Sebastian Thul (SPD), Vorsitzender der Enquetekommission Digitalisierung, über Aufgaben und Zielsetzungen.
Herr Thul, wie beschreiben Sie den Auftrag der Enquetekommission?
Ich würde es als eine Weiterbildung für Politiker begreifen, begrenzt auf ein bestimmtes Themenfeld. Digitalisierung ist ein großes, komplexes, gesellschaftliches und wirtschaftliches Feld, in das man sich tiefer einarbeiten muss, insbesondere wenn sich daraus Konsequenzen für politisches Handeln ergeben. Wir holen uns externen Sachverstand ins Parlament, um anschließend Handlungsempfehlungen für die Politik und für die Menschen zu entwickeln.
Digitalisierung ist überall ein Thema. Was soll die Kommission darüber hinaus bringen?
Es geht um ein Querschnittsthema, das praktisch alle Bereiche des Lebens betrifft. Erst einmal wird es um eine Bestandsaufnahme im Land gehen. Jedes Ministerium macht ja etwas in Sachen Digitalisierung, auch in Bereichen, wo man auf den ersten Blick nicht so schnell draufkommen würde, beispielsweise in der Landwirtschaft. Das Innovationspotenzial ist groß und kann dazu beitragen, bessere Erträge zu erhalten und einer ressourcen- und klimaschonenden Landwirtschaft nachzugehen. Da bietet das Umweltministerium Unterstützung an. Auch für Landwirte, die sich für die Digitalisierung rüsten wollen und merken, dass Digitalisierung auch dort Einzug hält, wo man es zunächst nicht vermuten würde.
Es geht um eine weitere industrielle Revolution, die unser Leben in allen Bereichen verändert. Wir wollen die unterschiedlichen Bereiche und Handlungsoptionen identifizieren, eine Art Digitalisierungsatlas, um zu sehen, wo wir schon stark sind und wo wir Handlungsbedarf haben.
Ministerpräsident Hans hat bereits „Saar-Valley" sozusagen zur Chefsache gemacht.
Es ist schön, von Saar-Valley zu reden. Das unterstützen wir alles, auch im Interesse unserer Wirtschaft. Uns muss es aber auch um die ethischen Fragen der Digitalisierung gehen. Zur Ehrlichkeit gehört dazu, dass nicht für jeden Arbeitsplatz, der wegfällt, ein neuer Arbeitsplatz entstehen wird. Wir dürfen uns deshalb nicht nur auf die Chancen und Risiken konzentrieren, sondern müssen diese Prozesse kritisch begleiten, gestalten und herausfinden, wer Gewinner und wer Verlierer beim Thema Digitalisierung sein wird. Digitalisierung wird die Zukunft der Arbeit völlig neu schreiben. Wir haben vielleicht viel zu spät gemerkt, dass wir uns in einer neuen industriellen Revolution befinden, aber wir haben jetzt noch die Chance – und so begreife ich auch die Enquetekommission – die Entwicklung mitzugestalten. Das gilt auch für andere Bereiche. Wenn ich sehe, wie lange es gedauert hat, bis die Datenschutzgrundverordnung in trockenen Tüchern war, stelle ich fest: Wir sind in vielen Bereichen noch zu langsam. Auch bei der Strafverfolgung muss der Staat handlungsfähig sein. Das Netz darf kein rechtsfreier Raum sein.
Stößt eine Kommission eines Landesparlamentes bei diesen Fragestellungen nicht an Grenzen?
Natürlich ist das ein sehr ambitioniertes Programm für eine Enquetekommission. Und es ist eine berechtigte Frage, ob das alles zu leisten ist. Ich sehe unsere Aufgabe nicht im Klein-Klein technischer Fragen, sondern eher bei den ethischen und grundsätzlichen Fragestellungen. Ein praktisches Beispiel ist das E-Government-Gesetz. Wir wollen Verwaltungsbereiche digitalisieren, was eine große Erleichterung auch für die Bürger wird. Aber wir müssen uns auch die Frage stellen, ob wir alles digitalisieren wollen, was möglich wäre, oder ob es Bereiche gibt, wo ich den Mensch-Mensch-Bezug vor Ort haben will. Da geht es auch um die Frage: Wer organisiert eigentlich unser Gemeinwesen? Oder die Entwicklung der Telemedizin, die sicher Fortschritte bringt bei der Versorgung im ländlichen Bereich. Aber ich kann mir schlechterdings vorstellen, dass ein Roboter den Hausarzt ersetzt. Im asiatischen Bereich geht die Entwicklung bereits sehr stark in solche Richtungen. Bei uns gibt es starke Vorbehalte dagegen, sich Pflegerobotern anzuvertrauen. Aber ich konnte mir auch nicht vorstellen, immer jedem zu sagen, wo ich gerade bin. Heute erzähle ich der ganzen Welt, wo ich gerade bin, was ich esse, ob es mir gut oder schlecht geht. Diese Entwicklung ging rasend schnell, und deshalb kann ich auch nicht sagen, ob es nicht auch bei den Pflegerobotern ähnlich geht.
Die Erfahrung lehrt: Was technisch möglich ist, wird letztlich auch gemacht. Wie wollen Sie da Grenzen ziehen?
Wenn ich Forschern sage: Entwickele mir ein selbstfahrendes Auto – dann machen die das. Aber das beantwortet nicht die Frage: Was macht das dann mit mir, mit der Gesellschaft? Deswegen habe ich als Wissenschaftspolitiker immer gefordert: Macht Begleitforschung. Solche Begleitforschung zu den Entwicklungen ist bislang katastrophal schlecht finanziert. Wir sind als Politik verpflichtet, diese Prozesse zu lenken. Und das hat mit weitaus mehr zu tun als mit Anschlüsse an Breitbandnetze und Ausstattungen von Schulen. Deswegen brauchen wir Sozialwissenschaften und starke Geisteswissenschaften an den Hochschulen. Es bleibt immer die Frage, ob man alles, was möglich ist, auch machen sollte.