Neunkirchen steht trotz sichtbarer Erfolge im Strukturwandel vor großen Herausforderungen. OB-Kandidat Jörg Aumann (SPD) über Migration, Integration, Stadtentwicklung und die Zukunft als „Smart City".
Herr Aumann, für unser Gespräch haben Sie das Brauhaus am Wasserhaus vorgeschlagen. Warum dieser Ort?
Die ganze Anlage ist ein Symbol, im Fokus des Wandels. Man sieht mit jedem Blick, wo die Stadt herkommt, was die Stadt ausgemacht hat – aber auch, was Neues entstanden ist. Das Zentrum von Neunkirchen, da brauchen wir uns nichts vorzumachen, ist immer noch das ehemalige Hüttengelände.
Sind die größten Brocken im Strukturwandel geschafft?
Es ist schon ein großer Brocken, der gelungen ist. Im Sportjargon würde man sagen: Strukturwandel ist ein Marathon, es dauert lange. Lange Jahre. Ich glaube, in den Köpfen vieler ist der Strukturwandel noch nicht vollzogen. Ich bin ein absoluter Verfechter des Wegs, den wir eingeschlagen haben unter dem Motto: Wandel durch Kultur, Kultur durch Wandel. Ich bin total happy, wie das gelingt mit der Gebläsehalle, dem Musicalprojekt, dem Günther-Rohrbach-Preis. Aber eine solche Metamorphose vollzieht sich, wie in der Biologie, nicht von einer auf die andere Sekunde. Das Bekenntnis zur Hütten- und Montanstadt sollte man sich auch bewahren, denn das ist, was Neunkirchen ausmacht. Ich habe das mal als „trotzig-ehrliche Attitüde" bezeichnet. Weder Jürgen Fried noch der Stadtrat wollen das alte Image abstreifen und nur noch Kulturstadt sein, wie oft behauptet wird. Ich persönlich würde das auch für falsch halten. Man soll sich zu seinen Wurzeln bekennen, und das tun wir.
Zur Realität der Stadt gehören aber auch die sozialen Probleme.
Ja, wir haben Probleme. Eine reiche Stadt war Neunkirchen nie, auch nicht, als die Hütte noch gut lief. Die Arbeiter waren keine reichen Menschen. Und nach dem Niedergang der Hütte sind viele, die es sich leisten konnten, weggezogen. Bei vielen Wohnungen in der Unterstadt haben wir keine gute Eigentümerstruktur. Billiger Wohnraum zieht natürlich auch Menschen an, die sich keine teuren Wohnungen leisten können. Wir haben vor allem mit dem Zuzug von Menschen aus Osteuropa einen sehr starken Wandel in der Demografie. Diese schnelle und starke Veränderung weckt bei vielen auch Unwohlsein und Ängste – das verstehe ich. Ich sehe jeden neuen Bürger zunächst auch als Chance für die Stadt. Aber die Leute, die hierherkommen, sind in der Regel keine Weltraumphysiker oder Chirurgen. Es wird eine der zentralen Aufgaben in den nächsten sein, die Veränderungen in der Demografie zu managen.
Was heißt das für Sie konkret?
Wichtig sind Bildung, Erziehung, der schulische und vorschulische Bereich. Da müssen wir noch viel mehr machen als bisher schon geschieht. Dabei geht es vor allem darum, früh die Sprache zu erlernen. Ich erwarte da auch von Migranten eine gewisse Bereitschaft und einen gewissen Fleiß, die deutsche Sprache zu lernen, das ist nicht zu viel verlangt. Aber auch wir müssen noch mehr machen. Ich will nochmal auf das Bildungsministerium zugehen. Ich verstehe zwar, dass man in einem kleinen Land die Hilfen für Bildung breit streuen will, aber die müssen vor allem dorthin, wo sie am Nötigsten sind. Das sind Saarbrücken, Völklingen und eben Neunkirchen, also dort, wo die meisten Migranten sind. Und neben der Sprache halte ich die Integration über Vereine für ganz, ganz wichtig. Vor allem Sportvereine sind der niedrigschwelligste Einstieg.
Wohin soll sich Neunkirchen mit einem Oberbürgermeister Jörg Aumann entwickeln?
Neunkirchen muss sich über die Innenstadt entwickeln. Wenn die Innenstadt attraktiv ist, strahlt das auch auf die Stadtteile aus. Wenn die Bliesterrassen fertig sind, davon bin ich überzeugt, wird das den Leuten sehr gefallen. Architektonisch könnte es schöner sein, aber unter den gegebenen Umständen – die alte Bliespromenade war auch kein Prachtstück – ist das schon sehr schön. Es gibt aber noch viel Arbeit. Es gibt viele Gebäude, bei denen die Eigentümer nicht mehr bereit sind, zu investieren. Da versuchen wir nach und nach ranzugehen. Aber es ist, wie gesagt, ein Marathonlauf, bei dem man aber auch die Stadteile nicht vernachlässigen darf. Da muss das ein oder andere noch passieren, damit die Leute sehen, dass auch an sie gedacht wird.
Die Landesregierung hat den „Kommunalpakt" auf den Weg gebracht. Schafft das die nötigen Investitionsspielräume?
Ich habe eigentlich fast nur lobende Worte für den Kommunalpakt. Es ist ein stimmiges und schlüssiges Konzept. Kommunen, die in den letzten Jahren finanziell ziemlich zugeschnürt waren, können jetzt wieder etwas mehr Luft bekommen. Ich denke, dass hier das ein oder andere möglich wird, was wir sonst noch geschoben hätten. Wir sind in den letzten Jahren auch mit unserer Ansiedlungsentwicklung ganz gut gefahren: ZF, Nanogate, Decathlon, Holiday Inn und andere. Das spüren wir auch an den Steuereinnahmen. Ich bin also ganz zuversichtlich für die nächsten Jahre.
Wie stellen Sie sich die Stadtverwaltung der Zukunft vor?
Auf jeden Fall schlank, aber nicht dürr. Das fängt übrigens schon an der Spitze an. Als Sören Meng 2016 Landrat wurde, haben wir die Stelle des zweiten Beigeordneten nicht mehr neu besetzt, was schon bemerkenswert ist, wenn man das mit anderen Städten vergleicht. Wir sind schon schlank aufgestellt, aber wir müssen noch moderner und kommunikativer werden. Ich bin ein großer Freund davon, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Das fängt schon damit an, dass man mit neuer Technologie vieles erfassen kann, was für die Stadtplanung ungemein wichtig ist, beispielsweise Verkehrsströme. Und durch ein Dokumentenmanagementsystem kann man die Arbeitsläufe sehr verschlanken und beschleunigen.
Neunkirchen also künftig als „Smart City"?
Da lässt sich viel entwickeln. Ein Beispiel wäre die Stadtreinigung. Wir haben in Neunkirchen über 4.000 Müllbehälter, die regelmäßig abgefahren und geleert werden, ob es nötig ist oder nicht. Wenn die mit Sensoren ausgestattet werden, die die Müllmenge messen und die Fahrzeuge entsprechend leiten, wäre das viel effizienter. Das andere wäre, Stadtpolitik erklärbarer und transparenter zu machen, etwa mit einem gläsernen Haushalt, den die Menschen mit einigen Klicks nachvollziehen können. Das würde übrigens auch gegen manche Mythen helfen. Wenn etwa gesagt wird, dass die Stadt nur Tempomessgeräte aufstellt, um damit Geld zu machen.
Was reizt Sie daran, Oberbürgermeister in Saarlands zweitgrößter Stadt zu werden?
Ich sage ja lieber: Neunkirchen ist die größte Stadt des Saarlandes – nach der Landeshauptstadt Saarbrücken. Was ich in dieser Stadt schätze, ist die politische Kultur. Und das ist jetzt kein Schmu! Ich habe früher als Justiziar in Saarbrücken (1999 bis 2010) viel mit dem Stadtrat zu gehabt. Da stehen sich zwei Seiten gegenüber, die sich bekämpfen und kontrollieren. Das mag ja ein Konzept der großen Politik sein, dass Regierung agiert und Opposition kontrolliert. Aber in der Kommunalpolitik ist es wichtig, dass letztlich alle an einem Strang ziehen bei den allermeisten Themen. Ein Verkehrskreisel ist nicht sozial- oder christdemokratisch, der ist entweder notwendig oder nicht notwendig. Mit und nach der Stahlkrise haben die Leute hier gemerkt: Wenn wir jetzt noch anfangen, uns untereinander zu verkeilen, dann wird das im Leben nichts mehr. Vor der Stahlkrise war die Neunkircher Politik wesentlich streitlustiger. Natürlich gibt es heute auch unterschiedliche Meinungen und Diskussionen, aber die großen Entscheidungen werden sehr einmütig und am Interesse der Stadt orientiert getroffen. Und das gefällt mir außerordentlich.
Ist Ihre Kandidatur ein Selbstläufer in der SPD-Hochburg Neunkirchen?
Nein, es gibt keine Selbstläufer. Wenn man sich die Entwicklung seit 1995 betrachtet, waren die Ergebnisse der Direktwahlen zunächst ziemlich auf der Linie der Kommunalwahl. Inzwischen haben sich die Wähler erkennbar emanzipiert, es geht um Personen, und dabei können die tollsten Dinge passieren. Ich bin optimistisch, aber Selbstläufer bei Wahlen gibt es nicht mehr. Wer solch eine Position anstrebt, dem tut eine gehörige Portion Demut schon gut.