Eine neue Grundrente, genannt „Respektrente", soll Altersarmut vermeiden, so ein Vorschlag der SPD. Tut sie das wirklich? Die Idee hat eine Diskussion um die Grundlagen des deutschen Rentensystems ausgelöst.
Die Absicht ist klar: Jetzt geht es endlich wieder um die viel beschworenen „Inhalte". Die SPD will punkten, und das gelingt ihr offenbar auch. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) schlägt eine Grundrente vor, die verhindern soll, dass Renten unter das Existenzminimum fallen können. Sie soll für alle gelten, die 35 Jahre oder länger versicherungspflichtig beschäftigt waren. Und den Rentnern vor allem einen „Respekt vor der Lebensleistung" bezeugen.
Von Gewerkschaftsseite kommt sofort Zustimmung: „Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet und sich einen kleinen Wohlstand erwirtschaftet haben, sollen darum nicht bangen", sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann in der ARD. Die FDP lehnt die Grundrente ab, die Union ist auch dagegen, wie die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus übereinstimmend äußern. Bei der Bevölkerung kann die SPD dennoch punkten: Eine deutliche Mehrheit der Deutschen (61 Prozent) ist dafür, wie eine Umfrage für das ZDF-„Politbarometer" zeigt.
Natürlich steckt auch der Wunsch dahinter, das Parteiprofil zu schärfen, sich wieder ein wenig weiter links zu verorten als genau mittendrin. Das zieht: Vor allem die Anhänger von SPD (74 Prozent), Grünen (72 Prozent) und Linken (70 Prozent) können dem Vorschlag etwas abgewinnen. Dass auch AfD-Freunde zu 59 Prozent für das neue Modell sind, dürfte jedoch einige Sozialdemokraten verblüffen.
Mit seinem Vorschlag hat Arbeitsminister Heil eine Diskussion angestoßen, die viele bewegt und betrifft – indirekt alle 21 Millionen heutigen Rentner und alle künftigen dazu. Es geht immerhin um nichts Geringeres als um die Grundfrage: Ist meine Rente fair?
Dabei gilt: Schon heute muss kein Rentner unter dem Existenzminimum leben. Wenn die Rente objektiv zu niedrig ist, kann er oder sie eine ergänzende Grundsicherung beantragen und erhält sie auch, wenn die Bedürftigkeitsprüfung dafür positiv ausfällt. Wer beispielsweise mit einem Ehepartner zusammenlebt, der eine hohe Rente hat oder in seinem eigenen Haus wohnt und so die monatliche Miete spart, gilt als nicht bedürftig und erhält keine zusätzliche Grundsicherung.
Um welche Beträge geht es beim aktuellen System? Nach einer Beispielrechnung der Deutschen Rentenversicherung hat ein allein lebender Rentner einen Bedarf von 857 Euro im Monat. Diese Berechnung variiert leicht, unter anderem wegen der nach Kommunen unterschiedlichen Mietkosten. Erhält unser Beispielrentner eine Rente von nur 325 Euro, wird diese um die fehlenden 532 Euro über die Grundsicherung aufgestockt. Die Summe für ein Ehepaar läge entsprechend höher – die Partner würden zusammen veranschlagt. Auch sie bekämen ihre zusammengezählten Renten aufgestockt, falls sie unter ihrem gemeinsamen Bedarf liegen. 550.000 Rentner über 65 Jahre erhalten diese ergänzende Grundsicherung. Warum daran etwas ändern?
Die unterbrochene Erwerbsbiografie wird nicht berücksichtigt
Heils Vorschlag betrifft all diejenigen, die über 35 Jahre hinweg Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt haben. Er rechnet vor, dass bei jemandem mit einem durchgehend niedrigen Einkommen so momentan 514 Euro Rente fällig werden. Die würden nun erhöht, und zwar unabhängig vom Bedarf, auf 961 Euro im Monat, in diesem Fall also um fast 90 Prozent mehr. Und das automatisch. Er oder sie würde also gar nicht bemerken, warum er mehr Geld bekommt, es wäre einfach eine höhere Rente. Davon sollen schätzungsweise drei bis vier Millionen Menschen profitieren können.
Nicht das Geld an sich ist also das Neue. Das bekommt man bislang auch schon, wenn es beantragt wurde und begründet war. Neu wäre hingegen, dass der Antrag und die Prüfung selbst wegfallen sollen; und dass die Grundrente in die Berechnungen des normalen Rentensystems integriert würde. Es wäre also eine wirkliche Modifikation des Systems. Dieses beruht seit 1957 auf dem sogenannten Äquivalenzprinzip: Je mehr eingezahlt, desto höher auch die Rente. Das Problem dabei: Wer wenig einzahlt, kriegt wenig raus. Das ist quasi so eingebaut. Das aktuelle Rentensystem fragt nicht, wer braucht wie viel, sondern nur: Wer hat wie viel eingezahlt? Um eine mögliche Lücke zum Bedarf zu vermeiden, wird aus Steuermitteln ergänzt.
Mit der neuen Diskussion wird die „Systemfrage" gestellt. Es geht um zwei Prinzipien: Äquivalenzprinzip einerseits und Schutz vor Altersarmut auf der anderen. Zwei Ziele, die bisher nicht unter einem Dach lagen: Der Schutz vor Altersarmut geschieht bislang außerhalb der eigentlichen Rentenversicherung. Wenn man vom Äquivalenzprinzip abrückt, bedeutet es, dass der eine 900 Euro bekäme, weil er dafür entsprechend eingezahlt hat, und der andere genauso viel, obwohl er viel weniger eingezahlt hat. Das wirft die Frage auf, ob man so die Versicherungspflicht rechtfertigen kann. Ist es eine gute Idee, beide Ansprüche in das Rentensystem hineinzupacken?
„Grundsätzlich bin ich zwar dafür, vom Prinzip der reinen Beitragsäquivalenz wegzugehen und mehr Umverteilung in das Rentensystem zu integrieren", sagt Hans Fehr, Wirtschaftsprofessor an der Universität Würzburg, auf Nachfrage. Dennoch hält er vom Vorschlag von Hubertus Heil wenig und das aus mehreren Gründen. So sei die Altersarmut derzeit noch kein dramatisches Problem, die künftige Altersarmut aber schon – und gegen die sollte man etwas tun. Heils Vorschlag würde aber sofort wirken und schon heute die Rentenkasse belasten. Und Fehr spricht ein weiteres Problem an: „Ich bezweifle, dass damit wirklich die Altersarmut bekämpft wird. Viele Menschen haben einfach keine so langen Beitragszeiten."
Tatsächlich macht Heils Vorschlag eine willkürlich erscheinende Trennung: 35 Jahre ist gut und verdient Respekt, aber was ist mit denjenigen, die „nur" 34 Jahre eingezahlt haben? Auf diese Frage hat das Konzept keine Antwort.
Dabei ist der weitaus häufigste Grund für Altersarmut eine unterbrochene Erwerbsbiografie. Nach Ansicht von Experten werden diese Fälle in Zukunft deutlich zunehmen: Menschen unterbrechen aus unterschiedlichsten Gründen ihr Arbeitsleben für längere Zeit, beispielsweise weil sie arbeitslos oder auch krank werden.
Finanzwissenschaftler Fehr ist gar nicht abgeneigt, tatsächlich ebenso wie Heil ins Rentensystem mit seinen Berechnungen direkt einzugreifen. Auch er plädiert dafür, gerade die geringen Renten anzuheben. Er würde jedoch eine Berechnung wählen, die die Beitragsjahre gegenüber der Höhe des gezahlten Beitrags stärker gewichtet. Ohne eine 35-Jahre-Grenze. „Das wäre zumindest systematischer und längerfristig orientiert" – offenbar hat die Diskussion um eine Reform der Rente mit Heils Vorschlag erst richtig begonnen.