Gleich zum Start der Biathlon-Saison tauchten Anfang Dezember in Pokljuka zwei neue Gesichter im deutschen Team auf. Wobei Philipp Horn und Anna Weidel in ihrem jeweils ersten Weltcup-Rennen reichlich Lehrgeld zahlen mussten. Weidel aber sollte kurz danach sogar die WM-Norm knacken.
„Lauf Dein eigenes Rennen." Diese immer wieder gleichsam mantraartig runtergebetete Verhaltensregel, gewissermaßen das kleine Einmaleins des Biathlon-Sports, hatte der 24-jährige Philipp Horn am 2. Dezember im Eifer des Gefechts völlig vergessen. Das neue Mitglied des deutschen Weltcup-Biathlon-Herrenteams war völlig überraschend beim Saisonauftakt im slowenischen Pokljuka für die Mixed-Staffel nominiert worden, nachdem der eigentlich gesetzte Arnd Peiffer kurzfristig aus privaten Gründen pausieren wollte. Nach passablen Vorgaben durch die beiden Damen des Staffel-Quartetts, Vanessa Hinz und Denise Herrmann, musste Debütant Horn die Aufgabe mit einem leichten Rückstand auf die drei führenden Teams in Angriff nehmen. Und wie es der Zufall so wollte, ausgerechnet an der Seite keines Geringeren als Martin Fourcade, dem Überflieger und Seriensieger der Skijäger. In diesem Moment beging er den größtmöglichen Fehler, indem er versuchte, wenn auch nur für einige Hundert Meter, sich an die Fersen des siebenfachen Weltcup-Gewinners ranzuhängen und das forsche Tempo Fourcades mitzugehen.
Auch wenn Horn schließlich abreißen lassen musste, sollte er die Quittung für sein Draufgängertum sogleich beim Schießen bekommen, wie er nach dem Lauf im ZDF-Interview einsichtig bekennen sollte: „Ich habe mir das anders vorgestellt. Ich hatte schon ein bisschen die Hosen voll und war zu verkrampft. Ich war beim ersten Schießen schon so kaputt, dass ich mich nicht mehr konzentrieren konnte. Leider habe ich die ganze Staffel damit runtergezogen." Nach der Strafrunde war klar, dass es mit einem erhofften Podestplatz für das deutsche Team nichts mehr werden konnte. Zumal Benedikt Doll, der beim Wechsel mit einem Handicap von unaufholbaren zwei Minuten Rückstand ins Rennen ging, sich auch noch eine Strafrunde leisten sollte. Philipp Horns Einstand im Biathlon-Weltcup war damit für den Athleten selbst eine einzige große Enttäuschung.
„Das hätte ich nicht für möglich gehalten"
Gleicher Ort, vier Tage später: Beim Einzelrennen der Damen über 15 Kilometer gab die 22-jährige Anna Weidel ihr Debüt im deutschen Damen-Weltcup-Team. Die mit Nummer 98 an den Start gegangene Weidel leistete sich vier Schießfehler und hatte beim Zieleinlauf einen Rückstand von fast fünf Minuten auf die ukrainische Siegerin Julia Dschima, was nur für Rang 66 fernab der Weltcup-Punkte reichte. Die Ernüchterung bei der jungen Deutschen, die vor Saisonbeginn gar nicht offiziell ins Damen-Weltcup-Team berufen worden war, sondern nur ganz kurzfristig aus dem IBU-Cup-Wettbewerb, der zweiten Biathlon-Liga, als Ersatz für die erkrankte Laura Dahlmeier bei den Besten einspringen musste, war natürlich riesengroß. Umso bemerkenswerter, wie schnell sie diesen persönlichen Rückschlag gleich bei ihrem zweiten Weltcup-Rennen gemeistert hatte. Denn beim Sprint der Damen am 8. Dezember gelang ihr ein sensationeller zehnter Platz, womit sie direkt hinter Franziska Preuß zweitbeste deutsche Teilnehmerin war. „Das hätte ich nicht für möglich gehalten", so Weidel im ARD-Interview. „Ich habe mich schon gefreut, dass ich überhaupt dabei sein durfte." Es hätte sogar noch besser für sie ausgehen können, aber in der Schlussrunde war ihr etwas die Puste ausgegangen: „Da habe ich sicher noch einige Sekunden kassiert, aber ich freue mich riesig."
Für die Verfolgung am 9. Dezember hatte sich Weidel viel vorgenommen: „Es wäre schön, wenn es dort nach vorne geht. Ich wäre aber auch wieder mit Platz zehn zufrieden." Es wurde zwar nur der elfte Platz, womit sie aber auch die Experten überraschte, weil ihr kaum jemand die Bestätigung der Top-Platzierung zugetraut hatte. Der Lohn: reichlich Weltcup-Punkte und WM-Norm geknackt. „So ganz kann ich das noch nicht realisieren", sagte Weidel im ARD-Interview. „Ich wollte einfach mal schauen, wo ich stehe. Mit der WM-Norm habe ich gar nicht gerechnet." Nach der Absolvierung von drei Stationen in Pokljuka, im österreichischen Hochfilzen und im tschechischen Nové Mesto hatte sie zum Jahresende 2018, vor Beginn der Rennen Mitte Januar 2019 in Oberhof und Ruhpolding, immerhin 69 Weltcup-Punkte gesammelt, womit sie in der Besten-Rangliste den 38. Platz belegte. Philipp Horn hätte sicherlich gern mit ihr getauscht, denn der Herren-Biathlet sollte es Ende 2018 lediglich auf 29 Weltcup-Punkte und Platz 51 bringen.
Der am 8. November 1994 geborene Philipp Horn machte erstmals bundesweit auf sich aufmerksam, als er im September 2018 bei den auf Rollerski ausgetragenen deutschen Biathlon-Meisterschaften in Oberhof völlig überraschend den Titel im Massenstart gewann ‒ und dabei am Grenzadler die komplett versammelte nationale Elite rund um Arnd Peiffer und Simon Schempp, die allesamt am Schießstand patzten, hinter sich lassen konnte. Was dem für den SV Eintracht Frankenhain startenden Skijäger, der seit seinem Abitur am Sportgymnasium Oberhof im Jahr 2014 der Sportfördergruppe der Bundeswehr angehört, die offizielle Aufnahme in das deutsche Weltcup-Herren-Biathlon-Team einbrachte. Die meisten Mannschaftsmitglieder kannte er ohnehin schon länger, schließlich trainiert er in Oberhof unter Leitung von Bundestrainer Mark Kirchner gemeinsam mit Arnd Peiffer oder Erik Lesser. „Da sieht man jeden Tag", sagt Horn, „wo man einmal hinkommen muss, und hat sein Ziel somit immer fest im Blick."
In der Saison 2015/2016 hatte er beim Verfolger am Arber erstmals einen Podestplatz im IBU-Cup geholt. Edelmetall hatte es bei den Junioren-Weltmeisterschaften 2013 (Silber mit der Staffel) und bei den Europameisterschaften 2018 (Bronze im Einzel) gegeben. In der Gesamtwertung des IBU-Cups 2017/2018 hatte der 1,78 Meter große und 73 Kilogramm schwere Athlet, der schon im Alter von vier Jahren erstmals auf Langlauf-Ski gestanden und sich im Alter von elf Jahren dem Biathlon-Sport zugewandt hatte, Rang 17 belegt. Bei seinen ersten Einzelstarts in der aktuellen Weltcup-Saison hat es zu Top-Ten-Rängen bislang noch nicht gereicht. Da ist also noch reichlich Luft nach oben. In Pokljuka war Platz 28 beim Verfolger seine beste Platzierung, nachdem er im Einzel mit Rang 77 und im Sprint mit Rang 46 enttäuscht hatte. In Hochfilzen schaffte er mit Platz 33 im Sprint und Platz 33 im Verfolger den Sprung in die Weltcup-Punkte, in Nové Mesto landete er im Sprint abgeschlagen nur auf Rang 66.
Bei Horn ist noch reichtlich Luft nach oben
Für die am 25. Mai 1996 im Tiroler Kufstein als Tochter einer Österreicherin und eines deutschen Vaters geborene Anna Weidel war der Ski-Langlauf von Kindesbeinen an nur eine von vielen sportlichen Optionen und Freizeitaktivitäten. Den Weg zum Biathlon sollte sie eher zufällig einschlagen, weil eine Freundin ihres gemeinsamen Heimatvereins WSV Kiefersfelden, in der gleichnamigen bayerischen Gemeinde unweit der österirdischen Grenze angesiedelt, zu den Skijägern gewechselt war. „Die Kombination aus Laufen und Schießen ist einfach wahnsinnig spannend", sagt Weidel in einem Interview mit dem Web-Portal biathlon-news.de. „Bis zum Schluss kann immer alles passieren. Außerdem mag ich das vielseitige Training, vor allem im Sommer. Da kann man auch mal Radfahren oder Bergsteigen."
Gleich bei ihrem internationalen Debüt hatte Weidel bei den Junioren-Weltmeisterschaften 2014 für einen Paukenschlag gesorgt, als sie jeweils in Sprint und Verfolgung die Silbermedaille gewinnen konnte. Ihre Edelmetall-Sammlung im Junioren-Bereich konnte sie nach Bronze mit der Staffel bei den Weltmeisterschaften 2015 im Jahr 2017 mit Bronze im Einzel sowie Bronze mit der Staffel bei den Weltmeisterschaften und Gold im Einzel bei den Europameisterschaften weiter ausbauen. Der wohlverdiente Lohn war die Auszeichnung zur Biahtlon-Junioren-Sportlerin des Jahres, schließlich hatte sie im IBU-Junior-Cup den Sieg in der Verfolgungs- und Einzelwertung davongetragen und war in der Gesamtwertung Fünftplatzierte geworden. Der Wechsel in den IBU-Damen-Bereich in der Saison 2017/2018 zeigte aus ihrer Sicht nicht die erhofften Erfolge. „Bis auf ein paar wenige gute Rennen war es ein enttäuschendes Jahr", so Weidels Einschätzung gegenüber biathlon-news.de. Logisch daher, dass sie sich für die aktuelle Saison vornehmlich eine Stabilisierung ihrer Leistung im deutschen IBU-Team vorgenommen hatte.
Die Nominierung für den Weltcup in Pokljuka dürfte daher für die junge Athletin, die 2016 ihre Matura an einem Kufsteiner Gymnasium abgelegt hat und seitdem als Mitglied des Zoll-Ski-Teams am Bundesstützpunkt Ruhpolding trainiert, ziemlich überraschend gewesen sein. Aber auch bei den Großen hat die sportive Zollwachtmeisterin, die sich selbst als „recht sichere Schützin" beschreibt und als Vorbild Martin Fourcade nennt, gleich ein Duftmarke hinterlassen können. In Hochfilzen lief es dann nicht so gut, im Sprint reichte es nur zu Rang 46, in der Verfolgung gab es für Rang 33 immerhin noch Weltcup-Punkte. Nach der Rückkehr von Laura Dahlmeier musste Weidel in Nové Mesto im Weltcup-Zirkus pausieren. Aber auf Dauer dürfte sich das wohl größte Talent und die Hoffnungsträgerin mit dem derzeit meisten Potenzial des deutschen Damen-Biathlonsports fest im Weltcup etablieren.