Zwar ist die Überbevölkerung ein globales Problem. Aber Europa ist vor allem von der hohen afrikanischen Geburtenrate betroffen. Um diese zu senken, gibt es zwar verschiedene Vorschläge, doch keiner verspricht in absehbarer Zeit eine wirkliche Lösung.
Ein Patentrezept zum Abbremsen der Bevölkerungsexplosion gibt es nicht. Natürlich wäre es naheliegend, das Stichwort Geburtenkontrolle ins Spiel zu bringen. Aber wie soll diese konkret aussehen? Soll sie sich am Beispiel der 1979 eingeführten, weltweit umstrittenen und inzwischen zugunsten von zwei Kindern pro Familie leicht revidierten Ein-Kind-Politik der chinesischen Regierung orientieren? Oder eher doch an den Beispielen Thailand und Südkorea? Dort konnten ohne behördlichen Zwang durch große Aufklärungskampagnen und vielfältige Angebote zur Familienplanung beeindruckende Erfolge in der Senkung der Geburtenraten erzielt werden.
Aber kann man Vergleichbares tatsächlich auf dem uns hier besonders interessierenden afrikanischen Kontinent erzielen, wo 40 Prozent der Bevölkerung in den Subsahara-Staaten jünger als 15 Jahre alt sind? Wo Bildung, Sexualaufklärung oder Zugang zu Verhütungsmöglichkeiten vielerorts kaum realisiert werden können. Wo ein ausreichend großer wirtschaftlicher Aufschwung, der nachweislich mit dem damit verbundenen steigenden Wohlstand der Bevölkerung zu einem Rückgang der Kinderzahl führt, nicht abzusehen ist. Wo auf dem umkämpften Arbeitsmarkt viele Männer keinen Job finden können, geschweige denn Frauen. Denen daher eigentlich in den meisten afrikanischen Gesellschaften keine Alternative bleibt als die Rolle der Ehefrau und Mutter − und das zudem schon in jugendlichem Alter.
Während die durchschnittliche weltweite Geburtenrate bei 2,5 Kindern liegt − in Asien beträgt sie 2,1, in Europa 1,6 − kann Afrika einen Spitzenwert von 4,7 Kindern aufweisen. Vor allem in den ärmsten und am schlechtesten entwickelten Staaten Afrikas ist die Geburtenrate sogleich noch deutlich höher, in Niger beispielsweise liegt sie bei 7,6, in Somalia oder im Kongo deutlich über 6. Auch in Uganda oder Nigeria wird diese Zahl fast erreicht. „Das Hauptproblem ist", so Dr. Reiner Klingholz, der Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, „dass das Bevölkerungswachstum viel schneller ist als das Jobwachstum." Eine weitere direkte Folge der hohen afrikanischen Geburtenraten ist ein gewaltiger Jugendüberschuss, der inzwischen gemeinhin als „Youth Bulge" bezeichnet wird. Eigentlich kann eine junge Bevölkerungsstruktur einen ökonomischen Vorteil für das jeweilige Land darstellen. Aber nur dann, wenn die Jugend eine gute Ausbildung erhält und genügend Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, Stichwort „demografische Dividende". Gerade in Subsahara-Afrika gibt es aber viel zu wenige Jobs, die Jugendarbeitslosigkeit ist hier weltweit am höchsten. Selbst die wenigen Arbeitsmöglichkeiten sind schlecht bezahlt, da es sich meist um einfache Tätigkeiten handelt.
Die Politik hegt erhebliche Zweifel
Das hat ein erhebliches Frustrationspotenzial zur Folge, was wiederum schnell zu Unruhen oder Aufständen bis hin zu Bürgerkriegen führen kann. Regelrechter Krieg herrscht in Afrika im Kampf um einen Arbeitsplatz. Es wurde der Begriff „Kriegsindex" geprägt, der ausdrückt, wie viele junge, arbeitsfähige Leute es in einer Gesellschaft im Vergleich zu älteren, kurz vor der Rente stehenden Menschen gibt. In Deutschland liegt der „Kriegsindex" bei 0,66, sprich auf 1.000 Ältere kommen 660 Jugendliche. In Subsahara-Afrika bewegt sich der Wert zwischen 3 und 7, sprich auf 1.000 Ältere kommen bis zu 7.000 Jüngere, die Arbeit suchen. Es scheint schier aussichtslos, all diesen jungen Menschen in absehbarer Zeit in ihrer Heimat eine berufliche Perspektive bieten zu können, für sie ist das Auswandern eigentlich die einzige Alternative.
Die Schaffung von jährlich 20 Millionen neuen Arbeitsplätzen in Afrika, wie sie Entwicklungsminister Gerd Müller für nötig hält, erscheint rein illusorisch. Zumal selbst in afrikanischen Staaten mit Wirtschaftswachstum kaum etwas produziert wird, sondern es sich fast nur um Rohstoffexporte handelt. Die Produkte der lokalen afrikanischen Landwirtschaft haben keine Chance gegen die in Europa mit EU-Subventionen hergestellten europäischen Agrarerzeugnisse. Da kann es eigentlich nur Wunschdenken des CSU-Politikers sein, wenn er Afrika, wie in einem „Welt"-Interview vom Sommer 2018, dazu auffordert, angesichts des Bevölkerungswachstum seine Nahrungsmittelproduktion bis 2050 zu verdoppeln.
Müllers Hinweis darauf, dass 42 von 54 afrikanischen Ländern 2017 ein höheres Wirtschaftswachstum als Deutschland verzeichnen konnten, ist wenig hilfreich. Was Faure Gnassingbé, der Vorsitzende der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Cedeao), Minister Müller ins Stammbuch schrieb: „Bei einem Wirtschaftswachstum von fünf bis sieben Prozent und einem Bevölkerungswachstum von sechs bis sieben Prozent gibt es keine Entwicklung." Ins gleiche Horn hatte auch schon der französische Staatspräsident Emmanuel Macron auf dem G-20-Gipfel 2017 gestoßen, indem er das Hineinpumpen von Euro-Milliarden in afrikanische Staaten mit mehr als sieben Kindern pro Frau als absolut sinnloses Unterfangen bezeichnet hatte.
Es klingt viel Ratlosigkeit heraus aus den ewig gleichen Vorschlägen von Europas Verantwortlichen, wie sie das afrikanische Bevölkerungsproblem lösen möchten: Verbesserungen im Gesundheits- und Bildungsbereich, Entwicklung wirtschaftlicher und rechtsstaatlicher Strukturen, Bekämpfung der Korruption oder eben auch Schaffung von Arbeitsplätzen. Minister Müller hat sogar schon mal einen Marshall-Plan für Afrika ins Gespräch gebracht und fordert deutsche sowie europäische Unternehmen immer wieder zu riesigen, steuervergünstigten Investitionen auf dem Kontinent auf − alles kaum mehr als Worthülsen. Zumal gerade eine Verbesserung der Bildung in afrikanischen Staaten das Risiko einer Destabilisierung zumindest kurzfristig sogar noch erhöhen könnte, wenn etwa junge Leute trotz besserer Qualifikation keine Jobs finden können. Der Ausbau des Gesundheitswesens könnte hingegen immerhin eine Senkung der Kindersterblichkeit zur Folge haben, was Frauen dazu animieren könnte, die Zahl der häufig auch zur Familienabsicherung geborenen Kinder zu reduzieren.
Weil aber Europas Spitzenpolitiker insgeheim wohl erhebliche Zweifel am baldigen Erfolg aller möglichen innerafrikanischen Maßnahmen zur Eindämmung der Bevölkerungsexplosion hegen, hat man sich sicherheitshalber auf das Abwehrkonzept der „Festung Europa" geeinigt. Sprich: Grenzen dicht machen vor der erwarteten afrikanischen Migrationswelle. Und dazu die europäische Außengrenze gewissermaßen nach Afrika hinein verschieben, indem man vor allem südlich der Sahara Partnerländer sucht, die, durch finanzielle Zuwendungen motiviert, Migrationswillige aufhalten sollen.
Der Anthropologe und Journalist Stephen Smith, zugleich Professor für Afrika-Studien an der Duke University im US-Bundesstaat North Carolina, hat in seinem gerade erschienenen Buch „Ansturm auf Europa: Das junge Afrika auf dem Weg zum alten Kontinent" mögliche Szenarien aufgezeigt, wie Europa auf eine Migration aus Afrika reagieren könnte.
„Eurafrika" nennt er das erste Szenario, bei dem Europa alle ausreisewilligen Afrikaner aufnehmen würde. Seinen Berechnungen zufolge wäre es sogar nötig, jährlich bis zu 13 Millionen Afrikaner zu integrieren, um das aktuelle Verhältnis von Arbeitenden und Nichtarbeitenden auf dem alten Kontinent aufrechterhalten zu können. Für Europa laut Smith eine wohl kaum gesellschaftlich akzeptable Zukunftsvision: „2050 wären dann drei Viertel der Bevölkerung Afrikaner oder Kinder von Afrikanern." Das Szenario „Festung Europa" hält Smith dagegen für machbar und moralisch vertretbar.