Nach der erfolgreichen Adaption der Sportswear, Stichwort Athleisure, haben sich die Designer diesen Winter einer modischen Neuinterpretation der Berufskleidung zugewandt.
Funktionalität ist der neue Fetisch", schrieb jüngst die „Welt" in einem Beitrag über die heißesten Trends der Männermode. Wer dabei sogleich an Athleisure denkt, liegt damit natürlich vollkommen richtig. Schließlich hat sich insbesondere die Jogginghose in den letzten Jahren zum einflussreichsten Kleidungsstück der modischen Herren-Welt gemausert. Aber zusätzlich hat sich diesen Winter die an Arbeitskleidung angelehnte Mode einen Spitzenplatz in der immer funktionaler werdenden Fashion-Szene erobert. Für dieses Spezialsegment sind jede Menge anderer Bezeichnungen im Umlauf, beispielsweise Utility Wear, Utilitarian Wear, Blue-Collar-Style oder auch einfach Schutzkleidung, weil bei vielen Klamotten der Schutzfaktor eine wesentliche Rolle spielt. Allerdings hat die moderne Workwear keineswegs nur die Menswear im Sturm erobert, sondern auch in der aktuellen Damenmode finden sich reichlich Kreationen, deren Inspirationen eindeutig aus dem Arbeiter-Alltagsleben stammen.
Schon 2014 hatten einige High-Fashion-Labels erste Vorstöße Richtung Workwear unternommen. Beispielsweise Chanel in der Damenmode mit einem voluminösen Tweed-Overall oder Dior Homme mit gefütterten Nylonwesten über schmalen Business-Anzügen und Saint Laurent mit dicken Lumberjack-Fleece-Jacken. Gleichzeitig waren im Street Style immer häufiger Blaumänner aufgetaucht. Doch so richtig wurde der Trend wohl erst durch das schon legendäre DHL-Baumwoll-Shirt von Vetements 2016 losgetreten, das trotz seines absurd hohen Preises von 245 Euro in Windeseile ausverkauft war und dessen Triple-Neuauflage in der Capsule Collection 2018 Demna Gvasalia wohl auch wieder viel Geld in die Kassen gespült haben dürfte.
Erste Vorstöße schon vor etwa fünf Jahren
2017 wurde der Newcomer Heron Preston in der Branche mit einem Schlag bekannt wie ein bunter Hund, weil er bei seinem Debüt eine beeindruckende Workwear-Kollektion mit Hosen samt reflektierenden Streifen, Camouflage-Overalls oder Arbeiter-Shirts gezeigt hatte, von denen eines in leuchtendem Orange die Aufschrift „Community Service" trug. Seitdem gilt der Jung-Designer als wahrer Meister der modernen Workwear. Ein Ruf, den er in der Wintersaison 2018/2019 weiter festigen konnte: Vor allem seine in Kooperation mit der US-Weltraumbehörde entworfenen Kleidungsstücke wie Jogginghosen, Jacken und sogar Raumanzüge, die allesamt den Nasa-Schriftzug aufwiesen, sorgten für Aufsehen.
Eigentlich ist es müßig, sich einen Kopf darüber zu machen, warum die Designer ihre Aufmerksamkeit ausgerechnet der Workwear zugewandt haben. Aber wahrscheinlich haben sie die ständig steigenden Verkaufszahlen der boomenden klassischen Berufsbekleidung mit Erstaunen registriert. Allein in Deutschland fährt die Diensttextil-Branche jährlich Umsätze jenseits der Drei-Milliarden-Euro-Schallmauer ein. Gut jeder zweite Beschäftigte hierzulande trägt in seinem Job mehr oder weniger regelmäßig eine besondere Berufsbekleidung, die schon seit geraumer Zeit immer modischer und stylischer geschneidert wird, um das Image des jeweiligen Unternehmens in der Öffentlichkeit möglichst positiv zu präsentieren.
Dadurch wurden die Grenzen dieser eigentlichen Funktionskleidung zu Outdoor- oder Freizeit-Klamotten ständig weiter eingeebnet. Dank moderner, synthetischer Materialien, die längst neben die früher dominante Baumwolle getreten sind, lassen sich qualitativ hochwertige Verarbeitung als Vorbedingung für eine hohe Verschleißresistenz sowie für eine perfekte Schutzfunktion und attraktive Optik samt optimalem Tragekomfort bestens miteinander kombinieren. Generell kommt die Berufskleidung immer häufiger sportiv daher und hat längst die strenge farbliche Unterscheidung nach Professionen, beispielsweise Malerweiß, Schreinerbeige oder Gärtnergrün, hinter sich gelassen.
Die Kleidung sitzt beim Mann locker
Skinny ist allerdings nach wie vor ein No-Go, insbesondere bei Hosen ist ein weiter Schnitt für die Bewegungsfreiheit unabkömmlich, die zusätzlich durch Stretcheinsätze gefördert werden kann. Softshelljacken, Fleece-Teile oder Wetterjacken mit Gore-Tex-Membran zählen zu den am meisten geschätzten Berufsklamotten. Und dienen den Designern natürlich auch als bevorzugte Vorlagen. Sie schenken dabei den typischen Details wie integrierten Reflexstreifen, Cargotaschen oder auffälligen Schräg- und Schmucknähten besondere Aufmerksamkeit.
Im Prinzip ist es keineswegs ein neues Phänomen, dass Arbeiterkleidung Einzug in die Mode gehalten hat. Schon die Sansculotten, allesamt Bauern oder Arbeiter, hatten im Laufe der Französischen Revolution ihre langen Hosen gegen die wadenbestrumpften Beinkleider des Adels durchgesetzt. Die Jeans waren ursprünglich als Goldgräberkluft konzipiert worden. Auch die Overalls, die Latzhosen, die ab den 70er-Jahren zum Erkennungszeichen der Ökos und Friedensbewegten wurden, oder die weiten Bauarbeiterhosen mit riesigen Taschen, die ab den 80er- und 90er-Jahren zunächst vor allem von Skatern und Hip-Hoppern adoptiert wurden, stammen ursprünglich aus dem Arbeitermilieu. Bomberjacken oder Trenchcoats nicht zu vergessen, die aus der Militär-Profession den Weg in die Fashionwelt gefunden haben.
Von Originalen der Arbeitswelt abgekupfert
Doch viel wichtiger für Utility-Labels wie Dickies (1918 gegründet), Carhartt (1889), RM Williams Comfort Craftsman (1932) oder Vetra Chore ist es einfach, neue Interessenten außerhalb ihres bisherigen Klientelkreises zu finden. Ob es ihnen allerdings gelingen wird, ihre eigene Workwear gewissermaßen als das Original oder als das Authentische gegen die neue Blue-Collar-Style-Konkurrenz der Edel-Brands zu behaupten, ist fraglich. Obwohl sie in Sachen Preis und Erschwinglichkeit ihrer Klamotten den Fashion-Marken natürlich haushoch überlegen sind.
Bei diversen Designer-Work-Kreationen dieses Winters wurden die Originale aus der Arbeitswelt so krass abgekupfert, dass man/frau sich fragen könnte, ob sie sich vergleichbare Teile wie Warnjacken oder Mäntel nicht gleich bei der örtlichen Feuerwehr oder auf einer lokalen Baustelle für wenig Geld besorgen könnten. Auch die gelbe ADAC-Weste wäre sicher eine kleidsame Alternative. „Fire department jackets", wie sie von der „Vogue" getauft wurden, mit eingearbeiteten Reflexionsstreifen gibt es in der Menswear beispielsweise von Calvin Klein, Burberry oder Junya Watanabe. Regelrechte Schutzkleidung, die kaum alltagstauglich daherkommt und eher bei Katastrophen jeder Art regelmäßig auf den TV-Mattscheiben zu sehen ist, haben in der aktuellen Männermode Labels wie Walter van Beirendonk (silberner Mantel mit Kapuzenmaske) oder Fendi (Mantel) in ihren Kollektionen, in der Damenmode finden sich Schutzbekleidungsstücke bei Calvin Klein, Prada, Off-White oder Preen by Thornton Bregazzi. Für die „Vogue" ist daher „Protection Wear" einer der Haupttrends, die man/frau diesen Winter auf dem Schirm haben sollten.