Religionen und ihre Haltung zu Verhütung und Abtreibung gelten mitunter als Mitverursacher von Überbevölkerung, gerade in armen Ländern. Aber ist dem auch so? Der Versuch einer Einordnung.
Man muss ja nicht gleich den Teufel an die Wand malen, wenn es um Abtreibung geht. Im satirischen Horrorfilm „Pro-Life" läuft eine Schwangere vor das Auto zweier Ärzte – die zufällig in einer Abtreibungsklinik arbeiten. Dort wähnt sie sich in guten Händen, denn das Baby sei das Produkt einer Vergewaltigung durch einen Dämon. Letztlich richtet sie die spinnenbeinige Kreatur per Kopfschuss hin. Sicher kämen die meisten Menschen überein, dass der Mord an einem Neugeborenen – Dämon hin oder her – ein abscheuliches Verbrechen ist. Aber ist es das auch bereits vor der Geburt?
Als „grauenhaftes Verbrechen" jedenfalls sieht „Papa" Papst Franziskus den Schwangerschaftsabbruch. So bezeichnete er den Eingriff in einem Interview mit dem italienischen Sender TV 2000 im Herbst 2016. Das Wort des Papstes dürfte Gewicht haben bei einem großen Teil der fast 1,3 Milliarden Menschen, die weltweit der Glaubensgemeinschaft angehören. Die Ablehnung von Schwangerschaftsabbruch geht einher mit der Ächtung von Empfängnisverhütung. Dabei beruft sich die katholische Kirche auf das ermahnende Rundschreiben Humanae vitae, die Enzyklika „Über die rechte Ordnung der Weitergabe menschlichen Lebens".
Auch wenn eine von der Institution beauftragte Studienkommission in den 60er-Jahren zur Auffassung kam, dass empfängnisverhütende Mittel an sich nicht verwerflich seien, legte eine Gruppe von fünf Kardinälen ein Gutachten mit genau gegensätzlichem Standpunkt vor. Was nun genau Papst Franziskus über Verhütung denkt, ist unklar. Es kursieren Gerüchte, dass er die „Pillen-Enzyklika" auf den Prüfstand stellen wolle. Die argentinische Geistliche Martha Pelloni berichtet, Franziskus habe seine eigene Meinung, die er ihr in drei Worten mitgeteilt habe: „Kondome, vorübergehend, reversibel". Der Vatikan äußerte sich dazu jedoch nicht. 2015 sagte der Papst: „Manche Menschen glauben – entschuldigen Sie den Ausdruck –, dass sich gute Katholiken wie Karnickel vermehren müssen." Wie „Spiegel Online" berichtet, wollte er sich so vor allem für eine „verantwortungsbewusste Elternschaft" aussprechen.
Wie die Religionen mit den meisten Anhängern in Sachen Verhütung denken, fasst die Entwicklungsorganisation Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) auf ihrer Webseite dsw.org übersichtlich zusammen. Demnach ist das katholische Christentum die einzige große Glaubensgemeinschaft, bei der Verhütung grundsätzlich verboten ist. Eine Ausnahme gelte nur, wenn etwa die Antibabypille aus therapeutischen Gründen gegen Akne, Eierstock- und Gebärmutterkrebs oder jegliche Krankheiten, die hormonell zu behandeln sind, eingesetzt werden müsse. Auch sei die Verwendung von Kondomen nur in Ausnahmefällen erlaubt.
Sterilisation ist keinesfalls erlaubt
Nach Auffassung der Protestanten liege die Verantwortung bei jedem einzelnen. In der „Denkschrift zu Fragen der Sexualethik" der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) von 1981 gelte: „Nach christlichem Verständnis sind Zeugungsfähigkeit und Fruchtbarkeit von Mann und Frau eine Gabe Gottes, die es bewusst verantwortlich zu verwalten gilt."
Zum Islam heißt es beim DSW: „Im Islam sind alle reversiblen Verhütungsmethoden erlaubt, solange ein beiderseitiges Einverständnis der Eheleute existiert. Permanente Verhütungsmethoden, wie zum Beispiel die weibliche oder männliche Sterilisation, sind nicht erlaubt." Auch wenn das Judentum Kondome und Sterilisation nicht gutheißt, sei Verhütung grundsätzlich nicht verboten. An erster Stelle stünden immerhin Gesundheit und Wohlergehen der Menschen. Auch Buddhismus und Hinduismus erlauben Vorkehrungen beim Geschlechtsverkehr.
Besteht nun ein Zusammenhang zwischen dem zumindest bei der katholischen Kirche restriktiven Umgang mit Verhütung und Schwangerschaftsabbruch und der Überbevölkerung?
Rund sieben Milliarden Menschen lebten 2011 auf der Erde. Glaubt man dem „Live-Ticker" auf der DSW-Seite, rasen wir rasant auf die Acht-Milliarden-Marke zu. Laut einer Prognose der Vereinten Nationen werden es 2050 9,5 Milliarden sein, an der Schwelle zum 22. Jahrtausend dann mehr als elf Milliarden. Die mit Abstand meisten Menschen wohnen in Asien, dahinter folgt Afrika. Laut besagter Prognose würde Afrika im Jahr 2100 jedoch fast mit Asien gleichgezogen sein, was die absolute Bevölkerungszahl angeht.
DSW-Geschäftsführerin Renate Bähr sagt dazu: „Eine Hauptursache des Bevölkerungswachstums in Afrika südlich der Sahara ist die hohe Zahl ungewollter Geburten. Denn dort kann jede zweite Frau nicht verhüten, obwohl sie das möchte. Das hat zur Folge, dass Frauen dort im Durchschnitt ein Kind mehr bekommen, als sie sich wünschen." Zudem werde häufig übersehen, dass wegen fehlender Gleichberechtigung viele Frauen bei der Familienplanung kein Mitspracherecht hätten. Sie schlussfolgert: „Wenn Frauen frei entscheiden könnten, ob beziehungsweise wann und wie viele Kinder sie bekommen, würde die Bevölkerungszahl in der Region zum Ende dieses Jahrhunderts um 30 Prozent niedriger liegen, als derzeit prognostiziert wird."
Unterhalb der größten Trockenwüste des Blauen Planeten befinden sich Länder wie Sudan, Mauretanien, Tschad, Niger, Mali. Die sind nicht nur, wie etwa die drei Letztgenannten, teilweise bettelarm, sondern zum großen Teil muslimisch geprägt. Anders verhält es sich in Südamerika. Dort bekennt sich der Großteil der Menschen zur katholischen Kirche. Doch die DSW-Prognose sagt nur eine Steigerung der Bevölkerung von derzeit rund 646 Millionen auf 712 Millionen im Jahr 2100 voraus.
Religion, vor allem in einer fundamentalen Auslegung, mag also sicherlich ihren Teil zu einer möglichen Überbevölkerung der Erde beitragen –
alleiniger Grund ist sie jedoch nicht. Vielmehr, da sind sich die meisten Experten einig, gelte es, Bildung und sexuelle Aufklärung voranzutreiben. Zudem sollten die Gesundheitssysteme vor Ort ausgebaut werden.
Denn eine geringere Kindersterblichkeit könne dazu beitragen, dass Paare eher für weniger Nachwuchs bereit seien, wenn sich die Überlebenschancen erhöhen würden. Viele Arme würden demnach Kinder zeugen, die ihnen als Lebensversicherung im Alter oder bei Krankheit dienten.