Im dreifach Golden-Globe-prämierten Roadmovie „Green Book" chauffiert Charaktermime Viggo Mortensen als Tony Lip den schwarzen Klassikpianisten Don Shirley (Mahershala Ali) 1962 auf seiner Konzert-Tournee von New York bis in die politischen Untiefen der Südstaaten.
Unglaublich, aber wahr: Der pazifistisch anmutende Filmtitel bezieht sich auf das sogenannte Negro Motorist Green Book, einen in den USA von 1936 bis 1966 edierten „Reiseführer für afroamerikanische Autofahrer", der die spärlich gesäten Unterkünfte und Restaurants auflistet, in denen auch Afroamerikaner bedient wurden. Und so wird der Roadtrip für die Protagonisten, ein ungleiches Zweckduo, zum Ritt in den heillosen Hades von Rassismus und Ressentiments: Saturday Night Fever in New York City 1962 im Nightclub „Copacabana". Hier geben sich die Nachtgestalten, dubiose Geschäftsleute und Mafiabosse die Klinke in die schmutzigen Hände. Und hier sorgt Tony Lip (Viggo Mortensen), ein kräftiger Italoamerikaner, für Ordnung. „Eher Hinlangen statt lähmende Diskussionen führen", lautet seine schlagkräftige Devise mit Veilchenaugen-Garantie. Als der Amüsiertempel jedoch geschlossen wird, muss er sich um einen neuen Job bemühen. Der Zufall will es, dass der nicht gerade weltoffene Paraderüpel vom Pianisten Don Shirley (Mahershala Ali) als Fahrer für die anstehende Konzert-Tournee in den tiefsten Süden der gar nicht so vereinenden Staaten im Land der sehr begrenzten Möglichkeiten eingestellt wird. Der wortkarge Boss auf dem Rücksitz blickt auf afroamerikanische Wurzeln zurück, gilt also in dieser konfliktreichen Ära als Mensch zweiter Klasse. Und so wird der bequeme, türkisblaue Spritschlucker zur intimen Arena zwischen dem gefräßigen Raubein und dem süffisant-eleganten Upper-Class-Klavierklimperer. „Es macht bestimmt keinen Spaß, so klug wie Sie zu sein", kommentiert Tony den nonchalanten und nachdenklichen Wesenszug seines Chefs.
Gemeinsam werden sie stark
Doch mit jeder gefahrenen Meile erwächst aus der Zweckgemeinschaft eine ziemlich gute Freundschaft, weil Not und Konflikte zusammenschweißen: Das Arbeiterkind aus der Bronx mit der harten Hülle und dem großen Herzen bereitet seinem Auftraggeber allmählich Freude und Zuversicht, vor allem bietet Tony Protektion, weil das politische Panorama und die humane Topografie von gewaltbereitem Rassismus befallen sind. Schwerreiche in feinen Kolonialvillen weisen sie ab, Ladeninhaber mit diskriminierenden Geschäftsattitüden stellen sie bloß, weil es Schwarzen untersagt bleibt, ihre gewählten Anzüge anzuprobieren. Oder „Herrentypen", die ihrem Konzertmagneten das hauseigene WC verbieten. Rednecks, Rowdys und homophobe Cops mit Ku-Klux-Klan-Kolorit prägen die perfide Reise in das schwarze Herz der weißen Würdenträger: Rasse, Hass und Klasse sind jedoch für den loyalen Tony keine unüberwindbaren Mauern. Er legt sich mutig mit allen an, selbst bei Nachtfahrverboten für Afroamerikaner: „Die Würde wird immer siegen!", lautet sein salomonisches Überlebenskonzept.
Würdig, witzig und warmherzig inszeniert Regisseur und Co-Autor Peter Farrelly diese tragikomische Antirassismus-Parabel, wobei das krass-konträre Paar perfekte plausible und psychologisch präzise Pointen setzt. Oscarpreisträger Mahershala Ali („Moonlight") beflügelt den sensitiven Pianisten mit charismatischer Glorie, während Charakterfach-Ikone Viggo Mortensen den respektablen Wachhund mit Fettbauch im weißem Prollunterhemd authentisch perfektioniert. Das Resultat ist ein Sitten- und Gesellschaftsporträt und gleichermaßen ein (wieder sehr akuter) Abgesang auf und über ein fragwürdiges Amerika der 60er-Jahre. Regisseur Peter Farrelly, bislang Spezialist für Klamauk-Kinokracher („Dumm und Dümmer", „Verrückt nach Mary") trifft dabei einen neuralgischen Siedepunkt. Der Oscarkandidat „Green Book" kassierte bei den Golden Globes jüngst gleich drei Preise und wurde als bester Film in der Kategorie Musical oder Comedy ausgezeichnet, darüber adelt Mahershala Ali den Film als die beste Nebenrolle. Prämiert wurde überdies das stilsichere Drehbuch von Nick Vallelonga, Brian Currie und Peter Farrelly.
Auch ein Gesellschaftsporträt
Die durchdringendsten Dramen schreibt dabei die Realität. Im Jahre 1962 tourte der erfolgreiche Pianist Dr. Don Shirley durch die USA und engagierte dafür den späteren „Sopranos"-Mitwirkenden Tony Lip als Chauffeur. In Wahrheit war es jedoch keine blaue, sondern eine schwarze Limousine. Don knüpfte ebenso nie freundschaftliche Bande zu seinem Fahrer. Irgendwie verständlich, die beiden zementierten schon selbst in ihrer Konstellation eherne Vorurteile, zumal der snobistische Erfolgsmensch Don Shirley genau den Gegenpol des vom Alltagsrassismus aufgeweichten Angestellten aus der armseligen Arbeiterklasse bildet. Ob ernüchternde Wahrheit oder künstlerische Fiktion: „Green Book" ist ein grandioses Filmjuwel mit Herz, Hirn und Vernunft geworden, befeuert mit einer zutiefst humanen Botschaft von Menschlichkeit, Respekt, Freiheit, Gleichheit und Verständnis.