Um die Verfassung zu schützen, braucht das Amt für Verfassungsschutz Informationen. Dazu setzt es verdeckte Ermittler ein. Diese V-Männer aber sind ein ganz spezielles Problem, wie ein ehemaliger Mitarbeiter des Amts erzählt.
Am Karfreitag vor 51 Jahren gleicht die Kochstraße vor dem Axel-Springer-Hochhaus im Berliner Bezirk Kreuzberg einer Trümmerwüste. In der Nacht vom 11. auf den 12. April 1968 eskaliert eine Demonstration nach dem Mordanschlag auf Studentenführer Rudi Dutschke. Was die Polizei damals stutzig macht: Neben Steinen und Flaschen werfen die Demonstranten selbst gebastelte Brandbomben, die alle offensichtlich in der gleichen Bauweise hergestellt wurden. Später kam ans Licht, wer hinter der brennenden Straße steckt: Der damalige V-Mann des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz, Peter Urbach, hatte die Demonstranten mit Molotowcocktails aus Eigenproduktion versorgt. Sie lagen gut geschützt in einem Weidenkorb im Kofferraum seines ein Stück abseits geparkten Autos. Doch damit nicht genug. Der damals 27-Jährige zeigte den Studenten auch, wie man Fahrzeuge so umkippt, dass das Benzin aus dem Tank läuft; dann brennt es in den Straßen besser. Das war die offizielle Deutschland-Premiere für einen „Agent Provocateur" im Auftrag des Verfassungsschutzes.
Urbach, der V-Mann, verschwindet aus Deutschland – und kann sich, wie erst vor wenigen Jahren bekannt wird, mit erheblicher finanzieller Hilfe des Berliner Verfassungsschutzes in Kalifornien eine neue Existenz aufbauen. Diese damalige Fürsorge des Amtes für den kriminell gewordenen ehemaligen Vertrauensmann gilt als öffentlich gewordenes Paradebeispiel für eine Praxis, die es ähnlich teils bis heute gibt – dann gern unter dem Begriff „Zeugenschutz". Straftaten werden nicht geahndet, die freien Mitarbeiter bekommen eine neue Identität und tauchen mit einer satten staatlichen Monats-Apanage ab.
Wenn V-Männer kriminell werden
Der Inlandsgeheimdienst sorgt nicht nur für seinen „abgeschalteten" Informanten gut. Auch die aktiven Beschaffer von Nachrichten werden ordentlich entlohnt. Pro Information gibt es zwischen 200 und 500 Euro, je nach Güte der nachrichtendienstlichen Erkenntnis, das zeigte auch der vor einem Jahr zu Ende gegangene NSU-Prozess am Landgericht München. Teils werden auch Autos oder Wohnungen gestellt oder bestehende Schulden übernommen. Dabei ist das V-Mann-Vergütungssystem sozial eher ungerecht, erklärt Jochen B.*, ehemaliger Verfassungsschützer, im FORUM-Gespräch. Kommt die angeworbene V-Person eher aus sozial prekären Verhältnissen, wird die Entlohnung angepasst – es gibt weniger Bares auf die Kralle. So ist die Gefahr geringer, dass jemand plötzlich mit ungewohnt viel Geld um sich wirft und dadurch auffliegt. Umgekehrt muss der Dienst schon mehr auf den Tisch packen, soll ein angesprochener Geschäftsmann den Verfassungsschützern Informationen liefern.
Letzteres, so Jochen B., ist im Dienstalltag aber eher die Ausnahme. Denn die staatlichen Informationsbeschaffer leben eigentlich immer von den Gestrauchelten, die bei ihrem Kampf gegen den „Unrechtsstaat" oder „das Kapital" in die Kriminalität abrutschen, erwischt werden und so Angriffsflächen bieten. Das fängt mit dem Zeigen von verfassungsfeindlichen Symbolen an, geht über Gewaltdelikte bei Demonstrationen oder die Bildung einer kriminellen Vereinigung und gipfelt in illegalem Waffenbesitz oder der Vorbereitung von Sprengstoffanschlägen. Personen, die dem Verfassungsschutz so ins Netz gehen, erfüllen immer mindestens einen der genannten Verdachtsmomente. Verdingt sich die beschuldigte Person aber als Vertrauens- oder Informationspartner, können die strafrechtlichen Ermittlungen unterdrückt werden – einer der Klassiker der V-Mann-Akquise. „Wir hatten es bei uns im Amt aber auch immer mit einer Reihe von eher unterbelichteten Zuträgern zu tun, die sich einfach nur wichtigmachen wollten, da musste man sehr aufpassen", berichtet Jochen B. aus mehr als 30 Jahren Erfahrung im Verfassungsschutz. „Zum einen hatten diese Informanten mit uns endlich mal einen Ansprechpartner, der ihnen zugehört hat, dass kannten die gar nicht. Dann war aber da auch noch die Kohle, die gelockt hat: Schnell mal auf dem Grat (ehemaliger Dienstsitz in Berlin, Anm. d. Red.) eine Geschichte abliefern und wieder flüssig sein."
Gerade Letzteres dürfte, was die Güte der angebotenen Informationen betrifft, noch heute das größte Problem sein. Klingt etwas richtig gut, gibt es gutes Geld und weitere Informationen werden angefordert. „Welches absurde Ausmaß das annehmen kann, hat ja dann das NPD-Verbotsverfahren Anfang des Jahrtausends gezeigt. Da haben die Landesämter inklusive des Bundesamtes eine ganze Partei finanziert", so Jochen B.
Der Ex-Verfassungsschützer spricht damit einen internen „Parteibefehl" des damaligen NPD-Generalssekretärs Peter Marx an, nachdem der Antrag auf das Parteiverbot der NPD beim Bundesverfassungsgericht 2001 eingegangen war. Marx hatte seine Polit-Kameraden damals aufgefordert, sich reihenweise bei den Verfassungsschutzämtern als Spitzel zu melden. Zum einen brauchte die Partei Geld. Doch es steckte noch weit mehr dahinter, eine Idee des damaligen NPD-Chefstrategen Horst Mahler: Wenn die NPD von V-Männern des Verfassungsschutzes durchzogen ist, kann niemand mehr wirklich sagen, wofür die NPD oder wofür der Verfassungsschutz verantwortlich zeichnet. Der Trick hatte Erfolg: Das Verbotsverfahren scheiterte, und die NPD ist bis heute nicht verboten. Mit seinen V-Männern hat sich der Verfassungsschutz und damit der Staat selbst ein Bein gestellt.
Heute scheint die AfD in den Blick zu geraten. Ein ganz anderer Fall, oder doch nicht? Im Gegensatz zur NPD ist die AfD durch zweistellige Wahlergebnisse legitimiert. Verfassungskritische Aussagen ihrer Mitglieder kommen höchstens sporadisch und stammen meist von „Flügeln". Ist die AfD ein Fall für den Verfassungsschutz?
Noch ist die AfD nur ein Prüffall
Ein ähnliches Fiasko ist jetzt auch bei der AfD denkbar, so Jochen B. Auch wenn niemand ernsthaft an ein Verbot denken kann, wird sie jetzt „geprüft". Aber von wem? „Das Problem ist und bleibt immer das alte: 16 Landesämter und ein Bundesamt wursteln völlig unabhängig voneinander vor sich hin, jeder behält seine Erkenntnisse für sich, jedes Amt will dem anderen zeigen, wie gut man selber ist", so Jochen B.
Noch ist die AfD „nur" ein Prüffall, so der Präsident des Bundeamtes für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang. Das heißt, der Verfassungsschutz darf derzeit nur öffentlich zugängliche Materialien oder Auftritte der AfD-Protagonisten auswerten, so sind die Regeln. Die AfD ihrerseits wehrt sich: Sie klagt dagegen, dass die Einstufung als Prüffall überhaupt öffentlich gemacht wurde. Die Regeln besagen auch: Erst wenn aus dem Prüf- ein Verdachtsfall wird, darf observiert werden. Bestätigt sich der Verdacht, dürfen V-Leute eingesetzt werden. Was allerdings im Falle eines Verbotsverfahrens dieses gefährden würde.
Aber sind denn bei der AfD nicht längst V-Leute im Einsatz? Ratloser Blick von Ex-Verfassungsschützer Jochen B., und er sagt: „Alles andere würde mich sehr wundern, denn die Grenzen zwischen AfD, Kameradschaften, Ex-NPDlern oder Identitärer Bewegung sind fließend. Nehmen Sie einen Identitären, den der Dienst als Zuträger gewonnen hat, der macht nun plötzlich bei der AfD mit, dann haben sie den Salat."
Zum Verdachtsfall hat der Verfassungsschutz dem „Tagesspiegel" zufolge die rechtsnationale Vereinigung „Der Flügel" erklärt, deren Wortführer der Thüringer AfD-Sprecher Björn Höcke ist, sowie die AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative. Die sogenannte Identitäre Bewegung stuft die Behörde bereits seit 2016 als Verdachtsfall ein und beobachtet sie entsprechend.