Aus der Randlage dicht an der polnischen Grenze haben die Uckermärkischen Bühnen in Schwedt ein Alleinstellungsmerkmal gemacht. Mit polnischen Schauspielern im Ensemble, zweisprachigen Produktionen und Kooperationen mit der Oper Stettin.
Aufgeregtes Stimmengewirr füllt das weitläufige Foyer der Uckermärkischen Bühnen Schwedt (UBS). Fast 800 Kinder aus dem Schwedter Umland und aus dem benachbarten Polen wuseln aufgeregt durch die große Halle – sie fiebern der Aufführung des Märchens „Die verzauberten Brüder" entgegen. Endlich geht es in den dunklen Theatersaal, die Spannung steigt. Das Licht erlischt, der Vorhang öffnet sich, dann wird es mucksmäuschenstill. Am vorderen Bühnenrand glitzern geheimnisvoll zwei Birkenbäumchen – sie zittern und weinen. Es sind die verzauberten Brüder Fjodor und Igor, verwandelt von der bösen Hexe Baba Jaga. Als die mit ihrem Haus auf Hühnerbeinen auf die Bühne rumpelt, entlädt sich die Entrüstung der Kinder. Sie buhen und kreischen. Mittendrin Meister Petz, der Bär, der das Geschehen auf Deutsch und Polnisch kommentiert und schnell zum heimlichen Star der Aufführung wird. „Die verzauberten Brüder" von Jewgenij Schwarz zogen im vergangenen Jahr in 20 zweisprachigen Vorstellungen annähernd 17.000 Kinder an, davon mehr als ein Drittel aus dem polnischen Umland. Das Weihnachtsmärchen ist seit 15 Jahren der Trumpf in der deutsch-polnischen Zusammenarbeit an den UBS.
„Wir sind ein Theater für die ganze Region, und die gehört nun mal zusammen, historisch gesehen", so die feste Überzeugung von Intendant Reinhard Simon. Stettin, die polnische Großstadt am Oderhaff, liegt nur 50 Kilometer entfernt. „Warum sollte die Randlage nicht eine Chance sein, in Grenznähe etwas aufzubauen, was es nur hier gibt?" Das hatte sich Simon schon in den 90er-Jahren auf die Fahnen geschrieben. Der gebürtige Rostocker und gelernte Schauspieler übernahm damals in Schwedt die Leitung eines Kulturhauses, besser, einen Kulturpalast. Der imposante Bau mit viel Glas und sandsteinverkleideten Fassaden war in den 70er Jahren errichtet worden – für die Mitarbeiter des neu entstehenden Petrolchemischen Kombinates. Hier sollte sich die Belegschaft der Raffinerie erholen können, in Mal-, Tanz- und Fotozirkeln und bei großen Shows, mitfinanziert vom Ministerium für Kultur der DDR. Das Prestigeobjekt der SED spielte in der gleichen Liga wie der zeitgleich entstandene Palast der Republik in Berlin. Ja, ein Theater gab es auch, ganz klein, das „Intime Theater" in einem Nebengebäude. Nach der politischen Wende blieben von den 19 festangestellten Schauspielern noch drei. So sah 1990 die Ausgangssituation für Reinhard Simon aus. Der nahm die Herausforderung an – nach dem Motto „Wir tasten uns langsam heran". So entstand über viele Jahre das in Deutschland bis heute einmalige „Schwedter Modell", das im Wesentlichen auf drei Säulen steht: dem von den Schwedtern geliebten Kulturhaus, einem mittlerweile international agierenden Theaterensemble und einem Messe- und Veranstaltungsbetrieb.
Der Anfang war mühsam
Hört sich nach einem Gemischtwarenladen an. „Ist es auch, aber damit kann ich leben!", sagt Theaterintendant Simon selbstbewusst. Der Anfang 1990 war mühsam. Simon kaufte zunächst für die große Bühne Musiktheater-Produktionen ein, die gab’s quasi nebenan in der Oper im Schloss Stettin. Das war auch der Beginn einer deutschpolnischen Kooperation mit dem Haus am Oderhaff. Doch letztlich wollte Simon kein Bespieltheater sein, sondern Neues schaffen. Mit dem Musical „Linie 1", das mit Unterstützung des Berliner Gripstheaters für das Schwedter Ensemble neu eingerichtet wurde, traf er den Geschmack des Publikums. Also stellte sich Theaterchef Simon vor das begeistert applaudierende Publikum und verkündete die Geburt der UBS, der Uckermärkischen Bühnen Schwedt. Die Weichen waren gestellt. Auf lange Sicht sollte sich das Schauspielensemble vom Anhängseldasein im „Intimen Theater" lösen und selbst die große Bühne erobern. Es folgte eine Zeit des Probierens. Erste Versuche mit Klassikern wie „My fair Lady", mit überforderten Schauspielern auf der Bühne und Musikern der Oper Stettin im Orchestergraben, wurden von der Kritik verrissen. Doch Simon ließ sich nicht entmutigen. Gemeinsam mit seinem Team entwickelte er Eigenproduktionen, Revuen mit Schlagern und Geschichten der 70er- und 80er-Jahre. Das konnten Schauspieler leisten, das wollte das Publikum sehen.
Beinahe stur verfolgte der Theaterchef dabei kontinuierlich das Ziel einer deutsch-polnischen Zusammenarbeit. Mit angehenden polnischen Schauspielern der Warschauer Theaterakademie wurde eine bejubelte „Romeo und Julia"-Inszenierung in deutscher Sprache auf die Bühne gebracht. Doch tragfähiger erschien es den Uckermärkischen Bühnen, polnische Darsteller fest ans Haus zu binden. Wieder gingen die Schwedter den ersten Schritt und machten der Musicalschule im polnischen Gdynia und der Musikakademie Gdansk ein Angebot. Mit Erfolg.
2013 entstand eine Musicalfassung von „Romeo und Julia" mit deutschen und polnischen Darstellern, teils noch Studenten. Das Publikum feierte sie. Wie es schien, hatten die Uckermärkischen Bühnen Schwedt ihren Weg gefunden. Ein Einspartentheater, das zweisprachig schauspielert, singt und tanzt. Drei polnische Schauspieler, die genau das können, sind längst fest engagiert.
Natürlich haben solche „Theatersonderwege‘" ihren Preis. Das ehrgeizige Grenzlandtheater am Rande des Nationalparks Unteres Odertal geriet 2014 in eine finanzielle Schieflage. 1,4 Millionen Euro Defizit zwangen zu schmerzhaften Einschnitten im Spielbetrieb. Auch Mitarbeiter mussten gehen. Auf der Suche nach Geldern stieß die Schwedter Mannschaft auf ein von der EU aufgelegtes Interregio-Programm, mit dessen Hilfe sich deutsche und polnische Theater besser vernetzen können. Die Schwedter bewarben sich und bekamen den Zuschlag. Inzwischen bilden die Uckermärkischen Bühnen Schwedt gemeinsam mit der Opera na Zamku Stettin und dem Theater Vorpommern, zu dem die Häuser Stralsund, Greifswald und Putbus gehören, das Theaternetzwerk Via Teatri. Ziel ist es, Inszenierungen mit grenzüberschreitendem Inhalt zu erarbeiten. Was ein bisschen sperrig klingt, haben die am Netzwerk beteiligten Häuser sehr schnell variantenreich umgesetzt.
Zweisprachiges Theaternetzwerk
So präsentierte die Oper im Schloss Stettin im vergangenen Frühjahr seinem deutschen und polnischen Publikum das Ballett „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo". Schwedt steuerte sein zweisprachiges Open-Air-Familienmusical „Die Schatzinsel" bei. Das Theater Vorpommern schließlich lud im Oktober vorigen Jahres zur ersten Ausgabe der Deutsch-Polnischen Theatertage nach Stralsund ein. Alle drei Partnertheater konnten dort einem zweisprachigen Publikum ihre Inszenierungen zeigen. Und für die künftige grenzüberschreitende Zusammenarbeit haben sich die beteiligten Theater dank EU-Förderung technisch auf den neuesten Stand gebracht. Technische Daten für die Licht- und Sound-Signale der jeweiligen Inszenierungen können einfach auf einem USB-Stick gespeichert und am Server der anderen Bühne eingespeist werden. Was vieles enorm erleichtert – bestimmt auch das eine oder andere Gastspiel im Rahmen der zweiten Deutsch-Polnischen Theatertage, die die Uckermärkischen Bühnen in diesem Jahr ausrichten werden.
Das Schwedter Haus ist seit dem vergangenen Jahr ein Landestheater, was finanzielle Unterstützung durch Brandenburg, aber auch Pflichten mit sich bringt. Denn eine der Aufgaben des neuen Landestheaters ist es, in kleineren Städten ohne eigene Bühne regelmäßig zu gastieren.
Dafür werden 50 Prozent der für den Gesamtbetrieb nötigen Mittel vom Land übernommen, das hat Brandenburgs Kulturministerin Münch zugesichert. „Einen besseren Abgang kann ich mir nach 28 Jahren Intendanz nicht vorstellen," sagt Simon. Im August gibt er den Staffelstab an den jetzigen Schauspieldirektor Andre Nicke weiter. Der setzt, wie der amtierende Theaterchef, auf deutsch-polnische Zusammenarbeit. Und die könnte nach seinen Vorstellungen durchaus intensiviert werden. Mit einer eigenen deutsch-polnischen Musical-Akademie beispielsweise oder der Ausbildung von deutschen und polnischen Puppenspielern. „Andere Theater in Brandenburg haben aufgeben müssen", so Simon. „Wir aber sind eine kulturpolitische Burg in der Uckermark. An uns kommt auch in Zukunft keiner vorbei."