.