Einst tauchte schon Hermann Hesse begeistert in das pulsierende Singapur ein. Der Stadtstaat in Südostasien liegt auch heute als Reiseziel im Trend.
„Still verlaß ich dieses Hafens Becken / Nun kann Europa mich am …" reimte Hermann Hesse im September 1911 etwas unvollständig, aber durchaus interpretierbar. Der junge Schriftsteller hatte die Nase gestrichen voll von Ehe und Familie. Er brauchte Abstand und beschloss, zu reisen. Nach intensiven Vorbereitungen, zu denen auch das Feilen an seinen Englischkenntnissen gehörte, schnappte er sich Tropenhelm und Koffer, verließ seine Bodensee-Idylle und schiffte sich in Genua nach Südostasien ein. Die lange Reise auf dem Reichspostdampfer „Prinz Eitel Friedrich" in Begleitung des reichen Malerfreundes Hans Sturzenegger hatte es in sich. Sie verlief mit Annehmlichkeiten, aber auch mit Strapazen. Hesse kämpfte mit Hitze und Schlaflosigkeit, mit Diarrhoe und Depression. Es sollte die einzige Fernreise bleiben, die der spätere Literaturnobelpreisträger in seinem Leben unternahm. Sie führte ihn auch ins quirlige Singapur.
Wir müssen uns den 34-Jährigen vorstellen in hellem Leinenanzug auf der historischen Cavenagh Bridge, damals die Hauptverbindung zwischen dem Kolonial- und dem Geschäftsviertel Singapurs. Vielleicht rauchte er dabei eine Zigarre. Vielleicht betrachtete er die seinerzeit noch schlammigen Ufer des Singapore Rivers mit den unzähligen engvertäuten Holzbooten. Überliefert ist das nicht. In jedem Fall aber wird Hesse die stählerne Hängebrücke so manches Mal passiert haben, zu Fuß oder per Rikscha, auf dem Weg vom Hotel ins „Chinesenviertel", denn dort hielt sich der Autor gern auf. Anlässe gab es viele. Entweder besuchte er ein Theater. Oder Antiquitätenmärkte. Oder er ging mit anderen Reisebegleitern ins Bordell.
Schmelztiegel der Kulturen
In einigen Ecken und Winkeln war Singapur noch ganz Fischerdorf. An anderen Stellen aber war die Stadt schon damals große Welt. Schmelztiegel der Kulturen. Kronkolonie. Wichtiger Handelsplatz. Auch wenn sich Singapur seit den 60er-Jahren durch enorme Landgewinnungs- und Städtebaumaßnahmen radikal gewandelt hat und regelmäßig durch einen neuen Superbau von sich reden macht. Einiges von dem, was Hesse in seinen Aufzeichnungen als Charakteristika des Inselstaates ausmacht, fasziniert auch heute noch den Betrachter: die „anmutvollen Gartenvorstädte", die „fürstlich breiten Alleen" und „protzigen Gebäude", die die Engländer bauten, der Botanische Garten, das funkelnde Licht der nächtlichen Stadt und das „Meer mit 100 Schiffen".
Dieses Meer zu sehen mit seinen wie an einer Perlenkette aufgereihten Frachtern und Tankern, dazu hat man heute in der an Hotelhochhäusern reichen Stadt beste Gelegenheit. Prädestiniert ist die Dachterrasse des „Marina Bay Sands" mit dem in 191 Meter Höhe schwebendem Infinity-Pool. Zu Füßen des Hotels erstreckt sich gleich die neue Attraktion der Stadt: das Licht- und Farbspektakel des Gardens by the Bay mit den bis zu 50 Meter hohen Supertrees.
Aktuelle Tourismusanalysen bestätigen es: Singapur liegt im Trend. Die Gründe? Zahlreich. Singapur ist, auch aufgrund rigider Gesetzgebung, clean und erfindet sich durch den ausgeklügelten Leitgedanken, eine „Stadt im Garten" zu sein, jedes Jahr neu. Schönes Beispiel: The Interlace, die vertikalen Hochhäuser des deutschen Star-Architekten Ole Scheeren. Dann ist der Tigerstaat ideal für einen Stopover; Indonesien, Australien oder die Südsee liegen quasi vor der Tür. Dazu kommt der unglaubliche Architekturmix zwischen Kolonialzeit und Postmoderne. Und last, but not least die Vielzahl an Vorzeigehotels. „Mandarin Oriental", „Ritz-Carlton", das Stammhaus der Shangri-La-Gruppe – alles zu haben. Im November kommt ein „Kempinski" hinzu. Und Anfang 2019 eröffnet nach zweijähriger Renovierung das altehrwürdige und nach dem Stadtgründer benannte „Raffles" wieder.
Singapur verfügt über eine hervorragende Küche
Ein mondänes Haus in einem malerischen Karree gelegen, das sich tapfer den „modernen Zeiten" in Form wuchtiger Hoteltürme wie des nahen, allzu nahen „Fairmont" entgegenstellt. Das 1887 von vier armenischen Brüdern erbaute „Raffles" hat viele große Geister beherbergt. Charlie Chaplin wohnte hier, Queen Elisabeth II., Karl Lagerfeld. Michael Jackson feierte in dem Suiten-Hotel, in dem der Fruchtcocktail „Singapore Sling" erfunden wurde, seinen 35. Geburtstag.
Und auch Hermann Hesse bezog in der Nobelherberge, die als eines der ersten Häuser am Platz über elektrisches Licht und Ventilatoren verfügte, Quartier. Seine Meinung über das „Raffles" ist spannend, weil so herrlich mürrisch. „Wir wohnen teuer, aber gut", schreibt er, um kurz darauf hinzuzufügen: „Das Riesenhotel ist schauderhaft akustisch und dröhnt in seinen ungeheuren Gängen und Treppenhäusern wie eine Trommel. Schlaf mit Veronal." Hesses Stimmung litt, was vermutlich auch dem Umstand geschuldet war, dass er durch den wohlhabenden Freund gezwungen war, über seine Verhältnisse zu leben. Der Freund hingegen sah keinen Grund sich einzuschränken, er ließ die Korken knallen: „Abends war Sturzeneggers große Einladung im Hotel, elegantes Dinner mit gegen 20 Gästen, Kneiperei und ausgelassene Lustigkeit, nachher trieben wir uns zu dritt bis nachts 3 Uhr in den Hurengassen herum."
Der „Dschungelbuch"-Autor Rudyard Kipling, einer der ersten Schriftsteller im „Raffles", lobte das Essen im Haus. Anders auch hier Hesse, der allgemein nicht sonderlich angetan war von dem, was er sich an Speisen in Singapur zuführte. Darüber würde er heute wohl anders urteilen. Singapur verfügt über eine hervorragende Küche. Man muss dafür nicht einmal in ein Nobelrestaurant gehen. Fast jede Garküche auf der Straße oder in den U-Bahn-Malls kredenzt schmackhafte Speisen. Das Verrückte: Eine dieser Garküchen wurde sogar mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Preisgekrönte Hühnchengerichte zu konkurrenzlos günstigen 1,60 Euro. Nur etwas Geduld braucht es. Die Schlangen vor dem Stand in Chinatown sind so lang, dass man knapp eine Stunde warten muss.