Wenn die Erkenntnis reift, dass die 30 schon ein paar Tage vorüber sind
Liebe Schwestern, ihr glaubt, die Falten zeigen uns, dass wir älter werden? Stimmt schon. Es gibt aber viel deutlichere Zeichen. Ich kann davon ein Lied singen. Zum Beispiel neulich beim Mädelsabend. Reichlich Sekt, Wein, Cocktails, leckeres Essen, Frauengespräche bis tief in die Nacht, vorwiegend über die Liebe im Allgemeinen und Männer im Speziellen. So war’s zumindest früher. Doch heute? Weit gefehlt!
Ich sitze mit meinen Freundinnen zusammen, die Gastgeberin schenkt Prosecco aus, denn Sekt war früher. Doch anstatt das Glas hinzuhalten, bis es voll ist, heißt es jetzt: „Für mich bitte nur ein halbes Glas, ich vertrage nichts mehr." Oder „Ach, bitte nur Sekt, kein Wein, ich kann nicht mehr durcheinandertrinken." Oder schlimmer: „Hast du auch Wasser? Alkohol bekommt mir gar nicht mehr." Das höre ich mich selbst sagen. Und schäme mich.
Schlagartig wird klar: Mädels, wir werden alt! Denn auch die Gesprächsthemen haben sich grundlegend verändert. Beliebtes Thema mittlerweile: Gebrechen jedweder Art. Die Freundin links von mir klagt über ihren Bandscheibenvorfall, berichtet in epischer Breite von den vielen Behandlungen und zählt mehr oder weniger gute Physiotherapeuten auf. Die Freundin rechts von mir klinkt sich mit der Arthrose in ihrer Schulter ein und krönt das Ganze mit einem Rückblick, der mich in eine Kurz-Depression wirft: „Wisst ihr noch, früher, unsere schöne Tennis-Gruppe?". Allgemeines Seufzen.
Tennis ist schon lange nicht mehr angesagt. Weil jeder irgendwas irgendwo wehtut. „Ich merke in letzter Zeit öfter meine Knie, wenn ich mit dem Hund unterwegs bin", sage ich. Gut, dass ich auch was zum Gespräch beisteuern kann. Wir versichern uns alle gegenseitig unser Mitgefühl. Ich nippe an meinem stillen Wasser.
Wenn die Krankheits-Themen dann erschöpft sind, kommen die Kindergespräche. Welcher Sohn und welche Tochter was und wo studiert, und wie es ihm oder ihr an der neuen Uni geht, und wie er schon so lange oder sie schon nicht mehr zu Hause wohnt. Dabei denke ich darüber nach, wie absolut bekloppt ich früher den Spruch gefunden hatte, dass man an den Kindern sieht, wie alt man wird. Heute begreife ich den Wahrheitsgehalt.
„Oh, es ist ja schon 10 Uhr", ruft meine Sitznachbarin so plötzlich aus, als gäbe es seit heute ein Gesetz, dass Frauen ab 50 um 10 Uhr abends zu Hause sein müssen. „Ich muss morgen früh raus", sagt sie und blickt entschuldigend in die Runde. Wir nicken verständnisvoll, die ein oder andere macht auch schon Anstalten, nach Hause zu gehen. „Wenn ich nicht genug schlafe, bin ich am nächsten Tag für nichts zu gebrauchen", meint eine weitere. Mädels! Wo sind die Zeiten hin, als wir mitten in der Woche bis in die Nacht zusammengesessen haben und morgens zwar etwas müde, aber glücklich im Büro saßen? Undenkbar mittlerweile.
Ich schiele auch auf die Uhr und gehe im Kopf den Arbeitstag morgen durch. Ich muss wohl auch gleich die Segel streichen. Herrschte früher der jugendliche Leichtsinn, regiert heute die Vernunft des fortgeschrittenen Alters. Wann habe ich eigentlich das letzte Mal durchgemacht? Ich krame in meiner Erinnerung und tue mich schwer, die Antwort zu finden. Das Gedächtnis lässt im Alter ja bekanntlich auch nach.
Übrigens haben sich auch die Anfangszeiten solcher Abende deutlich nach vorne verschoben. Ist ja auch logisch. Wenn man um 10 Uhr nach Hause muss, trifft man sich am besten schon früh. Sonst kann man gleich daheim bleiben. Apropos früher anfangen. Neulich frage ich Freunde, wann ich den Tisch in unserer Lieblingskneipe für ein gemeinsames Abendessen reservieren soll. 19 Uhr kommt dann prompt. Und direkt danach die Erklärung: „Wir vertragen es nicht mehr so gut, so spät zu essen." Ich lache und will schon spotten, muss dann aber zugeben, dass mir das auch sehr recht ist.
Ich suche die Telefonnummer der Kneipe raus, die ich ohne meine Lesebrille nicht mehr so klar erkennen kann. Lesebrille! Noch vor Kurzem hatte ich keine. Und jetzt das! Nun ja. Wie immer im Leben gibt es auch bei diesem Thema Positives zu berichten: Bis jetzt hat mir immerhin noch keiner seinen Sitzplatz im Bus angeboten.