Weniger ist mehr – auf dieses Motto des Minimalismus setzen derzeit viele Möbeldesigner. So kommen schnörkellose und einfach gestaltete Möbel in den Handel. Das ist zum einen eine Hommage an Klassiker im Bauhausstil. Es trifft aber auch aktuell den Nerv der Zeit.
Minimalismus ist ein Lebenskonzept, das gerade viele anzusprechen scheint. Es geht darum, seinen Besitz auf das Wesentliche zu reduzieren. Sogar ins Kino hat es dieses Credo geschafft: Im Film „100 Dinge" mit Florian David Fitz und Matthias Schweighöfer wollen zwei Kumpel 100 Tage lang auf ihr Hab und Gut verzichten. Auch Möbeldesigner, Wohnstylisten und Käufer wenden sich dem Konzept zu. Auf der Möbelmesse IMM in Köln waren die gezeigten Wohnwelten merklich reduzierter eingerichtet, und das Design ist schlichter geworden. Drei Leitgedanken für die neue Art des Wohnens:
Klare Formen: Viele Möbel haben aktuell ein reduziertes, geradliniges Design. Sie setzen sich etwa aus geometrischen Formen wie Kreisen, Rechtecken und Quadraten zusammen. Sie sind dabei schnörkellos, ohne Chichi. Die Stühle zum Beispiel sind schlicht, Stauraum- und Büromöbel tragen glatte und grifflose Fronten. Ein Regal setzt sich aus einem Brett mit zwei filigranen Halterungen zusammen, und viele Garderoben bestehen sogar nur aus einem viereckigen Rahmen.
Die Einrichtung kann gut auf das Wesentliche reduziert werden – was ihre Funktion herausstellt. Das hat Vorteile: Das geradlinige Design eigne sich dafür, Dinge in Szene zu setzen, erläutert das Unternehmen &Tradition seine neuen Regale Column JA1 und JA2. Und derart schlichte Möbel können selbst ein Statement sein. „Denn sie stehen für sich und für einen bestimmten Stil", sagt Ursula Geismann, Trendanalystin des Verbands der Deutschen Möbelindustrie (VDM) in Bad Honnef bei Bonn.
Den Besitz aufs Wesentliche reduzieren
Hommage an die Vergangenheit: Zum 100. Gründungsjubiläum in diesem Jahr taucht der reduzierte Bauhausstil wieder verstärkt auf den Möbelmessen auf. Gemäß dem Designausdruck „form follows function" – die Form folgt der Funktion – wurde auf jegliches Ornament verzichtet. Wenige Möbelhersteller haben eine Lizenz, um die Bauhaus-Designs auch heute noch zu produzieren – etwa Knoll International, Classicon, Tecta und die Firma Thonet. Letztere bringt gerade den berühmten Kaffeehausstuhl 214 von Michael Thonet aus dem Jahr 1859 neu heraus, wobei das Designduo Besau Marguerre das ursprüngliche Farbkonzept abgewandelt hat.
Die Stühle gibt es nun in Schwarz, Weiß, Samtrot und Salbei, die Verbindungsstücke sind einige Nuancen heller gebeizt. Dieser Kniff lässt die minimalistische Konstruktion noch deutlicher werden. „Auch die Maserung des Holzes kommt besser zur Geltung", erklärte der Designer Marcel Besau auf der Kölner Möbelmesse.
Der Stuhl ist ein Anschauungsbeispiel für die Idee des reduzierten Designs und seine Funktionalität: Er besteht lediglich aus sechs Bauteilen, zehn Schrauben und zwei Muttern. In der Zeit seiner Entstehung ließ der Stuhl sich dank der wenigen Bestandteile leichter produzieren, zerlegen und verschiffen, erzählt Besau. „Dadurch wurde der Stuhl für die Massenproduktion tauglich."
Weniger Besitz und Dekoration: Minimalisten reduzieren ihren Besitz auf das Wesentliche. Das ist für manchen eine Art Konsumkritik, erklärt Geismann. Achtsamkeit ist vielen wichtig geworden, Nachhaltigkeit ebenso. Aber auch die Lebensrealität vieler Menschen hat sich verändert, gerade die der Generation der aktuell 20- bis 40-Jährigen.
Sie sind mobiler und flexibler, wie Trendanalyst Frank A. Reinhardt erklärt. Die Generation hat teils im Ausland studiert, ist in jungen Jahren schon weit gereist und zieht beruflich bedingt oft um. Sie definiert das Wort Zuhause somit anders: Es gebe keinen Ankerpunkt mehr, an dem man öfters zurückkehrt. „Sondern man ist zu Hause, wo man gerade lebt", erklärt Reinhardt.
Wer so häufig umzieht, versucht, nur wenig mitzunehmen und seinen Besitz auf ausgewählte Stücke zu reduzieren. „Die Lieblingsstücke, W-Lan und iPad bilden den Wohnbesitz", sagt Reinhardt. Sie werden in möblierte Wohnungen mitgenommen, deren Anteil seiner Meinung nach noch weiter wachsen wird. Für die Lieblingsstücke bietet sich reduziertes Design geradezu an. Es ist zeitlos, und die Möbel finden in quasi jedem Einrichtungsstil ein Plätzchen.
Aber auch für weniger mobile Menschen gilt: Lieblingsstücke rücken mehr in den Fokus, während alles andere von Zeit zu Zeit ersetzt oder sogar komplett aussortiert werden kann. Letzteres wird aktuell besonders gehypt – unter anderem durch die beliebte Netflixserie „Aufräumen mit Marie Kondo". Darin zeigt die Japanerin, wie Amerikaner ihren Haushalt ausmisten und neu sortieren können. Idealerweise stellt sich dank der Befreiung von Altlasten als Nebeneffekt Zufriedenheit ein. Das Bedürfnis nach Aufgeräumtheit ist längst auch in Europa angekommen – und wird von den Möbelfirmen gespiegelt. Sie zeigen in Köln ganze Wohnwelten, voll eingerichtete Zimmer. Im Vergleich zu den letzten Jahren wird weniger auf Dekorationen und Überfüllung gesetzt. Im Fokus liegen die filigranen, schlichten Möbel – und viel Raum fürs Durchatmen.