Nur ein globaler Abrüstungsvertrag bringt mehr Sicherheit
Das Verhältnis zwischen den USA und Russland hat sich dramatisch abgekühlt. Der amerikanische Präsident Donald Trump läuft Sturm gegen das Erdgas-Projekt Nord Stream 2. Seine Kritik: Deutschland mache sich aufgrund hoher Energie-Importe zum „Gefangenen" des Kremls. Im Atomstreit mit dem Iran und im Venezuela-Konflikt stehen Washington und Moskau auf unterschiedlichen Seiten. Zuletzt sorgte die Kündigung des INF-Vertrags über Mittelstreckenraketen (Reichweite 500 bis 5.500 Kilometer) zuerst durch die Vereinigten Staaten, dann durch Russland für einen neuen Klimasturz in den bilateralen Beziehungen.
Auslöser sind die Vorwürfe der USA, wonach Russland seit Jahren atomar bestückbare Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von mehr als 2.500 Kilometern aufstelle. Diese könnten auch Ziele in der EU ins Visier nehmen, heißt es. Trifft dies zu, würde die Bedrohung für Europa schlagartig zunehmen. Ein begrenzter Nuklearkrieg wäre nicht mehr ausgeschlossen – sollte Kremlchef Wladimir Putin etwa mit Blick auf das Baltikum oder Polen den Druck massiv erhöhen wollen. Daran ändert auch Putins Weiterreichen des Schwarzen Peters nichts: Er macht geltend, dass die Amerikaner ihrerseits Mittelstreckenwaffen in ihrem Raketenabwehrsystem in Rumänien und bald auch in Polen stationieren würden.
Das INF-Abkommen von 1987 verbot den USA und der Sowjetunion die Aufstellung von landestützten Mittelstreckenraketen – egal ob sie konventionelle oder atomare Sprengköpfe tragen. Mit dem Ausstieg aus dem INF bekommt die langjährige Stabilität in der europäischen Sicherheitsarchitektur tiefe Risse.
Manche sprechen gar von einem neuen „Kalten Krieg". Doch die Bezeichnung ist für die heutige internationale Lage irreführend. In den Jahren nach 1945 war die Welt in zwei Blöcke geteilt. Die Supermächte USA und UdSSR führten das westliche beziehungsweise das sozialistische Lager an. Die beiden Militärbündnisse Nato und Warschauer Pakt verfügten über ein gewaltiges atomares Arsenal.
Hinter dem damaligen „Gleichgewicht des Schreckens" steckte eine finstere Logik: Auf den Angriff der Gegenseite folgt eine „flexible Antwort". Die Eskalationsspirale ließ sich theoretisch bis zur „massiven Vergeltung" steigern, was die Zerstörung des Gegners, aber auch des eigenen Lagers nach sich ziehen würde. Da weder Washington noch Moskau diese Option ernsthaft in Erwägung zogen, war der Einsatz von Kernwaffen tabu.
Heute hat die internationale Politik nichts mehr mit jener Ost-West-Blockbildung zu tun. Die Welt ist multipolar und unberechenbar geworden. Und der Raketen-Streit zwischen Washington und Moskau ist nur die Spitze des Eisberges. Das Problem reicht mittlerweile sehr viel weiter. Nicht nur die USA und Russland verfügen über Mittelstreckenraketen, sondern auch eine Reihe anderer Länder. Nach Berechnungen des Friedensforschungsinstituts SIPRI in Stockholm hat Russland mit 6.850 die meisten Nuklear-Sprengköpfe. Danach folgen die USA (6.450), Frankreich (300), China (280), Großbritannien (215), Pakistan (150), Indien (140), Israel (80) und Nordkorea (15).
Darüber hinaus forschen vor allem die USA, Russland und China bereits an der nächsten Generation der Hightech-Waffen. Darunter fallen Überschallraketen, die mit mehr als 5.000 Kilometern pro Stunde unter feindlichem Radar fliegen und so einen Gegenschlag unmöglich machen können. Zudem arbeiten Militärexperten an der Automatisierung des Krieges. Voll autonome Waffensysteme können, wenn sie von Menschen aktiviert worden sind, über Zielauswahl und Angriff entscheiden. Dabei geht es um selbstfahrende U-Boote, unbemannte Panzer oder Kampfroboter.
Vor diesem Hintergrund braucht die Welt ein globales Abrüstungsabkommen, das alle Waffensysteme umfasst. Eine Revision des INF-Vertrags wäre ein erster Schritt: Sämtliche Länder, die Mittelstreckenraketen in ihrem Arsenal haben, sollten am Ende mit einbezogen werden. Doch die USA und Russland müssen den Anfang machen und ihren bilateralen INF-Zwist begraben. Sechs Monate haben sie hierzu noch Zeit. Die Alternative wäre in jeder Hinsicht gefährlich: Atom-Anarchie würde um sich greifen. Ein weltweiter Rüstungswettlauf würde viele Hundert Milliarden Dollar verschlingen. Die Sicherheit würde flächendeckend ausgehöhlt.