Die Filmindustrie befindet sich im Umbruch. Streaming-Dienste mit Milliarden-Etats bedrängen das klassische Kino. Auch die Berlinale spürt den Einfluss von Netflix und Co. Was die Branche tut, um zu überleben.
Zehn Oscar-Nominierungen, viel Kritikerlob und eine Premiere im internationalen Filmgeschäft: Mit seiner Produktion „Roma" bricht der Streamingdienst Netflix gerade mit voller Wucht in die Domäne des klassischen Kinos ein. Noch im vergangenen Sommer hatte Cannes ein Veto gegen alle Netflix-Produktionen eingelegt, nur Kinofilme durften im Festival laufen. Dann bekam „Roma" in Venedig den Goldenen Löwen. Und jetzt hat der Schwarz-Weiß-Film über eine mexikanische Hausangestellte Aussicht auf mehrere Oscars. Eine Zeitenwende.
Auch die Berlinale (vom 7. bis zum 17. Februar) stellt sich dem wachsenden Gewicht von Netflix, Amazon Prime und anderen Streaming-Anbietern. Zwei Produktionen – davon „Elisa y Marcela" von Netflix im Wettbewerb – sind in Berlin mit dabei.
Zwar betont Festivalchef Dieter Kosslick: „Wir müssen erst mal klarmachen, dass wir als Filmfestival für Kinofilme zuständig sind." Mit einem Produktionsetat von geschätzten 13 bis 15 Milliarden US-Dollar für 2018 gibt die Plattform inzwischen für Inhalte mehr aus als jedes Hollywood-Studio. Das ist mehr als das gesamte Budget des öffentlich-rechtlichen Fernsehens von 9,1 Milliarden Euro. Rund 80 Filme hat Netflix im vergangenen Jahr produziert, etwa doppelt so viele wie Warner Brothers, das größte der Major-Studios. Nicht nur Geld – auch Talent kann Netflix an sich binden, wie das Beispiel von „Roma"-Regisseur und Oscar-Preisträger Alfonso Cuarón („Gravity") zeigt. Auch Amazon Prime Video wächst: Im vergangenen Jahr sollen fünf Milliarden Dollar in neue Entwicklungen geflossen sein.
Diesen Sog spürt Kosslick auch in der Festivalzentrale am Potsdamer Platz. Debatten über kontroverse Filme auf der Berlinale? Nein, sagt er. In diesem Jahr erwarte er vor allem eine Diskussion über das Thema Streamingdienste gegen Kino. „Es ist der große Kampf um die Bilder und den weltweiten audiovisuellen Markt." Längst trägt auch die Berlinale den veränderten Sehgewohnheiten Rechnung: Seit einigen Jahren gibt es Serien-Tage, auf denen Neuigkeiten aus deutscher Produktion präsentiert werden.
Serien werden immer wichtiger
Welche wirtschaftliche Kraft das Seriengeschäft entfaltet, zeigte sich etwa bei „Babylon Berlin". Die Serie über die Zwanzigerjahre startete zunächst auf dem Pay-Sender Sky, bevor sie erst knapp ein Jahr später in der ARD zu sehen war. Diesen Zeitvorsprung hatte sich Sky als Koproduzent gesichert.
Was Plattformen wie Uber für Taxis und Airbnb für Hotels sind, werden Streamingdienste für Fernsehen und Filmindustrie: Sie stellen ein Geschäftsmodell infrage, das sich mehr oder weniger über Jahrzehnte bewährt hat. Seitdem es Fernsehen gibt, hat das Kino zwar das Monopol über die bewegten Bildern verloren. Aber mit den Videos auf Abruf und den Abo-Diensten, die im Monat kaum mehr als eine Kinokarte kosten, entstehen mächtige Mitspieler, die nach neuen Regeln agieren. Das britische Magazin „The Economist" spricht von „Netflixonomics". Netflix hat nach eigenen Angaben mittlerweile über 120 Millionen Abonnenten weltweit, Amazon Prime Video rund 100 Millionen.
Ob Fernseher, Laptop oder Tablet – mit dem Internet verschwinden die Grenzen zwischen den Geräten; Bilder sind überall verfügbar. Im Buhlen um die Aufmerksamkeit und die Zeit der Zuschauer werden Serien immer wichtiger. Die Plattformen kennen die Sehgewohnheiten ihrer Abonnenten genau und richten ihr Angebot entsprechend danach aus. Netflix und Co. können genau auf Zielgruppen optimierte Produktionen liefern und damit neue Massenmärkte wie Indien oder Afrika erschließen.
Noch versuchen die Festivals mit ihren Regelwerken das Kino zu schützen. Im Berlinale-Wettbewerb, so Kosslick, sollten Filme laufen, „die auf jeden Fall in die Kinos kommen". Zwar wurde auch „Roma" zunächst in ausgewählten Filmtheatern gezeigt, bevor das Werk bei Netflix abzurufen war. Kritiker warnen, dass die Streamingdienste Festivals als Werbeplattform für ihre Angebote missbrauchen. Deswegen sieht auch Kosslick dringenden Gesprächsbedarf. Es gehe letztlich darum, „ob das Kino überleben kann und ob die Studios überleben können."