Beschimpft, bedroht, sogar geschlagen: Wer über die Proteste in Frankreich authentisch berichten will, begibt sich in riskante Situationen. Nicht nur in den Metropolen hat die Aggressivität in den letzten Wochen dramatisch zugenommen.
Seit Beginn der regierungskritischen Gelbwesten-Demonstrationen in Frankreich spüren auch Journalisten zunehmend den Zorn der Bevölkerung. Die französische Nachbarregion Grand Est bildet da keine Ausnahme. „Ich habe mich noch immer nicht von diesem Schock erholt", erzählt Alain Morvan aus Lothringen. Der Reporter der Zeitung „Le Républicain Lorrain" war Mitte Januar von einem Teilnehmer einer Gelbwesten-Demonstration in der Nähe von Saint-Avold krankenhausreif geprügelt worden.
„Ich war zwei, drei Stunden vor Ort, dann wurde ich plötzlich festgehalten", schildert Morvan die Situation. Auslöser sei ein Foto gewesen, das er von der Demo geschossen habe. Plötzlich sei ihn ein Demoteilnehmer angegangen und habe ihn beschimpft, auch andere hätten ihn bedroht. Nach einer hitzigen Diskussion sei der wütende Gelbwesten-Träger „wie eine Bombe" auf ihn losgegangen, es folgten Schläge und ein „sehr brutaler Tritt in den Bauch". Sieben Stunden verbrachte Morvan zur Beobachtung im Krankenhaus, frankreichweit berichteten Medien über den Fall. Der Reporter sieht populistische Politiker von links und rechts in der Mitschuld: „Jean-Luc Mélenchon und Marine Le Pen waren die Ersten, die Journalisten aggressiv kritisiert haben. Dadurch haben sie Gewalt quasi legitimiert."
Populismus von links und rechts
In der jüngsten Vergangenheit wurde eine Vielzahl an Angriffen gegen die Pressefreiheit dokumentiert, auch im Osten Frankreichs. An zwei Tagen rund um den Jahreswechsel haben Gelbwesten versucht, die Druckerei der lothringischen Zeitung „L’Est Républicain" zu blockieren. Bei „L’Est Républicain" und „Le Républicain Lorrain" wurden zuletzt insgesamt 18 Fälle von Beleidigungen und Bedrohungen gegen Reporter gezählt. Ein Auto wurde beschädigt, vier Journalisten wurden mit Gegenständen beworfen, eine Journalistin wurde bestohlen.
Ein Gewerkschafter der südelsässischen Zeitung „L’Alsace" bekräftigt gegenüber FORUM, Pressefeindlichkeit sei für ihn „nichts Neues", so etwas gebe es mindestens seit dem Erstarken des Front National vor 30 Jahren. Ihm sei allerdings aufgefallen: „Der ‚Hass gegen Ausländer‘ weicht zunehmend einem ‚Hass gegen die Eliten‘, zu denen viele auch Journalisten zählen." Ein elsässischer Pressefotograf, auf dessen Auto Gelbwesten geklettert waren, spricht auf Anfrage von „einzelnen Extremisten", die sich friedlichen Demonstranten angeschlossen hätten.
Ähnlich äußert sich auch ein Fotograf aus Lothringen. Nach einer Gelbwesten-Demo wurde ihm von einem Mann die Weiterfahrt verwehrt: „Er drohte mit Gewalt gegen mich und mein Auto." Der Mann zwang den Fotografen, die Speicherkarte seiner Kamera herauszugeben. Der Fotograf erstattete Anzeige. Eine Woche später brachten Gelbwesten den intakten Speicherchip vorbei und entschuldigten sich für den Zwischenfall, der Mann gehöre nicht zu ihnen. Der Fotograf zeigt sich dennoch schockiert: „Wer sich gegen uns richtet, der stellt die Demokratie infrage."
„Wir werden vor allen Dingen beleidigt und bedroht", berichtet die Saint-Avolder Journalistin Olivia Fortin. „Seit dem Aufkommen der Gelbwesten-Bewegung gehen wir generell nur noch zu zweit auf Demonstrationen." Sie würden sich dort auch nicht mehr als Journalisten zu erkennen geben und Fotos nur noch mit Smartphones schießen. Wie viele ihrer Kollegen sieht Fortin einen Zusammenhang zwischen virtueller und echter Gewalt. Zwar gebe es schon länger Menschen, die kein Vertrauen in die Medien mehr hätten, im Internet radikalisierten sich diese aber, beispielsweise durch Falschmeldungen über angeblich gekaufte Journalisten. Es sei schwer dagegen anzukämpfen, so Fortin. Insbesondere in den sozialen Medien machten sich viele noch nicht einmal die Mühe, die Artikel bis zum Ende zu lesen: „Nach der Überschrift und dem Vorspann ist oft Schluss und das bisschen interpretieren sie dann auch noch, wie es ihnen gerade passt."
Ein pädagogisches Werkzeug aus Straßburg soll nun Schüler über Fake News aufklären, die auch viele Experten als mitverantwortlich für die aufgeheizte Stimmung betrachten. Das „Nachrichten-Verschwörungstheorie-Kit" wendet sich an alle, die in Schulen unterrichten. Entstanden ist die Idee im Straßburger Presseclub nach einer Diskussionsrunde über das Pariser Charlie-Hebdo-Attentat. Das Kit besteht zum einen aus Lehrvideos über die Arbeit von Journalisten, zum anderen aus Leitfäden für Lehrkräfte und Übungsbögen für Schüler im Alter von zwölf bis 13 Jahren. Entwickelt wurde es von der Stadt Straßburg gemeinsam mit dem Bildungsministerium.