Der Anspruch der Jungen Liberalen (Julis) ist, die „Mutterpartei FDP programmatisch und personell vorantreiben". Dabei vertritt die Nachwuchsorganisation urtypische FDP-Positionen. Juli-Chefin Ria Schröder über marktwirtschaftliche Ökologie, Verkehr und liberale Frauenpolitik.
Frau Schröder, seit einem Dreivierteljahr Jahr sind Sie nun Chefin der Jungen Liberalen. Wieso haben Sie Ihre Parteispitze noch nicht zu einem radikalen Kurswechsel aufgefordert, wie das ja Ihre Amtskollegen von der Jungen Union oder den Jusos jüngst unter großem Applaus getan haben?
(lacht) … Na, das liegt ganz einfach daran, dass die Jungen Liberalen ihre Partei bereits nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag 2013 zu Veränderungen und zu einem Umlenken gedrängt haben. Da könnte ich jetzt behaupten, die Junge Union und die Jusos fordern endlich auch die nötigen Reformen von ihren Parteien ein. Anders ausgedrückt: Das, wofür heute die FDP steht, womit wir auch den Wiedereinzug in den Bundestag vor anderthalb Jahren geschafft haben, das trägt auch ganz klar die Handschrift von uns, der liberalen Nachwuchsorganisation.
Aber wofür steht die FDP denn – auf jeden Fall anscheinend nicht fürs Mitregieren in einer Jamaika-Koalition im Bund.
Die FDP ist grundsätzlich bereit fürs Mitregieren, wenn liberale Themen in der Regierung eine Rolle spielen. Wir stehen für den Menschen als Individuum: Jeder soll so leben, wie er oder sie es für richtig hält. Der Staat soll sich so wenig wie möglich in die Lebensgestaltung einmischen, nur so erreichen wir die größtmögliche, freie Gestaltungsmöglichkeit für die Bürgerinnen und Bürger. Und wir stehen für eine verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik, die den Menschen dient und ihnen nicht schadet.
Das heißt konkret?
Wir setzen uns für eine ökologische, aber marktwirtschaftliche Klimapolitik ein. Nehmen Sie zum Beispiel die Elektromobilität. Eine politische Vorgabe zu Antriebsarten zu machen, geht nach hinten los. Denn der Umweltnutzen verpufft, wenn E-Autos mit Strom aus konventionellen Energiequellen fahren und die Batterien Bestandteile aus seltenen Erden enthalten, die unter menschenrechtlich und ökologisch fragwürdigen Umständen gewonnen werden. Die Politik sollte das Ziel vorgeben, etwa CO2 im Verkehrssektor einzusparen, aber die Technologie dafür den Ingenieurinnen und Wissenschaftlern überlassen.
Sind die Jungen Liberalen von der Elektromobilität nicht wirklich überzeugt? Halten Sie das Ende des Verbrennungsmotors in zehn Jahren für unrealistisch?
Das Ende des Verbrennungsmotors, das die Grünen fordern, vernachlässigt spannende neue Antriebsarten wie etwa E-Fuels. Und es lohnt sich, zu differenzieren. Ich bin in Rheinland-Pfalz im Hunsrück groß geworden, dort kommen Sie mit einem Elektroauto nicht weit. Zum einem wegen der Reichweite der Fahrzeuge. Aber viel entscheidender: Es fehlt komplett die Lade-Infrastruktur. Nicht mal hier in Berlin, wo das Kommando zur großen Mobilitätswende ausgegeben wurde, gibt es eine funktionierende Infrastruktur für E-Autos. Das zeigt doch, dass das ganze Thema von der Bundesregierung völlig verkehrt angegangen wurde.
Getan werden muss jedenfalls etwas – was wären denn für Sie denkbare Alternativen?
Ich weiß nicht, ob wir alle in 20 Jahren im Elektroauto unterwegs sind. Es gibt ja auch noch andere Fortbewegungsmittel, und gerade unsere Generation neigt zumindest in den Städten eher dazu, gar kein Auto mehr zu besitzen, weil es einfach keinen Sinn macht. Ich habe noch nie ein Auto besessen. Ich lebe und arbeite mittlerweile in Hamburg, da wird das auch so bleiben. In meine Kanzlei fahre ich mit dem Rad oder bin mit dem ÖPNV unterwegs, und zu den Vorstandssitzungen hier in Berlin fahre ich mit dem Zug. Mobilität neu gedacht heißt also nicht: Jeder tauscht seinen Verbrennungsmotor gegen ein E-Auto ein, und weiter geht es wie bisher. Viele nutzen einen Mobilitätsmix: Da gibt es die E-Scooter, Carsharing oder den ÖPNV. Und manche fahren eben mit dem eigenen Auto oder gehen am liebsten zu Fuß. Diese Individualmobilität, wie wir sie heute noch kennen, wird aber immer weniger – zumindest in den Großstädten. Denn die Innenstädte sind dicht, mehr täglicher Verkehrskollaps geht nicht. Neue Konzepte können aber nicht die Straßenbahn von vor 100 Jahren sein, sondern moderne Mobilitätskonzepte, die Komfort, Praktikabilität und Effizienz verbinden. Außerdem ist der Platz in den Städten begrenzt. Wir überlegen ja schon heute sehr genau, ob wir in der Innenstadt ein Parkhaus oder doch lieber Wohnraum bauen wollen. Ob wir eine innerstädtische Fläche mit Autos zustellen oder einen Park, Spielplatz oder eine Sportfläche anlegen wollen.
Aber bei der Entwicklung von Innenstadträumen war ja die FDP in den letzten Jahrzehnten doch der Meinung, dort sollten die freien Kräfte des Marktes bestimmen. Gibt es da ein Umdenken?
Wohnen ist immer an den Ort gebunden, wo es stattfindet. Aber in den Ballungsräumen wird die Wohnraumknappheit einfach nur verwaltet. Da wird nicht wirklich etwas dagegen getan. Ganz im Gegenteil: Durch die staatlichen Auflagen wird ja Wohnungsneubau sogar verhindert. Da müssten zum Beispiel die Baugenehmigungsverfahren vereinfacht oder die Umweltauflagen auf ihren Nutzen überprüft werden. Ziel muss sein, mehr Wohnungen zu schaffen und dadurch das Angebot zu vergrößern.
Zum guten und bezahlbaren Wohnen gehört auch ein vernünftiger Zugang zum Internet. Ist nicht eine flächendeckende Internet-Grundversorgung ein viel größeres Problem in Deutschland, als dass alle Zugang zum schnellsten Netz haben?
Das gehört mit Abstand zu den größten Aufgaben der Zukunft, die wir unbedingt meistern müssen. Wir müssen die Netze dringend flächendeckend ausbauen, aber mit zeitgemäßen Technologien. Anders holen wir den Vorsprung anderer Länder nie auf. Aber ganz ehrlich: Wenn ich die Wortbeiträge der politisch Agierenden beim Digitalgipfel höre, dann fühle ich mich eher an einen EDV-Konvent erinnert. Dass es mit der Digitalisierung in Deutschland nicht weitergeht beziehungsweise sie total verschlafen wurde, hat nach meinen Beobachtungen einen ganz einfachen Grund: Die politische Generation, die uns regiert, versteht bis zum heutigen Tag nicht die Tragweite der Digitalisierung. Das ist zum ersten Mal so klar geworden, als Bundeskanzlerin Merkel freimütig eingeräumt hat, dass das Internet für sie Neuland sei. Die Bildungsministerin Karliczek sagte neulich, wir bräuchten kein 5G an jeder Milchkanne, dabei steckt gerade in der Digitalisierung viel ungenutztes Potenzial für die Landwirte. Diese Grundhaltung gilt nach meinem Eindruck bei einem Großteil der Operierenden offenbar heute noch – ein Trauerspiel. In keine andere Konferenz gehen Politiker so schlecht vorbereitet, wie das kürzlich beim Digitalgipfel geschehen ist. Da müssen ganz offensichtlich sehr viel Jüngere ran. So wird das nichts.
Bei der FDP dagegen müssten eigentlich mehr Frauen ran, nicht mal ein Viertel der Parteimitglieder ist weiblich. Woran liegt das, gibt es zu wenige „Frauenthemen" bei Ihnen?
Was sind denn Frauenthemen? Man macht es sich zu einfach, wenn man glaubt, Kinder, Küche, Kirche wären Frauenthemen, das war vielleicht vor 100 Jahren so. Frauen machen heute öfter Abitur und gehen genauso häufig an die Unis und machen ihren Abschluss. An der Kindererziehung beteiligen sich immer mehr Väter. Selbstbestimmung ist aber nach wie vor ein zentrales Thema für Frauen: Denn eine lange Elternzeit und den damit verbundenen Karriereknick gibt es öfter bei Frauen, die Gefahr von Altersarmut ist höher und bei der Diskussion um Paragraf 219a StGB wollen manche den Frauen immer noch das Selbstentscheidungsrecht absprechen. Und Selbstbestimmung ist ein Kernthema der FDP. Also die These, die FDP sei ein wirtschaftsliberaler Altherrenclub, lasse ich so nicht gelten. Aber zugegeben, unser Frauenanteil ist noch ausbaufähig. Wir diskutieren das auch schon seit einiger Zeit und arbeiten erfolgreich daran. Im Vorstand der Jungen Liberalen zum Beispiel sind mehr Frauen als Männer vertreten.
Dank einer Frauenquote?
Nein, garantiert nicht, eine solche Quote lehnen wir Julis strikt ab. Mir geht es da genauso: Ich möchte gewählt werden, weil ich andere von meinen Qualitäten überzeugt habe, nicht wegen einer Quote. Ich habe mich selbst gegen einen männlichen Mitbewerber durchgesetzt. So wünsche ich mir das für alle Bereiche im Leben: fairen, transparenten Wettbewerb. Denn sonst wird es immer heißen, die oder derjenige sitzt nur wegen der Quote auf dem Posten. Das will ich nicht für mich, und das möchte ich auch niemand anderem zumuten.
Andersherum werden Frauen ohne männliche Unterstützung ihre Anliegen aber auch nicht durchsetzen können – nehmen Sie bloß das Gezerre um den Paragrafen 219a über Informationen zur Abtreibung.
Das ist leider richtig, aber an dieser Stelle nur bedingt ein Problem der FDP im Bundestag. Da stand ja eine breite Front von Männern und Frauen wegen ihres christlichen Glaubens gegen eine Streichung des Paragrafen 219a. Abtreibung ist ein ganz schwieriges Thema, zugegeben. Dennoch: Es muss das Recht der Frau bleiben, darüber entscheiden zu können. Das verlangt allein schon das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren eigenen Körper. In der angesprochenen Debatte geht es ja darum, dass sich die Frauen im Internet darüber informieren können, wo in ihrer Nähe ein Arzt ist, der Abtreibungen vornimmt, und was da auf die Frau genau zukommt. Es geht also nicht nur um die Selbstbestimmung, sondern auch um das Informationsrecht der Frau. Bei der Debatte ist ja der Eindruck entstanden, die Ärzte könnten zukünftig Werbung für Abtreibung machen. „Zwei Abtreibungen zum Preis von einer", oder wie soll das aussehen? Das ist doch völliger Blödsinn, das gibt es ja auch nicht für andere ärztliche Leistungen. Es geht darum, dass Ärzte darüber informieren können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Betroffene Frauen sollen sich frei darüber informieren können. Um nichts anderes geht es.
Das klingt fast, als wären Sie eine Feministin.
Ich bin eine selbstbestimmte Frau, die ihre Rechte beansprucht. Ich habe momentan nur den Eindruck, hier findet ein 50er-Jahre-Rollback statt: Frau an den Herd, Mann verdient das Geld, und Mutti passt auf die Kinder auf und hat für Vati abends gekocht. Dafür stehen solche Politiker wie Erdogan oder Trump. Aber auch bei Leuten wie Horst Seehofer werde ich das Gefühl nicht los, dass er dieses Rollenmodell ganz schön findet – nicht umsonst hat er ja wie ein Berserker für die Herdprämie gekämpft. Darum bin ich bei den Liberalen gut aufgehoben.