Norman Chauke schafft, was vielen in Südafrika auch Jahre nach dem Ende der Apartheid verwehrt bleibt: Ihm gelingt der Ausstieg aus seinem Dasein als Hilfsarbeiter und zugleich findet er als Fährtenleser seine Berufung.
Kaum färbt die aufgehende Sonne den Horizont glutrot, ist Norman Chauke bereits unterwegs im Busch auf Spurensuche. Konzentriert richtet er den Blick auf den sandigen Weg vor ihm. Es dauert nicht lang, da hat er die Fährte eines nNashorns ausgemacht. Die Spur ist frisch, das ahnungslose Tier kann noch nicht weit gekommen sein. Lautlos heftet er sich an seine Fährte. So oder ähnlich fängt ein typischer Arbeitstag für den jungen Fährtenleser und Naturführer an. Üblicherweise hat er eine Gruppe Naturbegeisterter dabei, die bei seinem Arbeitgeber, der Firma Eco-Training, einen Kurs in einem der Ausbildungscamps in Südafrika absolvieren.
Tracking, also das Lesen von Fährten und Aufspüren von Tieren, bedeutet dem Tierfreund viel – es sei sein Leben, „etwas, für das ich geboren wurde" sagt der 26-Jährige selbstbewusst. „Tracking ist meine Sprache, mein Baby, mein Ein und Alles – ohne das wäre ich nicht glücklich auf der Erde." Am liebsten spürt er Löwen nach dem Regen auf. Die männlichen Tiere markieren dann ihre Territorien neu und sind dabei ständig in Bewegung. „Man findet keinen am selben Ort, und dafür brauche ich eine innere Verbindung zu dem Tier. Ich muss mich in seine Lage versetzen, die Spuren in der Umgebung lesen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen", erläutert er. Sobald er einem Löwen folgt, befällt ihn das Jagdfieber. Dann taucht er ein in seine Umgebung und verschmilzt mit ihr. Dabei spielt es keine Rolle, ob es heiß ist oder regnet, ob er Hunger hat oder müde ist. „Ich liebe es, wilden Tieren in meiner Tarnkleidung zu Fuß zu folgen. Ich fühle mich als Teil der Natur, erlebe sie mit allen Sinnen, kann alles anfassen und bin kein fremdes Objekt – das ist etwas ganz Besonderes." Spurenlesen bedeutet für ihn mehr, als nur einem Tier zu folgen, denn man lerne viel über sich selbst. Er weiß, wovon er spricht.
Norman wurde in Johannesburg geboren und verbrachte dort auch die ersten Jahre seines Lebens. Seine Eltern suchten – wie viele andere auch – ihr Glück in der großen Stadt. Dort fanden sie Arbeit. Mit etwa fünf Jahren zog er mit seiner Familie zurück nach Makuleke im Norden von Südafrika, dem Heimatdorf seiner Eltern. Er genoss seine Kindheit auf dem Land. Mit Freunden brachte er jeden Morgen das Vieh in den Busch zum Grasen. Erst danach machte er sich auf den Weg zur Schule. Profitiert hat er in seiner Zeit als Hütejunge viel vom Wissen über das Leben in der Wildnis: „Ein Onkel erklärte uns, wie wir Pflanzen und Früchte nutzen können. Er wies uns auch in das Fährtenlesen ein und zeigte uns, wie wir Fallen für Vögel bauen."
Das Geld für die Universität fehlte
Nach der Schule folgte eine schwierige Phase für den Naturliebhaber. Er wäre gern zur Universität gegangen. Allerdings waren die Noten nicht gut genug, oder es fehlte die Finanzierung. Ein Jahr verbrachte er in Makuleke zu Hause vor dem Fernseher oder mit Gelegenheitsjobs und wenig Perspektive als selbstgelernter Dachdecker oder Fliesenleger – so wie viele junge Menschen in dieser Region. Sie verdingen sich als Tagelöhner, verdienen sich ein Zubrot mit der Wilderei oder wandern in die Städte ab. Gerade die ländlichen Gebiete im Norden von Südafrika gelten als strukturschwach und bieten kaum Arbeitsmöglichkeiten.
Ein Stipendium seiner Heimatgemeinde brachte die Wende für Norman. Ihm wurden Ausbildungskurse zum Naturführer finanziert. Das Geld für die Stipendien wird durch die Vergabe von drei Konzessionen in der Makuleke Concession erwirtschaftet. Das ist ein Schutzgebiet mit einer besonderen Geschichte. Einst war es die Heimat der Makuleke. 1968 vertrieb das Apartheid-Regime die Menschen gewaltsam und verleibte das so gewonnene Land dem Kruger-Nationalpark ein. Kompensation gab es dafür keine. Nach dem Ende der Apartheid forderten die Makuleke erfolgreich ihre Heimat zurück. Seit 1998 können sie wieder über ihr Land verfügen. Sie errichteten ein Schutzgebiet, überlegten sich ein Konzept zur ökotouristischen Nutzung und verzichteten auf eine erneute Besiedlung. Die Community Property Association (CPA), das zuständige Gemeindeorgan, verwaltet die Konzessionen. Derzeit bieten zwei Lodges Übernachtungen und verschiedene Aktivitäten für Touristen an. Die dritte Konzession erhielt Eco-Training zur Ausbildung künftiger Naturführer und Ranger. Das erwirtschaftete Geld fließt in die Infrastruktur, Strom- und Wasserversorgung sowie Maßnahmen im Gesundheits- und Bildungsbereich. Die CPA baut Schulen und engagiert sich vor allem in der Umweltbildung. Sie vergibt Stipendien an interessierte Gemeindemitglieder, die im Tourismus und Naturschutz Fuß fassen möchten. In den letzten Jahren haben so verschiedene einheimische Naturführer oder Mitarbeiter für den Hotel- und Gastronomiesektor erfolgreich ihre Abschlüsse erworben. Sie finden Arbeit in den Camps oder in nahegelegenen Lodges. Mit ihrem Engagement fördert die Gemeinde das Interesse am Schutz von Flora und Fauna in ihrem Einzugsgebiet. Gerade in diesem Bereich hat der größte Teil der dunkelhäutigen Bevölkerung in Südafrika Nachholbedarf. Unfreiwillig war er während der Apartheid vom Naturerlebnis in den Nationalparks ausgeschlossen und profitierte weder ökonomisch noch sonst irgendwie davon.
Seinen ersten Kurs besuchte Norman an der Tracker Academy in Südafrika. Dort lernte er professionelles Fährtenlesen und alles, was er über das Verhalten von wilden Tieren wissen musste. Der Grundstein für seinen Erfolg war gelegt. „Ich habe meine Liebe für die Natur entdeckt. Tracking ist für mich mehr als nur ein Job, es ist ein Teil von mir." Aus Begabung und Leidenschaft hat er einen Beruf gemacht. „Das hat mein Leben dramatisch verändert." Über das Tracking habe er auf die richtige Fährte für sein Leben gefunden und dieser folgt er zielsicher. „Ich weiß jetzt, woher ich komme und wohin ich gehe." Das sei mehr, als er erwarten könne vom Leben. „Es bringt Essen auf den Tisch und ein Lächeln in mein Gesicht. Selbst wenn ich schlafe, träume ich vom Tracking."
Er sieht sich als gutes Beispiel für Jugendliche
Norman wollte nicht als Fährtenleser für Touristen in einer Lodge arbeiten. Viel wichtiger war und ist ihm, die Menschen in seiner Heimat von der Natur zu begeistern, sie zum Naturschutz zu animieren und sein Wissen weiterzugeben. Sein Mentor an der Tracker Academy vermittelte den Kontakt zu Eco-Training. Dort fing er zunächst als freier Mitarbeiter an. „In den Kursen lernte ich, wie ich mein Wissen als Naturführer an andere Menschen weitergeben kann", erzählt Norman stolz. Die Kollegen erkannten sein Talent. Die Firma förderte Norman und ermutigte ihn, die in Südafrika erforderlichen Qualifikationen für professionelle Tour-Guides zu erwerben. Dazu musste er verschiedene Prüfungen der Field Guide Association of South Africa bestehen. Sie reguliert die Standards und Vorgaben für die Tour-Guide-Industrie im Land.
Dankbar ist er – allen voran seiner Heimatgemeinde – für die Ausbildung, die er bekommen hat. „Sie haben mir die Chance gegeben, mein Leben zu ändern und etwas Gutes daraus zu machen", sagt er glücklich. Deshalb sieht er sich als gutes Beispiel für Jugendliche in seiner Gemeinde und ergänzt: „Ihr Erfolg ist auch mein Erfolg". Je mehr Menschen ausgebildet sind und die Bedeutung von Naturschutz verstehen, desto positiver wirkt sich das auf sie und ihre Umwelt aus. Tatkräftig unterstützt er die Kursteilnehmer aus dem Dorf, denn er kann ihnen in ihrer Muttersprache Shangaan oder Xitsonga, einer Bantusprache, erklären, worum es geht. Gern besucht er Schulen und spricht dort mit den Schülern über ihre Zukunft und die Bedeutung von Naturschutz. Fertig ist der junge Tracker mit seiner Ausbildung jedoch noch lange nicht, sagt er bescheiden von sich selbst. Er hat ehrgeizige Pläne und möchte in nicht allzu ferner Zukunft „Master Tracker" sein – Menschen mit dieser Qualifikation gibt es in Südafrika nur sehr wenige.