Die Handball-WM hat wieder Millionen Sportfans begeistert. Der Rausch wird zwar schnell verfliegen, trotzdem hoffen die Verantwortlichen auf positive Effekte.
Bob Hanning weiß genau, wie und wann man sich in Szene setzen muss. Der machtbewusste und ohne Zweifel auch geltungsbedürftige Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB) nutzte die Bühne der Heim-Weltmeisterschaft auch zu einer kleinen Selbstinszenierung. Seine außergewöhnlichen Outfits sorgten im Internet für viel Aufsehen. Vor allem der Versace-Pulli mit goldenen Wildkatzen bei der Auftakt-Pressekonferenz dürfte nicht so schnell vergessen werden. „Von der Handball-WM werden nur Hannings Pullis bleiben", schrieb sogar ein Autor des „Münchner Merkur" in seinem Kommentar über die Frage, ob und wie lange die Handballbegeisterung in Deutschland anhält. Das wäre auch Hanning nicht recht. Er und die anderen Verantwortlichen des DHB hoffen auf einen Handball-Boom, auch wenn Deutschland auf Platz vier ein Happy End verwehrt blieb. „Handball-Deutschland", so Teammanager Oliver Roggisch, „ist angefixt". Damit die Begeisterung zumindest in Ansätzen bleibt, will der DHB die Fehler des ersten Wintermärchens unbedingt vermeiden.
Beim Titelgewinn der Heim-WM 2007 waren die deutschen Sportfans ebenfalls vom Handballfieber gepackt. Über 16 Millionen Menschen hatten damals live im Fernsehen beim goldenen Finale mitgefiebert. Anschließend liefen Menschen mit falschen Heiner-Brand-Schnauzern rum, Michael „Mimi" Kraus und Pascal „Pommes" Hens besaßen einen Prominentenstatus wie Fußballprofis. Doch der Hype hielt nicht lange an, schnell verschwand Handball wieder ganz klar hinter dem großen Schatten von König Fußball.
Das ist normal, und das wird auch nach dieser WM wieder geschehen. Es sei unrealistisch, meinte auch DHB-Vorstandschef Mark Schober, „dass im Juni noch so viele Menschen über Handball reden wie gerade jetzt". Doch eines ist anders als 2007: Der Verband ist strukturell und personell anders aufgestellt. Die Hoffnung, dass der deutsche Handball von der Euphorie der letzten Wochen langfristig Nutzen ziehen kann, ist zumindest nicht unbegründet.
„Wir nutzen nicht nur die WM als Leuchtturmveranstaltung, sondern haben auch schon die vergangenen Jahre strategisch gearbeitet", sagte Schober. „Viele Positionen, die früher ehrenamtlich waren, sind heute selbstverständlich hauptamtlich. Wir haben 40 Prozent mehr Personal", rechnet Hanning vor. „Jetzt sind wir dort, wo wir hinwollten."
Begeisterung hielt nicht lange
Hanning, in seinem Hauptjob Geschäftsführer von Bundesligist Füchse Berlin, erzählte schon während der WM von einer Vielzahl neuer Anmeldungen in seinem Verein durch Kinder und Jugendliche. Die wollten auch 2007 mit dem Handballspielen beginnen, doch die Vereine waren auf den Ansturm damals nicht vorbereitet. „Es gab nicht genügend Trainer und wenig Plätze für Spieler", erinnert sich der Weltmeister von 2007, Christian Schwarzer. Die Folge: Zwischen 2009 und 2018 hat der DHB sogar 90.000 Mitglieder verloren. „Heute", betont der frühere Kreisläufer, „wären wir auf einen solchen Boom deutlich besser vorbereitet."
Die WM-Macher gingen von einem Gewinn im siebenstelligen Bereich aus, der komplett in den Handball gehen soll. Ein Drittel fließt in den sportlichen Bereich, zwei Drittel an Schulen und Kindergärten. Dies sei eine Investition in die Zukunft, die sich für den DHB auch finanziell bezahlt machen werde, so Hanning: „Denn das Geld, das ich heute investiere, bekomme ich letztlich über Mitgliedsbeiträge zehnfach wieder raus."
Viel bessere Werbung für den Handball hätte die Weltmeisterschaft nicht machen können. Die deutschen Spieler um Kapitän Uwe Gensheimer, Torhüter Andreas Wolff und Abwehrrecke Patrick Wiencek begeisterten das Publikum. Die bittere Halbfinalniederlage gegen Norwegen in Hamburg sahen knapp zwölf Millionen Zuschauer im Fernsehen, regelmäßig sorgte das Team von Bundestrainer Christian Prokop um die 30 Prozent Marktanteil für die übertragenden TV-Sender ARD und ZDF. „Wenn ich einen Marktanteil von 30 Prozent lese, dann frage ich mich immer: Was machen die anderen 70?", witzelte Hanning. Dabei ist das ein Luxusproblem.
Im Handball hat in den vergangenen Jahren der Aufschwung auch deshalb gefehlt, weil die Weltmeisterschaften zuletzt aufgrund schwieriger Verhandlungen mit den Rechteinhabern nicht im Free-TV liefen. Diese Baustelle wurde schon vor der WM geschlossen: ARD und ZDF sicherten sich bis 2025 die Übertragungsrechte von Welt- und Europameisterschaften, darunter auch die der Heim-EM 2024. DHB-Präsident Andreas Michelmann schwärmte von einer „gigantischen Planungssicherheit", mit der man die Sportart noch populärer präsentieren könne.
Von den Fans, die die WM-Spiele in Berlin, München, Köln und Hamburg besuchten, dürften die meisten begeistert gewesen sein. Die Stimmung in den großen Arenen war meistens grandios, selbst wenn die deutsche Mannschaft nicht auf der Platte stand. Beim Platzierungsspiel in Köln zwischen Katar und Chile wurden zum Beispiel mehr als 13.000 Besucher gezählt.
Mehr als 900.000 Besucher
Auch deshalb verzeichneten die Organisatoren einen Zuschauerrekord. Insgesamt strömten in Deutschland und bei Co-Gastgeber Dänemark mehr als 900.000 Besucher zu den Spielen, die bisherige Bestmarke der WM 2007 (750.000) wurde geradezu pulverisiert. Es habe sich als „absolut richtige Entscheidung" erwiesen, betonte Hanning, statt in Handball-Hochburgen wie Flensburg oder Gummersbach in die deutschen Großstädte zu gehen. Die Besucherzahlen hätten ihn „extrem überrascht", gab DHB-Präsident Michelmann zu, „das zeigt aber, was für ein handballverrücktes Volk wir sind."
Rund 758.000 Mitglieder zählt der Verband, Handball ist in Deutschland fest verwurzelt. Mit ihrer Dynamik, Härte und den vielen Toren ist die Sportart äußerst telegen. Während der WM wurde eine lebhafte Diskussion geführt, ob und warum der Handball im Vergleich zum Fußball die bessere Sportart sei. Eine müßige Diskussion, und dennoch glaubt Hanning: „Wir verkürzen den Rückstand zum Fußball, ohne den Fußball anzugreifen."
Die WM dürfte die Zahl der Sympathisanten noch einmal kräftig nach oben geschraubt haben. Handball, da sind sich Experten einig, ist klar die Nummer zwei in Deutschland hinter König Fußball. Den Angriff von Eishockey mit der sensationellen Silbermedaille bei Olympia haben Gensheimer und Co. mit der Heim-WM pariert.
Davon will nun auch die Handball-Bundesliga (HBL) profitieren. Die Weltmeisterschaft war fast eine geschlossene Gesellschaft, 95 Aktive aus den 24 teilnehmenden Ländern verdienen ihr Geld in Deutschland. „Das Attribut ,stärkste Liga der Welt‘ haben wir zu Recht", sagte HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann der „FAZ". Mit gezielten Kampagnen in den sozialen Medien sollen Fabian Wiede, Silvio Heinevetter oder Gensheimer, der vom Topclub Paris Saint-Germain zurück zu den Rhein-Neckar Löwen wechselt, weiter als die Gesichter im deutschen Handball präsentiert werden. Doch in Größenwahn will die Liga nicht ausbrechen. „Die Vereine werden sicher regional positive Effekte haben", sagte Bohmann, „aber wir dürfen nicht zulassen, dass nun plötzlich einer denkt: Jetzt zeigen wir denen in Paris mal, wo es langgeht." Bei PSG verdienen Topspieler eine halbe Million Euro und mehr pro Jahr – unvorstellbar in Deutschland. Und nun alles auf die Karte Großstädte zu setzen, sei auch nicht der Königsweg, mahnte Bohmann: „Wir wollen lieber bei unseren Wurzeln bleiben."
Vielleicht kann die Liga, die mit einigen Topteams auf Augenhöhe in der Tat sportlich attraktiv ist, die durch die WM neu dazugewonnenen Fans mit einem abwechslungsreicheren Rahmenprogramm zum Bleiben bewegen. „Vor zwei Wochen habe ich meinen Kumpel Dirk Nowitzki in Dallas besucht und war auch bei einigen Basketballspielen von ihm", erzählt Ex-Profi Schwarzer. „Die Amis machen in Sachen Stimmung beim Basketball einiges besser als wir beim Handball. Dort ist jedes einzelne Spiel ein riesiges Event von vier Stunden."
„Zu Recht stärkste Liga der Welt"
Ein Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg ist auch, die prominenten Nationalspieler weiterhin ins Gedächtnis der Sportfans zu bringen. Der Handball brauche „wieder mehr Gesichter", findet auch der Weltmeister von 2007, Henning Fritz: „Dafür müssen auch unsere Jungs sorgen. Denn so können wir die Kinder von heute dafür gewinnen, sich für unsere tolle Sportart zu entscheiden und die Nationalspieler von morgen zu werden."
Allerdings warnte der frühere Torwart davor, die Spieler zu überfordern. Der Terminplan ist angesichts von bis zu 80 Spielen pro Saison schon jetzt völlig überlastet. „Während des Liga-Alltags beispielsweise noch zahlreiche TV-Formate abzuklappern, ist sehr anstrengend und ermüdend", sagte Fritz. Einfacher und nicht minder einprägsam ist da schon ein greller Pulli bei öffentlichen Auftritten.