Gianni Infantino sollte und wollte in der Fifa wieder für saubere Arbeit sorgen. Stattdessen bringt er alte Weggefährten gegen sich auf und provoziert immer mehr Kritik. Nun will er für 25 Milliarden den Fußball verkaufen – mit sich an der Spitze.
Wer kennt die Zeilen nicht: „Sie können entweder als ein Held sterben, oder Sie leben lange genug, um zu sehen, dass Sie ein Bösewicht geworden sind." Es sind bekannte Worte aus dem „Batman"-Universum, die der Staatsanwalt Harvey Dent ausspricht, der eigentlich die korrupte Stadt bereinigen will, ihr dann aber selbst zum Opfer fällt. Die Parallele zu Gianni Infantino ist somit schnell gefunden und mittlerweile glasklar. Denn niemand glaubt wirklich noch an gute Absichten des 48-Jährigen. Selbst Sepp Blatter, von Infantino als Präsident des mächtigen Fußball-Weltverbands beerbt worden, stellt sich klar gegen den Schweizer. „Es muss eine Untersuchung gegen den Präsidenten der Fifa eingeleitet werden", sagte er. Derjenige, der vor einiger Zeit wegen Korruption, Machtmissbrauch, Bestechung und Stimmenkäufen aus seinem Amt katapultiert wurde, spricht so über den eigentlich als Retter installierten Infantino. Dabei ist Blatter bei Weitem nicht der Einzige, der sich mittlerweile öffentlich gegen den Präsidenten auflehnt. „Nachdem er die politische Herrschaft innerhalb der Fifa als Diktator übernommen hat, will Infantino jetzt auch noch nach den Finanzen der Fifa greifen", sagte etwa der Antikorruptionsexperte und frühere Fifa-Reformer Mark Pieth der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung". „Das sprengt sogar die Dimension Blatter."
„Sprengt sogar die Dimension Blatter"
In gut zweieinhalb Jahren hat Infantino sein Bild in der Öffentlichkeit also einmal komplett gedreht. Als Retter der Fifa installiert, wollte er mit viel Transparenz und klaren Entscheidungen das Image des in Verruf geratenen Weltverbandes wieder aufpolieren. Momentan sorgt er aber für den größten Skandal, den sich die Fifa je geleistet hat. Damit ist nicht nur gemeint, dass er die Ethikkommission entmachtete und auch nicht, dass er den internen Rechtekatalog einfach kurzerhand in zehn Punkten korrigiert hat – und das nicht zu seinem Nachteil. In der Dokumentation „Football Leaks", die sich mit den undurchsichtigen Methoden der Fußballbosse beschäftigt, zeigt sich, wie scheinheilig Infantino mit seiner Rolle umgeht. „Als guter Jurist kann ich natürlich nicht anders, als den Katalog um die eine oder andere Anmerkung zu ergänzen", schreibt er in einer E-Mail an seine Mitarbeiter. Der Katalog geht durch. Und Infantinos Macht wächst täglich. Viele wussten damals nicht, welches Monster eigentlich im Verborgenen vom Präsidenten gefüttert wird, doch Mitte November platzte dann die Bombe. Der Fifa-Präsident will zentrale Rechte des Fußballweltverbands verkaufen. Für 25 Milliarden Dollar, verteilt über zwölf Jahre. Die einzige Bedingung sind zwei neue Turnierformate. Eine Weltliga für Nationalmannschaften ähnlich der europäischen Nations League und eine neue Club-WM. So stellte es Infantino seinem Präsidium vor. Doch die Funktionäre, die sonst vieles abnicken, hatten Fragen, vor allem nach den Investoren. Infantinos erstaunliche Antwort: „Dazu kann ich nichts sagen, sorry." Das war dann selbst den Fifa-Vorständlern zu dubios, sie ließen den Präsidenten abblitzen. Aber Infantino hat diesen Deal hochdiskret über lange Zeit geplant und wird sich dadurch nicht von seinem Plan abbringen lassen. Er bastelte mit anonym gehaltenen, arabisch-asiatischen Investoren an einem Firmengebilde, das Kernbereiche der Fifa übernehmen will. Und in dem er selbst als Aufsichtsratschef fungieren soll und somit die Hebel des Fußballs ganz alleine in seiner Hand halten würde. Die Vorsicht des Vorstands war bei genauerer Betrachtung sogar noch mehr begründet, als viele es sich ohnehin schon hätten vorstellen können. Die „Süddeutsche Zeitung" berichtete, dass Infantino den Investoren nicht nur zwei Turniere zuschanzen, sondern auch eine Firma gründen will, die dann alle Rechte an der Fifa halten soll. Sogar der Zugriff auf Weltmeisterschaften ist darin verankert – also fast alle Vermögenswerte der Fifa.
Die Fifa hingegen spielt das Ganze in alter Manier herunter. Das Papier sei veraltet und außerdem eines von Hunderten, die im Verband existierten. Derweil hat Infantino eine Arbeitsgruppe durchgeboxt und das Konzept von seinen Hausjuristen prüfen lassen. Die sind mittlerweile aber nicht mehr im Amt. Die Anwälte kamen zu einem vernichtenden Urteil. Das passte dem Präsidenten nicht, und die Justiziare mussten gehen. Unter anderem warnten sie vor Kontrollverlust im Kerngeschäft und über den Verlust der Steuerbefreiung bis zu Kartell- und Schadensersatzfragen. All dies müsste eigentlich die hauseigene Ethikkommission auf den Plan rufen – aber die ist von Infantino entmachtet worden. Gleiches geschah mit den achtsamen Verantwortlichen von „Good Governance" – die wurden einfach entsorgt.
Seitdem dieser Umstand publik wurde, hat Infantino ein Problem. Die Uefa stemmt sich mittlerweile gegen das sogenannte Project Trophy und wenn der relevantere Teil der Fußballwelt – nämlich Europa – nicht mitzieht, dann ist der Deal tot. Infantino umgarnt derweil die 211 Nationalverbände einzeln. Bei einem Fußballgipfel in Katar sollten insgesamt 52 Delegationen vorwiegend aus Zwergstaaten über konkret vorgegebene Einzelheiten der neuen Turnierformate abstimmen, über Termine und Teilnehmerzahlen – aber nicht über die Schlüsselfrage, ob diese Turniere überhaupt gewünscht sind. Ein Kernthema der Agenda: „Die Zukunft der Fifa-Wettbewerbe." Die neun geladenen Vertreter aus Europa verweigerten die Abstimmung in Doha und stellten sich hinter die Position der Uefa-Führung. Die „Zukunft" soll in diesem Fall der Milliardendeal sein. Infantino macht es wie immer: Er umwickelt erst die kleinen Verbände, die sich kaum bis gar nicht für ein Turnier interessieren – weil sie wohl niemals in der Lage wären, daran teilzunehmen. Entscheiden darüber dürfen sie trotzdem. Swasiland hat also die gleiche Stimmkraft wie beispielsweise Deutschland. Erst am Ende müsste sich Infantino mit den Big Playern herumschlagen – die jedoch nur dann damit arbeiten, wenn sie alle Details kennen.
Die Fifa spielt das Ganze herunter
Zu dem ersten von drei „Fifa Executive Football Summits" kamen also die Zwergstaaten – stimmkräftig, aber eigentlich mit irrelevanter Meinung zu diesem Thema, da es sie sowieso nicht betrifft. Darunter Jemen und Gambia, Somalia und Samoa, die Cook-, die Kaiman- und die Jungferninseln, Tonga, Vanuatu und Bhutan, Nepal und die Solomons, Guam und Lesotho – also nicht gerade die absolute Elite des Weltfußballs. Ergänzt wurden sie durch Vertreter aus Osteuropa, Russland und Moldawien. Abstimmen sollten sie – aber nicht, ob sie die Turnierformate überhaupt wollen, sondern darüber, wann und wie viele Mannschaften in welchem Spielmodus antreten. Dabei ging es um die reformierte Club-WM sowie die Weltliga, die in direkte Konkurrenz zum Kernprodukt der Fifa träte, der Fußball-WM. Ging bei diesem Votum alles mit rechten Dingen zu? Natürlich, sagt die Fifa gegenüber der „Süddeutschen Zeitung": „Jeder kann sich auch gegen jeden Vorschlag aussprechen." Ein Veto auszusprechen wurde aber zu einem Ding der Unmöglichkeit – die Veto-Option wurde schlicht und einfach weggelassen. Sowohl bei den Doha-Teilnehmern als auch bei dem Fragepapier, welches die Fifa vorab zur Verfügung stellte. Soll die World League kontinental begrenzt oder global ausgespielt werden? Soll sie anfangs auf dem Kontinent gespielt und die Finalrunde weltweit ausgetragen werden? Wie sieht die neue Club-WM aus: 16, 24 oder 32 Teams? Jährlich, alle zwei oder alle vier Jahre? Antworten sollten die Delegierten mit „Ja" oder „Nein" – eine dritte Option, die Enthaltung, wurde erst auf Drängen der europäischen Vertreter eingefügt.
Warum will Infantino das überhaupt? Rechte verkaufen, wenn alleine schon neue Turniere mehr Geld in die Kassen spülen würden? Weil sie eben nur ein Bruchteil der 25 Milliarden einspielen würden. Und wer wäre schon mit ein paar Milliarden zufrieden, wenn er gleich 25 bekommen könnte? An Infantino lässt sich derweil gut erkennen, was den Fußball so krank macht. Er kam als Retter und könnte nun zum größten Feind werden.