Einmal mehr haben sich die Länder gegenüber dem Bund durchgesetzt. Diesmal beim Digitalpakt. Einer will noch mehr: Markus Söder.
Er ist in diesen Tagen sehr zufrieden mit sich. Alles geschafft. Seit beinahe einem Jahr Ministerpräsident, seit zwei Monaten CSU-Chef, und die Tage seines Dauerrivalen Horst Seehofer scheinen nun auch im Bundesinnenministerium gezählt zu sein. So sieht sich Markus Söder nun für seine nächste große Aufgabe gerüstet. Jetzt will er von Bayern aus am besten gleich ganz Deutschland erobern. Sein Werkzeug dazu soll die Ministerpräsidentenkonferenz sein, dessen Vorsitzender Söder wird.
Nicht minder zufrieden ist man auch beinahe 900 Kilometer nördlich in Kiel. Dort freut sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) immer noch über die Einigung zum Digitalpakt für die Schulen. Wobei es Günther weniger um die Schulen als darum geht, dass der Bundesrat die neuen Computer für die Schulen doch noch organisieren konnte. Der Präsident dieser Länderkammer ist (turnusgemäß) nämlich gerade Daniel Günther selbst. Die Digital-Einigung konnten die Länder unter seiner Führung der Bundesregierung abtrotzen. Wieder mal 16 zu 1 im Spiel Länder gegen Bund. Erinnerungen an die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern werden wach.
Machtproben mit dem Bund
Trotz 900 Kilometer räumlicher Distanz eint Daniel Günther und Markus Söder der Ehrgeiz, dem Bund in den nächsten Monaten weiterhin zu zeigen, wo in der Republik der föderale Hammer hängt. Die nächste Machtprobe wird bereits ab Mitte März zu beobachten sein, es geht um die Versteigerung der Lizenzen für den neuen Mobilfunkstandard 5G. Laut Ausschreibung müssen die Mobilfunkbetreiber eine nicht 100-prozentige Abdeckung anbieten.
Dagegen laufen nun die Ländersturm. Sie befürchten, dass es beim zukünftigen 5G-Mobilfunkstandard zu noch größeren Funklöchern in ländlichen Bereichen kommt, als dies ohnehin schon der Fall ist. Folglich fordern sie vom Bund, die 100-Prozent-Abdeckung in die Ausschreibung aufzunehmen. Eine weitere Machtprobe der Länder mit dem Bund. Für Bundesratspräsident Daniel Günther allerdings nur eine Fingerübung im Vergleich zu dem, was dann ab dem Spätsommer auf Bund und Länder zukommt.
Ab dem 1. Januar kommenden Jahres gilt mit dem neuen Finanzausgleich auch für alle Länder verbindlich die Schuldenbremse. Auf dem Papier ist längst alles unter Dach und Fach. Aber Papier ist geduldig. Im Vorfeld sieht es für die Schuldenbremse auf den ersten Blick gar nicht schlecht aus. 14 der 16 Bundesländer haben ihre Haushalte bereits in diesem Jahr ohne neue Schulden aufstellen können, nur Bremen und Schleswig-Holstein leben in diesem Jahr noch über ihre Verhältnisse. Bremen will im kommenden Jahr die Wende schaffen, Schleswig-Holstein braucht wegen des Finanzfiaskos um die HSH Nordbank wohl noch bis 2025. Soweit die Sachlage in diesem Frühjahr.
Doch im Bundesfinanzministerium weiß man um die Zuverlässigkeit dieser Aussichten. Denn mit „normalen" Zinsen bei der EZB hätten vermutlich gerade mal 9 Länder in diesem Jahr einen schuldenfreien Haushalt hinbekommen. Unter anderem dank ungewöhnlich langem Wirtschaftsaufschwung und dauerhafter Niedrigzinsphase waren es eben 14. Beides neigt sich dem Ende zu. Die amerikanische Notenbank erhöht bereits seit dem Spätsommer letzten Jahres ihren Leitzins, die Wirtschaftsprognosen werden nach unten korrigiert. Bundesfinanzminister Olaf Scholz warnte vor vier Wochen plötzlich vor einem Loch im Bundeshaushalt von bis zu 25 Milliarden Euro. Allein der Bund hat im vergangenen Jahr über 30 Milliarden Euro aufgrund der Nullzinsphase eingespart. Steigen ab Mitte des Jahres die Zinsen, kriegen einige Länder ein Problem mit der Schuldenbremse im kommenden Jahr. Vermutlich mindestens fünf von ihnen würden dann die Schuldenbremse nicht einhalten können, so Experten im Bundesfinanzministerium. Das wäre zwar nicht schön, aber der Bund findet das wiederum auch nicht ganz so schlimm, denn dann muss er ja einspringen und helfen, wofür sich Länder wiederum erkenntlich zeigen müssten. An dieser Stelle kommt nun der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ins Spiel.
Mehr Kompetenz für Bundesrat
Der hat bereits Anfang des Jahres gewarnt: „Auf Dauer kann es nicht sein, dass der Bund über die Finanzen den Föderalismus steuert." Ungeniert plädiert er für eine Aufwertung der Länderkammer (Bundesrat), fordert mehr Kompetenzen für die Länder – und kann sich dabei auch einen Föderalismus der zwei Geschwindigkeiten vorstellen. Im Herbst übernimmt nun Bayern von Hamburg den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz; Söder will die Chance nutzen. Wobei der bayerische Ministerpräsident bei seinen Amtskollegen Glaubwürdigkeitsprobleme hat. Bislang gilt Söder im Bundesrat als notorischer Sitzungsverweigerer, der sich vertreten lässt. Im vergangenen Jahr lieferte er ein Glanzstück der besonderen Art, tauchte für genau eine halbe Stunde auf, hinterließ eine Protokollnotiz und ward nicht mehr gesehen. Die anderen 15 saßen da wie begossene Pudel. Die bisherige „Berlin-Enthaltsamkeit" Söders bis zu seiner Wahl zum CSU-Vorsitzenden erklärt sich durch den Bayernmodus: „Mir san mir", also statt sich in der Hauptstadt blicken zu lassen lieber „im schönsten Land der Welt, …" auf „ … die da in Berlin" schimpfen. Nun muss der ehemalige bayerische Heimatminister im Schweinsgalopp auf Deutschlandpolitiker umschulen. Söders größtes Vorbild ist kein geringerer als Franz-Josef Strauß. Wobei Strauß den umgekehrten Weg ging, erstmal in der Bundespolitik „weltberühmt" und dann Ministerpräsident der Bayern werden. Die Ad-hoc-Umschulung zum Deutschlandpolitiker kommt Söder übrigens ganz gelegen. Seine Umfragewerte sind im Keller, mehr als zwei Drittel der Wähler im Freistaat sind mit seiner Arbeit unzufrieden. Sein Kalkül: Haut er in Berlin für das Wohl der Bayern mal so richtig auf den Putz, geht es auch mit den Umfragen hoch. Strauß und später Stoiber haben das jahrelang vorexerziert.
Für Söders „Bundesprojekt" stehen die Vorzeichen eigentlich recht gut. Die derzeitige Stärke der Länder erklärt sich auch aus einer Schwäche im Bund. Von September 2017 bis Ende Februar 2018 schleppten sich die Koalitionsverhandlungen. Und kaum war die dritte GroKo im Amt, zerlegten sich die Schwesterparteien CDU und CSU fast ein halbes Jahr lang in Sachen Flüchtlingspolitik. Dann trat Merkel als CDU-Vorsitzende zurück, in der Folge war die CDU wochenlang mit sich selbst beschäftigt. Gleichzeitig war die SPD bis vor Kurzem noch in ihrer Hartz-IV-Trauma-Therapie beschäftigt.
Die Suche der Volksparteien nach erkennbarem Profil wird begleitet von nur mäßig erfreulichen Umfragen und einem bangen Blick auf die bevorstehenden Europawahlen. Damit einher gehen seit geraumer Zeit Spekulationen, ob die letzte Große Koalition unter Kanzlerin Merkel überhaupt die parlamentarische Sommerpause überlebt. Nicht nur die SPD macht Anstalten, das Regieren mit der Union noch mal zu überdenken. Selbst die neue CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer will nach der Europawahl einen politischen Kassensturz machen. Das Zeitfenster für mögliche Veränderungen öffnet sich zwischen Europawahl im Mai und den drei Landtagswahlen im Osten im Herbst.
Für den zukünftigen Deutschlandpolitiker Markus Söder also ideale Voraussetzungen, wenn er tatsächlich noch mal ans Eingemachte gehen will. Gespielt wird über Bande: Auftakt im Koalitionsausschuss, flankiert vom Vermittlungsausschuss und dann das Finale in der Ministerpräsidentenkonferenz. Ab Oktober unter dem Vorsitzenden Markus Söder.