Rolf Lippke aus Berlin ist einer der letzten Schirmmacher in Deutschland. Ein gutes Modell kann schon einmal über 100 Euro kosten, dafür hält es dann aber auch ein Leben lang. Diese Qualität ist mittlerweile auch bei der jüngeren Generation wieder gefragt.
Rolf Lippke ist wahrlich ein feuchtfröhlicher Mensch. Aber nicht so, wie man jetzt vielleicht denken könnte. Vielmehr freut sich der 55-Jährige einfach nur darüber, wenn es viel regnet, denn das ist in seinem Fall gut fürs Geschäft. Andersherum war der vergangene heiße Sommer für ihn eine Katastrophe: Während andere das monatelange Sonnenwetter genossen, sehnte er sich nach ein klein wenig Niederschlag.
Lippke ist der letzte verbliebene gelernte Schirmmacher in Berlin, einer von nur noch drei in den neuen Bundesländern. In ganz Deutschland gibt es nur noch rund 20 Personen, die diesen Beruf ausüben. Seit in fast jeder Drogerie Schirme für wenige Euro zu bekommen sind, die dann allerdings auch kaum einen Sturm überstehen, ist daraus ein Wegwerfprodukt geworden. „Aber wenn man im Jahr fünf solcher Billigschirme kaufen muss, dann kann man sich auch gleich einen guten kaufen", meint Rolf Lippke.
„Schirme sind für mich und viele meiner Kunden mehr als ein funktionelles Produkt. Sie sind eine Lebenseinstellung", sagt er. 1986 hatte er den Beruf des Schirmmachers in Dresden gelernt. Sechs Jahre später übernahm er in Ebersbach in der Oberlausitz sein erstes Geschäft.
Die Geschichte des Unternehmens reicht bis 1882 zurück: Damals gründete ein gewisser Josef Müller auf böhmischer Seite eine Schirmreparatur und bald darauf auch eine Fabrik, die zur Jahrhundertwende sogar bis ins ferne Afrika lieferte. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelte die Firma auf die sächsische Seite der Grenze über, wo schließlich 1988 die Mutter von Rolf Lippke die Geschäftsführung übernahm und diese kurz nach der Wende an ihren Sohn weitergab.
Parallel führte Lippke ein weiteres Geschäft in Dresden, mit dem er 2013 nach Berlin umzog. Dort war er zunächst im Bezirk Wedding ansässig, ehe er 2017 das Fachgeschäft Schirm Schirmer in Steglitz übernahm, das dort bereits seit 1927 existierte. Den Namen hat er beibehalten. „Wenn ich mich am Telefon mit Lippke melde, dann denken die Leute doch, sie hätten sich verwählt", meint er. Und überhaupt: „Einen passenderen Namen als Schirmer kann es für ein solches Geschäft wohl gar nicht geben!"
Das Prinzip eines Regenschirms und dessen Mechanik hat sich seit Jahrhunderten nicht verändert. Sehr wohl aber die Materialien: Anfangs bestanden die Schirmstreben noch aus Walrippen oder aus Fischbein – ein Material, das aus den Barten großer Wale hergestellt wird, mit denen die Meeressäuger Plankton aus dem Wasser filtern. Später wurden Strahlstreben verwendet.
Seit einigen Jahren nutzt man nun Karbon oder Fiberglas, die beide leicht und elastisch sind und denen selbst der stärkste Sturm nichts anhaben kann. „Ein solcher Schirm hält ewig", sagt Rolf Lippke.
Seine Kunden können sich aus einer großen Palette selbst ihren individuellen Regenschirm in passender Größe zusammenstellen. „Herrenmodelle haben meist dunklere Muster und einen größeren Griff, weil Männer größere Hände haben", weiß er zu berichten. Dabei haben die Kunden die Wahl, ob sie lieber einen mit Automatik-Öffnung haben wollen oder einen Schirm, den sie manuell öffnen können.
Die Neuanfertigung eines hochwertigen Regenschirms dauert je nach Auftragslage zwischen vier und fünf Wochen. Für den Schaft verwendet Lippke vorzugsweise Ahorn, Kastanie oder Eschenholz. Mit einer Federstock-Einschneidemaschine fräst er eine Rille in den Schaft, in den er die Stockfeder einsetzen kann. Eines der Modelle in seiner kleinen Werkstatt stammt aus dem Jahr 1930 und funktioniert immer noch einwandfrei. Einer seiner Vorgänger hatte die Maschine damals im Rucksack über den Grenzfluss nach Sachsen mitgenommen, als er aus Tschechien vertrieben wurde. Wenn das Gestell mit den Streben dann montiert ist und der bewegliche Schieber angebracht wurde, wird in einem letzten Arbeitsschritt der Schirmbezug vernäht und anschließend mit dem Gestell zusammengeführt.
Dieser Beruf ist eine aussterbende Spezies
Diese Aufgabe erledigt zu Hause in der Oberlausitz bis heute seine Mutter Christina, die mittlerweile 86 Jahre alt ist. „Ich hoffe, sie kann das auch noch ein paar Jahre machen", sagt Rolf Lippke. Er hat selbst jedoch auch Nähmaschinen in Berlin und will die Tätigkeit seiner Mutter schrittweise übernehmen.
Das teuerste Modell in seinem Sortiment kostet weit über hundert Euro und ist aus italienischer Seide gefertigt, die gegen den Regen natürlich imprägniert wurde. Neben klassischen Herren- und Damenschirmen führt er auch Hochzeitsschirme, damit der schönste Tag im Leben auf keinen Fall ins Wasser fällt. Lippkes größtes Standbein ist jedoch die Reparatur defekter Schirme.
Ein wenig Geduld müssen die Kunden schon mitbringen – eine Reparatur dauert je nach Auftragslage bis zu drei Wochen. Doch diese Wartezeit nehmen sie in Kauf, damit ihr Lieblingsstück schon bald wieder wie neu erstrahlt. Angesichts der günstigen Preise für neue Schirme im Drogeriemarkt mag es zunächst verwundern, dass man überhaupt auf die Idee kommt, sein altes Modell reparieren zu lassen, anstatt sich gleich ein neues anzuschaffen.
„Viele Menschen verbinden mit einem Schirm aber gewisse Erinnerungen", sagt Rolf Lippke. Er berichtet von Witwen, die den Schirm ihres verstorbenen Ehemanns als Andenken bewahren würden, oder von einer älteren Dame, die sich ihren Schirm einst auf einer Italien-Reise gekauft hatte, an die sie sich gern zurückerinnert. Mittlerweile ist es nicht mehr nur die ältere Generation, die zu Rolf Lippke in den Laden kommt. Auch jüngere Männer kämen in letzter Zeit wieder häufiger, sagt er, für die ein individuell gefertigter Schirm auch Ausdruck eines gewissen Lebensstils bedeutet. Das passt zum allgemeinen Trend zu mehr Handarbeit und nachhaltigeren Produkten, von dem Manufakturen aller Art profitieren.
„Es geht wieder aufwärts", meint Rolf Lippke. Was allerdings nichts daran ändert, dass er mit seiner Profession zu einer aussterbenden Spezies gehört. Bereits 1998 wurde der Beruf des Schirmmachers in Deutschland von der Ausbildungsliste gestrichen. Heute kann kein Schulabgänger hierzulande mehr diesen traditionsreichen Beruf erlernen.