Nach den anstrengenden WM-Tagen waren Kopf und Beine von Fabian Wiede, Paul Drux und Silvio Heinevetter noch recht müde. Beim Sieg im Europacup zeigte das Trio der Berliner Füchse aber aufsteigende Tendenz.
Berlin – Paul Drux hatte einen dicken Hals. Das Hochgefühl der berauschenden Heim-Weltmeisterschaft war plötzlich kaum noch zu spüren, die Tristesse bei seinem Heimatclub Füchse Berlin dagegen umso mehr. „So kann man nicht auftreten", kritisierte der Handball-Nationalspieler seine Mitspieler und sich selbst.
Drux, Fabian Wiede und Silvio Heinevetter, drei Helden der Weltmeisterschaft im Januar, waren bei der überraschenden 30:34-Niederlage der Füchse in der Bundesliga bei TBV Lemgo Lippe mit dem Team untergegangen. Umso motivierter spielten die WM-Vierten drei Tage später auf europäischer Bühne: Beim Auftaktsieg zur Gruppenphase im EHF-Pokal gegen den französischen Erstligisten St. Raphael Var (33:29) glänzten vor allem die beiden Rückraumspieler.
Drux warf sieben Treffer und war ein ständiger Antreiber. Wiede traf fünf Mal und sorgte mit einem Tor nach einem Kempa-Trick für das spielerische Highlight der Partie. Auch Heinevetter zeigte im Tor ansteigende Form und parierte sogar einen Siebenmeter.
Vor dem Anpfiff wurde Wiede noch mal von der Vergangenheit eingeholt. Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning zeichnete das Eigengewächs mit einem Blumenstrauß und einem goldenen Berliner Bären aus, weil er bei der WM als einziger deutscher Spieler ins All-Star-Team berufen wurde. Auch Kapitän Hans Lindberg wurde für seinen WM-Titel mit Dänemark geehrt. Möglicherweise davon beflügelt, drehten Wiede und Lindberg vor 6.351 Zuschauern in der Max-Schmeling-Halle wieder auf – genau wie ihre Teamkollegen. „Wir haben mehr Zugriff gefunden und aggressiver gespielt", lobte Drux: „Wir haben uns das erkämpft. Wir haben den Gegner ein bisschen müde gespielt und hatten den längeren Atem."
Siebenmal standen sich beide Teams in den vergangenen zwei Jahren gegenüber – zum fünften Mal verließen die Füchse als Sieger die Platte. Durch den Erfolg am vergangenen Sonntag scheint das anvisierte Ziel im EHF-Pokal, die Teilnahme am Final-Four im Mai in Kiel, durchaus realistisch für den Titelverteidiger aus Berlin. Die weiteren Gruppengegner sind Ciudad de Logrono (Spanien) und Balatonfüredi (Ungarn) – keine ganz dicken Brocken.
Die Europacupspiele kosten zwar viel Kraft, und die Belastungen sind für Handballer gerade in diesem Jahr enorm hoch. „Aber wir wollten diese Spiele unbedingt", sagte Füchse-Trainer Velimir Petkovic, „und wir wollen unseren Weg unbedingt weitergehen." Denn internationale Erfahrung ist für das Berliner Team sehr wichtig. Ob nun Kevin Struck, Christoph Reißky oder Frederik Simak – für die in der eigenen Jugend ausgebildeten Nachwuchsspieler sind Auftritte gegen internationale Teams viel wert.
Zerbe fordert: Analysieren und steigern
Nicht alle haben wie Drux, Wiede und Heinevetter bereits etliche Länderspiele auf dem Buckel. Das Trio verpasste bei der Weltmeisterschaft auf Platz vier zwar knapp eine Medaille, aber dafür kassierte es reichlich Lorbeeren. Heinevetter stellte sein nicht gerade kleines Ego hintenan und war ein verlässlicher und unterstützender Vertreter von Stammtorhüter Andreas Wolff. Drux galt wegen seines Verletzungspechs als Wackelkandidat, doch der 26-Jährige rechtfertigte die Nominierung von Bundestrainer Christian Prokop mit starken Leistungen und wichtigen Toren. Und Wiede (25) war so etwas wie der Star im DHB-Team, seine Dynamik und Spielermacher-Qualitäten aus dem rechten Rückraum waren ein Garant für den Erfolg.
Davon war im Füchse-Trikot nach der Rückkehr zunächst nichts zu sehen. Gegen Lemgo war Wiede bei nur zwei von sieben Versuchen erfolgreich – eine schwache Quote für einen Mann seiner Klasse. „Er hat die Leistung nicht gebracht – wie einige andere auch", sagte der Sportliche Leiter der Füchse, Volker Zerbe. Ohne Wiede direkt anzusprechen, ergänzte der frühere Spieler: „Wir haben nicht mit der Leidenschaft gespielt, die für ein Bundesligaspiel notwendig ist."
Der Dämpfer war besonders heftig, weil der Club sich für die Rückrunde vorgenommen hat, „Richtung Champions-League-Plätze zu bewegen", wie es Hanning ausdrückte. Sechs Siege in sechs Dezember-Spielen hatten Erwartungen geweckt, genauso wie die starken WM-Leistungen der Nationalspieler.
Auch deswegen war die Pleite in Lemgo so schmerzhaft. „Am Ende muss man sagen, dass wir es in Angriff und Abwehr nicht auf die Platte bekommen haben und der TBV verdient gewonnen hat", sagte Drux. Zerbe forderte deshalb vor den anstehenden Ligaspielen gegen den VfL Gummersbach (17. Oktober) und bei Hannover-Burgdorf (21. Oktober): „Wir müssen jetzt schnell die Niederlage analysieren und uns dann deutlich steigern."
Das gilt nicht nur, aber auch für die WM-Spieler. Drux, Wiede und Heinevetter sind nach der erfolgreichen Weltmeisterschaft noch stärker als Führungsfiguren gefragt. Doch den Schalter sofort umzulegen, dass fällt dem Trio nach dem ganzen Trubel nicht so leicht. „Das ist nicht so einfach, vor allem für den Kopf", gibt Drux zu: „Wir müssen uns neu konzentrieren und wieder die anderen Spielzüge in den Vordergrund rücken, nachdem wir jetzt anderthalb Monate mit der Nationalmannschaft unterwegs waren." Diese Umstellung werde einige Zeit dauern.
Von seiner generellen Zielsetzung, mit dem Club möglichst noch die Champions-League-Qualifikation für die kommende Saison zu schaffen, will Drux aber noch nicht abrücken: „Wir wollen weiterhin oben angreifen." Auch der Pokalsieg und das Erreichen des Final Four beim EHF-Cup seien „große Ziele von uns". Die können die Berliner wohl nur erreichen, wenn der hochtalentierte Wiede an seine Topform anknüpft. Dass der spiel- und abschlussstarke Rückraumspieler ein Mann für die besonderen Momente ist, bewies er bei der Weltmeisterschaft auf höchstem Niveau. Immer wenn ein entscheidendes Tor oder ein Pass kommen musste – Wiede war zur Stelle. Nervenstark und enorm präsent. Füchse-Manager Hanning ist nicht erst seitdem ein großer Fan von Wiede: „Wenn es richtig eng wird, weiß er genau, was er zu tun hat. Er ist ein Präzisions-Handballer, geboren für die großen, wichtigen Spiele."
Von denen wollen auch die Füchse Berlin in dieser Saison noch einige bestreiten. Deshalb brauchen sie Wiede, aber auch Drux und Heinevetter in deutlich besserer Verfassung als gegen Lemgo. Das Spiel gegen St. Raphael Var war ein guter Schritt in die richtige Richtung.