Seit Jahren versuchen Psychologen und Soziologen die wichtigsten Risikofaktoren für Scheidungen zu ergründen. Dass dabei auch spezielle Charaktereigenschaften eine wesentliche Rolle spielen können, legt eine aktuelle Studie nahe, wonach vor allem gesellige und spaßorientierte Menschen zur Trennung neigen.
„Gelegenheit macht Liebe": Dieser altbekannte Sinnspruch wurde vor einem halben Jahr mal wieder in einer Studie bestätigt. Diese hatten zwei Wissenschaftler von der Universität Stockholm, die Soziologin Caroline Uggla und der Demografie-Professor Gunnar Andersson, im Fachmagazin „Biology Letters" veröffentlicht. Nach Auswertung umfangreicher statistischer Registerdaten der dänischen Bevölkerung – genauer gesagt von Männern und Frauen, die zwischen 1981 und 2002 geheiratet hatten – kamen sie zu dem Ergebnis, dass die Scheidungsrate bei denjenigen Menschen besonders hoch ist, die am Arbeitsplatz mit vergleichsweise vielen Kollegen ds anderen Geschlechtes zusammenkommen. Dort also, wo besonders viele potenzielle neue Partner verfügbar sind. In besonderem Maße anfällig für den Reiz des Neuen sind der Studie zufolge gut ausgebildete Männer, während hoch qualifizierte Frauen weniger empfänglich für einen Partnerwechsel im Kollegenkreis sind. Unabhängig von Beruf oder Bildungsgrad konnten die Forscher auch noch aus den Daten ablesen, dass ein höheres Alter bei der Heirat offenbar einen positiven Einfluss auf die Haltbarkeit der Ehe haben kann: Partner, die sich das Eheversprechen erst jenseits des 40. Lebensjahres gaben, hatten demzufolge ein um bis zu 40 Prozent geringeres Scheidungsrisiko als Paare, die zwischen 18 und 22 Jahren jung waren.
Wesentlich überraschender dürfte das Ergebnis einer schon 2016 von der Harvard-Soziologin Alexandra Killewald im Fachmagazin „American Sociological Review" publizierten Studie gewesen sein. Denn auf der Suche nach den Ursachen für die Trennung von 6.300 Paaren war die Forscherin zu der Erkenntnis gekommen, dass sich das Scheidungsrisiko erheblich erhöht, wenn der Mann nicht die gesellschaftliche Klischeerolle des Ernährers ausfüllt, sondern ständig zu Hause ist oder keine volle Arbeitsstelle hat.
Noch verblüffender dürfte sein, dass dieses konservativ-altmodische Rollenklischee-Denken vor allem bei jüngeren Paaren anzutreffen war, während bei den älteren Paaren das Scheidungsrisiko in dem Maße angestiegen war, in dem die Partnerin nicht mehr dem Klischee der Hausfrau gerecht werden wollte. Das Stereotyp des Mannes als Ernährer und Versorger scheint also doch noch immer in den Köpfen vieler Menschen herumzuspuken, auch wenn dank der inzwischen weitgehend selbstverständlichen Berufstätigkeit der Frau die frühere Bedeutung der Ehe als Versorgungsinstitution eigentlich obsolet geworden sein müsste.
Dynamik der Kommunikation spielt zentrale Rolle
Geradezu abenteuerlich mutet sicherlich an, dass renommierte Psychologen weltweit sich damit brüsten, dass sie das Scheidungsrisiko von Paaren ziemlich präzise voraussagen können. John Gottman, so etwas wie der Guru der internationalen Scheidungsforschung, vor seiner Emeritierung Professor für Psychologie an der University of Washington, behauptet, mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit voraussagen zu können, ob sich ein Paar irgendwann trennen wird. Der renommierte Psychologe Guy Bodenmann von der Université de Fribourg in der Schweiz postuliert sogar, dass er mit seinem Prognosemodell eine Trefferquote von 96 Prozent erzielen könne. Der Psychologe Prof. Wolfgang Lutz, Leiter der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Trier, hielt diese Werte zwar für zu hoch, hatte aber in eigenen Studien Raten richtiger Scheidungsvorhersagen zwischen 20 und 40 Prozent erzielen können. „Die Vorhersagegenauigkeit ist zwar geringer als bisher angenommen", so Lutz vor einigen Jahren in einem Beitrag der „Süddeutschen Zeitung", „dennoch sind viele Faktoren empirisch gesichert, die den Verlauf einer Ehe positiv oder negativ beeinflussen."
Der Kommunikationsdynamik wird eine ganz zentrale Bedeutung beigemessen. Laut John Gottman hat das Verhältnis zwischen Lob und Kritik einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Überlebensdauer einer Ehe. Ideal sei es, wenn auf eine kritische Äußerung fünf Komplimente folgten. Auch für Guy Bodenmann spielt die Kommunikation die wesentliche Rolle, weil die Scheidungswahrscheinlichkeit erheblich steige, wenn Paare rücksichtslos miteinander reden, sich regelmäßig gegenseitig provozieren oder ständig destruktive Kritik aneinander üben. Laut Bodenmann sind „heute eindeutige Risikofaktoren für eine negative Entwicklung der Partnerschaft und Scheidung bekannt". Und Bodenmann weiter in einem Artikel aus der „Psychologischen Rundschau": „Entgegen der in der Bevölkerung vertretenen Meinung, dass es sich dabei um Attraktivität, Status und so weiter handelt, zeigt die Forschung, dass vor allem emotionale Labilität (Neurotizismus) und ein Mangel an Kompetenzen bezüglich Kommunikation und Stressbewältigung prädiktive Bedeutung haben." Weitere in Psychologenkreisen allgemein anerkannte Scheidungsrisikofaktoren sind beispielsweise Termindruck, Freizeitstress, Nichtübereinstimmung in Moral- oder Rollenvorstellungen, zu starke Persönlichkeitsunterschiede oder familiäre Altlasten als Abkömmlinge von Scheidungseltern.
Dass auch Charaktereigenschaften entscheidend dafür verantwortlich sind, dass das in freudiger Erwartung gegebene Jawort nicht eingehalten werden kann, hat jüngst auch eine Studie der beiden Soziologen Diederik Boertien und Dimitri Mortelsmann deutlich bewiesen. Die beiden hatten kürzlich ihre aus vergleichenden, in Deutschland, Großbritannien und dem flämischen Teil Belgiens erhobenen Daten gewonnenen Befunde im Fachjournal „Acta Sociologica" veröffentlicht.
Zum besseren Verständnis der Studie soll vorab darauf hingewiesen werden, dass in der Persönlichkeits-Psychologie gemeinhin mit einem Fünf-Faktoren-Modell, den sogenannten Big Five, gearbeitet wird. Demzufolge lassen sich alle Menschen danach einteilen, wie ausgeprägt die fünf Persönlichkeitsmerkmale Offenheit/Aufgeschlossenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Geselligkeit/Extraversion, Verträglichkeit/Empathie (als Gegenteil von Egoismus) und Unsicherheit/Labilität/Neurotizismus bei ihnen sind. Die beiden Forscher konnten nachweisen, dass besonders das Persönlichkeitsmerkmal Extraversion ein hohes Scheidungspotenzial in sich trägt. Sprich: Gesellige und spaßorientierte Menschen neigen demnach eher zur Scheidung als solche mit hohen Werten bei den Merkmalen Verträglichkeit oder Gewissenhaftigkeit. Und auch Menschen mit starker Ausprägung von Unsicherheit/Neurotizismus können demzufolge als besonders scheidungsgefährdet angesehen werden.