Die Perlen in Tahiti schillern in allen Farben des Regenbogens. Sie wachsen in den Lagunen von Französisch-Polynesien. Millionen von Austern erschaffen hier die Juwelen des Ozeans. Auf Perlenfarmen erlebt man, mit welch irrem Aufwand die Schönheiten gezüchtet werden – und kann mit etwas Glück sogar nach ihnen tauchen.
Schönheit ist ein verdammt scheues Reh. Wer also von einem Rendezvous mit den Meerschönheiten Französisch-Polynesiens träumt, muss weit schwimmen, lange die Luft anhalten, und tief abtauchen. Es reicht nämlich nicht, erst um die halbe Welt nach Tahiti zu fliegen. Und dann weiter, mit einer Propellermaschine auf eines der im Pazifik verstreuten Atolle, wo Besucher mit Blumenkränzen empfangen werden, die irgendwie nach Paradies duften. Denn auch wenn ihr Glanz den aller Konkurrenten überstrahlt, ihr perfekter Teint weltberühmt und ihre Form unerreicht ist: Die Juwelen der Südsee führen ihr Leben im Verborgenen.
Natürlich spült einem die Brandung die Schönheiten nicht einfach in die Finger. Sie sind sensibel. Wo weißer Korallensand die Füße pudert und Kokospalmen rauschen, ist es ihnen zu hell. Jenseits des Riffs, wo das makellose Lapislazuli-Blau von Moana beginnt, wie sie hier den weiten Ozean nennen, ist es ihnen zu stürmisch. Sie leben, wo sich die Farbe des Wassers von zartem Türkis in glasklares Smaragdgrün verwandelt, und dann über Indigo-Töne abdunkelt zu einem satten Kobalt. In der Mitte der Lagune wachsen sie in aller Stille heran, Millionen von ihnen, ausgebrütet von großen Austern mit schwarzen Lippen, umsorgt von Heerscharen menschlicher Helfer: die legendären Tahiti-Perlen.
Zwar fischt man Perlen heute auch anderswo aus dem Meer – in Australien und auf den Philippinen, rund um Fidschi und auf den Cookinseln. Doch das beste Revier liegt rund um Tahiti: vier Millionen Quadratkilometer Südsee, eine Fläche so groß wie Westeuropa. Auf dem Globus sieht es so aus, als trieben ein paar verstreute Kokosnüsse in endlosem Blau. Wo sich die 118 vulkanischen Inseln und Korallenstein-Atolle aus dem Wasser erheben, glänzen Perlen nicht nur poliert beim Juwelier. In Französisch-Polynesien können Besucher erleben, wie sie das Licht der Welt erblicken – und sich sogar ihre eigene Glücksperle angeln.
„Perlen sind schon bei der Geburt perfekt"
Es sind Prachtexemplare wie jene, die Robert Wan in seiner Boutique in Papeete gern ausbreitet, alles Mosaikteilchen eines Regenbogens. Hier die Tahitian Gold mit ihrem ockerfarbenen Schimmer, dort einige wie Pfauenfedern blitzende Peacocks, eine seltene himmelblaue Sky, rote Cherrys, dunkel leuchtende violette Perlen und blitzende silberne. Der alte Mann greift mit beiden Händen in die Pracht und freut sich über seinen Schatz wie ein kleiner Junge über einen Murmelhaufen. „Perlen", sinniert Robert Wan, „sind schon bei der Geburt perfekt. Man muss ihretwegen kein Gestein sprengen, keinen Schotter sieben und keinen Stollen in den Berg treiben. Man muss sie nicht schleifen, um sie in etwas Schönes zu verwandeln. Man muss nur warten." Mal dauert es zwei Jahre, mal vier, mal acht. Dann ist klar, ob es sich gelohnt hat.
Robert Wan, inzwischen über 80 Jahre alt, hat das Warten perfektioniert. Und nebenbei noch ein paar Zuchttechniken, deren Details er aber lieber für sich behält. Seine Tahiti-Perlen sind kleine Kunstwerke: keine blassen Kügelchen, sondern prachtvolle reife Früchte. In Abgrenzung zu weißen Süßwasserperlen kennen Laien die Salzwasserschätze als schwarze Perlen – ein Missverständnis, denn sie leuchten in allen Farben. Es gibt sie kugel-, tropfen- und zapfenförmig. Und Wan, ein Polynesier mit chinesischen Wurzeln, hat hart dafür gearbeitet, um zum Perlenkönig der Südsee aufzusteigen.
Er produziert jedes Jahr eine Million Perlen, ein kleiner Hügel mit einem Gewicht von drei Tonnen. Einen Konkurrenten, der ihm das Wasser reichen könnte, gibt es nicht, nur viele Hundert kleine Produzenten. Die Masse der Meeresdiamanten aus Französisch-Polynesien geht bei Versteigerungen an Großhändler. Doch auch in der Markthalle von Papeete, wo geeiste Kokosnüsse und Duftöle mit Essenzen aus Tiare-Blüten, Vanilleschoten und Ylang-Ylang angeboten werden, kann man Perlen kaufen. Einfache gibt es schon für 20 Euro pro Stück. In Robert Wans klimatisierten Boutiquen kosten Colliers mit großen, runden, perfekten und in allen Farben leuchtenden Perlen dagegen schnell eine fünfstellige Summe.
Der Schatz des Perlenkönigs ist das Atoll Marutea Sud, eine Lagune von 20 mal 15 Kilometern. Hier liegen einige seiner Zuchtfarmen. Aus der Wärme der oberen Wasserschichten sinkt man ins Dunkel, fröstelnd, weil es schlagartig kühler wird. Als keine Strahlen mehr durchs Wasser tanzen und das letzte Sonnenlicht in milchiger Farblosigkeit verblasst, erkennt man sie: Austern, aufgehängt an Plastikgittern. Manche klein wie Untertassen, andere groß wie Pizzateller. Sie alle sollen ihrem Chef eines Tages eine Perle schenken. Dafür hegt und pflegt er sie mit irrem Aufwand – und wehe, es reißt sich eine los von ihrem vorgesehenen Platz und fällt in die Tiefe. Dann muss Teku Mahagateira, der Mann mit den vielen Tattoos, ganz nach unten tauchen, 45 Meter bis zum Grund der Lagune, um die Geflüchteten einzusammeln und wieder zurückzubringen.
Der Ozean hier ist besonders nährstoffreich
Perlenfarmen gibt es zwar auch auf einigen leichter erreichbaren Inseln im Tuamoto-Archipel, auf Tahaa und Raiatea, auf Huahine und Rangiroa. Hier hat man sich auf Besucher eingestellt und zeigt bei Führungen, wie Austern gezüchtet und Perlen geerntet werden. Von Tahiti nach Marutea Sud sind es dagegen 1.500 Kilometer: Das Atoll ist so abgelegen, dass nur einmal im Monat das Versorgungsschiff vorbeikommt und hin und wieder ein Charterflieger mit Besuchern, die auf dem Rückweg neben großen Koffern voller Perlen sitzen. Rund um Marutea Sud ist der Ozean nämlich besonders nährstoffreich und deswegen der beste Lebensraum für „Pinctada margaritifera".
Die magische Auster mit den schwarzen Lippen hungert nach Plankton und filtert ständig das Meerwasser. Nur äußerst selten, bei vielleicht einer von 15.000 Muscheln, entsteht dabei auf natürliche Weise eine Perle. Wie genau, hat noch niemand enträtselt. Sicher ist: Es gehört mehr dazu als ein Sandkorn. Eine verletzte Austernlippe zum Beispiel. Jedenfalls wird ein winziger Fremdkörper so lange mit hauchdünnen Perlmuttschichten eingehüllt, bis eine Perle entsteht. „Klingt einfach?", fragt Robert Wan. „Es ist überhaupt nicht einfach."
Der Alte begleitet Gäste nicht mehr aufs Wasser. Das überlässt er Bruno, seinem Sohn. Der Kronprinz prescht im Motorboot über die Lagune. Eine Kontrollfahrt. Allein auf Marutea Sud kümmern sich Hunderte Arbeiter um Millionen Austern, auf Wans kleineren Perlenfarmen auf den Gambier-Inseln schuften weitere.
Alle Jobs hängen von der Gesundheit der Austern ab, die umsorgt werden wie keine zweite Muschelart der Welt. „Zunächst legen wir sie in schwimmende Kästchen. Wenn sie größer werden, brauchen sie mehr Nahrung und Platz", erklärt Bruno. „Das Wichtigste ist die Reinigung: Alle drei Monate kommt das Putzkommando." Auf Booten montierte Meerwasserspülmaschinen bürsten erst die Algen ab. Den Muscheln und Schnecken, die sich an der Schale festklammern, rücken die Arbeiter anschließend von Hand mit dem Spachtel zu Leibe. Erst nach drei Jahren Pflege im Kindergarten kann eine Auster ihre erste Perle bilden.
Ein Job für den „greffeur", den Veredler. Wenn er die Auster mit einem Bolzen geöffnet hat, schneidet er mit dem Skalpell einen Schlitz in den Perlensack, in dem das Perlmutt produziert wird, und legt ein erbsengroßes Kügelchen hinein und dazu noch ein Stückchen Austernfleisch. Warum diese Beigabe notwendig ist, weiß niemand, aber ohne sie entsteht keine Perle. Nach der Operation kommt die Auster zurück ins Wasser, im ersten Monat noch in einem Säckchen, damit man den Nukleus, falls sie ihn ausspuckt, wiederfinden und erneut einsetzen kann. Zwei Jahre bleibt sie auf Tauchstation. Ob sie dabei eine Perle bildet, erfährt man erst hinterher. Und dann geht der Prozess wieder von vorne los.
Der Auster wird ein Nukleus eingesetzt, aus dem die Perle entsteht
Von 1.000 Austern, denen ein Nukleus eingesetzt wurde, spenden 500 zwei Jahre später eine Perle. Nur die Hälfte ist für den Verkauf geeignet. Nur 100 werden an Juweliere weitergegeben. Dafür müssen sie eine außergewöhnliche Farbe haben, einen brillanten Glanz, und das Licht nicht nur an der Oberfläche, sondern aus der Tiefe der Perlmuttschichten reflektieren. Perfekt rund sind nur fünf Prozent – weshalb Colliers mit symmetrischen Meeresdiamanten ihren Preis haben. Perlen mit einem Durchmesser von mehr als 16 Millimetern sind ebenso rar und kostbar. Die größte perfekte Tahitiperle, die jemals gefunden wurde, hat einen Durchmesser von 22,5 Millimetern und wiegt exakt 16,1 Gramm. Sie ist im Perlenmuseum von Papeete ausgestellt und heißt so wie ihr Vater: Robert Wan.
Die Ausstellung erzählt, wie Perlen in Polynesien mythisch verehrt wurden. Sie sollen mit ihrem Glanz einst den Götterhimmel erleuchtet und seine Bewohner zum Erschaffen der Sterne inspiriert haben. Als Liebesgeschenk brachte sie der Fruchtbarkeitsgott Oro, auf einem Regenbogen reitend, dann zu den Menschen. Für die Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts hat ein gewisser Joachim Dariel nun eine neue Methode entwickelt, damit Menschen an ihre Glücksperlen kommen.
Joachim stammt aus Frankreich und lebt mit seiner einheimischen Frau Havaiki auf Fakarava, dem zweitgrößten Atoll Französisch-Polynesiens, eine Flugstunde entfernt von Tahiti. Am Korallenstrand stehen ein paar einfache Pensionen, nicht Überwasser-Bungalows wie in Bora Bora. Wer hierherkommt, sucht nämlich keinen Luxus, sondern lieber in den Passagen der Lagune die Hammerhaie und Adlerrochen. Beziehungsweise will inzwischen auch nach Perlen tauchen.
Mit 8.000 Austern im Wasser ist die Zucht für Joachim nur ein Nebenerwerb. Für die Gäste seiner Lodge hat er indes eine Perlenlotterie entwickelt. „Für 30 Euro kannst Du Dir eine Auster aussuchen und öffnen. Die Perle gehört dann Dir, egal, wie wertvoll sie ist." Ein Gewinn ist garantiert: Sollte die Auster ihren Schatz ausgespuckt haben, darf man es erneut versuchen. So schwimmt man hinaus, holt tief Luft, taucht ab, sucht aus – und angelt sich eine von Neptuns Murmeln.