Seit 90 Jahren pflegt das Feinkostgeschäft Rogacki in Berlin-Charlottenburg Familientradition und Handwerk. Backfisch mit Kartoffelsalat ist immer noch ein Renner.
Wie in einer Markthalle liegen in den gut gefüllten Auslagen unzählige feine Käsesorten, Wurstwaren, Geflügel, Wild, Fleisch, Fisch, Backwaren und Weine. Gäste schlendern an den Gourmetständen entlang, lassen sich vom kundigen Fachpersonal beraten und nehmen an den Tischen in der Mitte einen kleinen Imbiss oder ein zünftiges Mittagessen zu sich. „Backfisch mit Kartoffelsalat ist bei uns der absolute Renner", sagt Dietmar Rogacki, der das Familienunternehmen mit seiner Frau Ramona bereits in der dritten Generation führt. Rund eine Tonne Backfisch geht pro Woche über den Ladentisch. Das Besondere bei Rogacki: Hier ist nichts fertig zugekauft. „Bei uns werden die Kartoffeln geschält und gekocht, der Fisch filetiert und zubereitet und auch die Soßen und Remouladen sind frisch und selbst gemacht", sagt der Chef. Das gebe es heute woanders nicht mehr, alles werde industriell hergestellt und tiefgefroren, weil es billiger sei und Personal spare. Bei Rogacki sorgen hingegen 85 eigene Mitarbeiter für Qualität und Genuss. Auch für Spezialitäten wie die Leckereien aus der hauseigenen Räucherei.
Mit dieser Fischräucherei hat 1928 im Wedding alles angefangen. So machten sich die Großeltern Paul und Lucia selbstständig. „Damals sind sie mit dem Bollerwagen zum Markt auf dem Alexanderplatz gelaufen", weiß Dietmar Rogacki aus Erzählungen. Vier Jahre später legten sie sich eigene Öfen zu und zogen nach Charlottenburg. Bei Rogacki wird der Fisch über Buchenholz geräuchert, was den besonderen Geschmack ausmacht. Der Chef weist darauf hin, dass sonst meist mit Zusatzstoffen gearbeitet wird. „Geschmacklich wie optisch ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht", sagt der 62-Jährige.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Geschäft durch Bomben zerstört. Die Großeltern wagten einen Neuanfang und bauten es wieder auf. Dietmars Vater Alfred übernahm das Unternehmen Anfang der 50er-Jahre. Bereits 1972, im Alter von nur 42 Jahren, starb er überraschend. Dietmars Mutter Eva musste nun das Geschäft allein weiterführen. „Mit meinen beiden Brüdern und mir", sagt Dietmar Rogacki, der damals 16 war.
Das Sortiment wurde immer mehr erweitert, und mit der Vergrößerung des Geschäfts schon im Jahr 1955 unter Vater Alfred waren Wild, Geflügel, Wurst und Fleisch dazugekommen. Die Fischbraterei entwickelte sich zur großen Attraktion: 2.000 Heringe wurden täglich zubereitet. Auch die damals neuen Fleisch- und Geflügelsalate aller Art fanden viele Kunden.
Anlässlich des 50-jährigen Bestehens wurde der Betrieb umgebaut und um die Käse-Brot-Abteilung vergrößert – außerdem gab es jetzt die Möglichkeit für Feinschmecker, die Leckereien gleich im Geschäft zu verzehren. In den 90er-Jahren folgte die eigene Bäckerei im vorderen Teil des Geschäfts. Seitdem haben die rund 1.000 Quadratmeter mit der großen und erstklassigen Auswahl ihren Charme nicht verloren.
Inzwischen feierte das Familienunternehmen sein 90-jähriges Bestehen – und wurde vergangenen Oktober auch zum Berliner Kiezmeister 2018 gekürt. „Berlins letzte Traditions-Fischräucherei ist Herz und Seele für viele im Kiez rund um die Wilmersdorfer Straße – und darüber hinaus", erklärte die Jury.
Einige Kunden kommen schon seit Jahrzehnten
Dabei sah es mal so aus, als könnte die Familientradition einen Knick bekommen: Dietmar Rogacki selbst kam nämlich nur über Umwege in das elterliche Geschäft. Er absolvierte erst eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann und anschließend eine zum Fotografen, denn das Fotografieren war seine große Leidenschaft. Als er gefragt wurde, ob er im Laden nicht aushelfen könnte, übernahm er leichte Tätigkeiten. Das ist rund 40 Jahre her. Nach und nach rutschte er dann doch in den Familienbetrieb hinein. Heute ist er stolz auf die lange Tradition des Geschäfts und das erstklassige Feinkost-Sortiment, zu dem allein 150 verschiedene Arten frisch geräucherter Fisch zählen. „Wir legen großen Wert auf Vielfalt und Frische, bei uns gibt es jeden Tag etwas Neues", erklärt der Chef. Er wünscht sich, dass Rogacki das 100-jährige Jubiläum feiert. Dem sollte nichts im Wege stehen: Der 29-jährige Sohn Nikolai gehört schon zum Team. Sorgen bereitet Dietmar Rogacki allein die mangelnde Zahl an Parkplätzen. „Bis vor fünf Jahren hatten wir hier noch Parkraumbewirtschaftung. Die ist weggefallen, und damit haben es gerade ältere Stammkunden von weiter weg schwer, zu uns zu kommen", sagt er. Wünschen würde er sich außerdem, dass seine Kunden auf Plastiktüten verzichten.
Etwas anderes nimmt Dietmar Rogacki hingegen mit Humor: Noch immer gibt es genügend Leute, die nicht wissen, wie der Firmenname ausgesprochen wird. Und er erklärt auch gleich, wie es richtig ist: Das „c" muss man hören, es heißt „Rogatzki" und nicht „Rogakki".
Vielen treuen Kunden jedoch dürfte das nichts neu sein – einige kommen schon seit mehreren Generationen zu Rogacki in der Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg. Nicht selten hören die Mitarbeiter: Ich war schon mit meiner Oma hier, Rogacki ist immer noch die erste Adresse für hervorragende Lebensmittel und Delikatessen. Auch für den Festschmaus verlassen sich viele gern auf Rogackis Fisch- und Fleischwaren, die überwiegend aus der Region kommen. So herrscht vor Weihnachten jedes Jahr Hochbetrieb, wenn 1.000 Vorbestellungen für Gänse, Rehrücken oder Putenkeulen eingehen. Während der Chef sich in seinem Büro um Bestellungen und Termine kümmert, stehen die Kunden eine Etage tiefer dann Schlange, um ihren Backfisch mit Kartoffelsalat zu bestellen. Und wer keinen Backfisch nimmt, wählt eben Scholle. Fisch als Traditions-Renner ist einfach geblieben. Auch die Jury, die Rogacki zum Kiezmeister kürte, rühmte die Verbindung mit der Geschichte: „Die Altonaer Öfen sind die von einst und räuchern wie vor 90 Jahren. Auch die charmanten Servierdamen sind teils seit Jahrzehnten dabei. Brathering oder Fischbulette isst man an Stehtischen oder auf Bierbänken. Zu Matjes mit Pellkartoffeln oder Scholle mit Speck geht es in die Schlemmerecke und dafür macht sich Frau von Welt hier auch noch schick, teils noch mit Hut. Altberlin vom Feinsten."