In der Weinbar „Freundschaft" taten sich die Freunde Willi Schlögl und Johannes Schellhorn mit geballtem Weinverstand zusammen. Küchenchefin Stefanie La fügt den asiatischen Touch auf der Karte hinzu. So entstand der wohl unprätentiöseste und geschmackvollste österreichische Wein-Hotspot der Stadt.
Die „Freundschaft" ist kurvig, hölzern und 26 Meter lang. So lang ist zumindest der Tresen in der Weinbar, der es beinah unmöglich macht, mit seinen Nachbarn kein Wort zu wechseln oder einen Blick auf die Kunst im Raum und die Gäste auf der Gegengeraden zu werfen. Oder auf die Menschen, die im Innenraum herumkreuzen, um Wein auszuschenken und Speisen zu servieren. Kurzum: Die „Freundschaft" ist eine ziemlich gesellige Veranstaltung, in der Österreich und seine Weine, Vinyl und ein bisschen Vietnam geschmacksprägende Rollen spielen. Das hatten die beiden Betreiber Willi Schlögl, ehedem Wirt der „Cordobar", und Johannes Schellhorn, ehedem Sommelier im „Nobelhart & Schmutzig", genau so beabsichtigt, als sie im September 2018 ihr Lokal eröffneten. „Wir wollten keine Restaurant-Atmosphäre haben", sagt Willi Schlögl. Deshalb gibt’s auch keine Reservierungen. „Man kriegt immer noch einen mit ran." An den Tresen, an den großen „Stammtisch" am Eingang oder auf den Sofas gleich hinter den Stufen ins Souterrain.
Doch die Bar ist zweifellos der Eyecatcher. Allein wegen des überdimensionalen roten Kugelschreibers darüber, der sich raketenartig auf die eintretenden Besucher richtet. Ich fühle mich an meinen beruflichen Auftrag erinnert. Lege Block und einen – erheblich kleiner dimensionierten – Stift vor mich auf den Tresen, um zu notieren, was uns an Wein und Speisen erwartet. Erst mal was Prizzelndes – ein „NV Brut Reserve" von Reichsrat von Buhl, den uns Johannes Schellhorn einschenkt. Der Sekt versprüht, seiner „Sparkling"-Natur entsprechend, große Freude. Jahrgangslos – also „non vintage" – und damit alterslos, so wie sich’s für klassische Schönheiten gehört, perlt der Pfälzer Schaumwein mit Pfirsich, Mandarine und ein paar Nüsschen ins Glas.
Die gute Laune nach einem längeren Bürotag ist hergestellt. Sie befällt uns ebenso sehr beim Studium der Speisenseite der Karte. Sie wagen es doch tatsächlich „Für das leibliche Wohl" zu drucken! Was für einen Journalisten direkt aus der Wortstanzen-Hölle entsprungen scheint, hat in der „Freundschaft" gewiss einen bodenständigeren Wirtshaus-Hintergrund. Wer dort isst, soll sich hinterher wohler befinden als vorher. Handfest, unkompliziert und spielfreudig präsentiert sich der einseitige Speisenteil der Karte.
Gäste lieben den Rindfleischsalat
„Vom Anfang bis zum Ende", also von 18 bis 2 Uhr, geht’s mit Brot, Butter, Beinschinken, Presskopfsülze, Leberkäse oder Käse zur Sache. Berliner Essenslokalmatadore wie Maître Philippe et Filles spielen in Sachen Käse-Auswahl oder Beumer und Lutum bei den Handwerksbroten die ihnen gebührende Rolle. Beinschinken kommt von Thum aus Wien und der Leberkäse von Urban aus St. Johann im Pongau. In der „Freundschaft" wird also Wert auf die Produzenten gelegt und genau aufs Produkt geschaut.
Auch für die von 18 bis 23 Uhr gereichten, etwas aufwendigeren Speisen auf der Karte zeichnet Küchenchefin Stefanie La verantwortlich. Sie bringt die österreichisch-vietnamesische Note ein, die sich etwa in einer „Frittaten Pho" und einem Schweinebauch im Bao-Brot manifestiert. Während bei der Pho der Schwerpunkt mit Pfannkuchenstreifen in sanfter Suppe klar auf der österreichischen Seite liegt, sieht das beim krossen Schweinebauch ganz anders aus. „Favorit!", ruft die Begleiterin, kaum dass sie hineingebissen hat. Das Ding stimmt: kross gebratenes Schwein, Süße, Schärfe und ein knackig-süffiger Rotkohl-Slaw in der weißen Fluff-Brötchen-Tasche. „Das einzige Problem ist, dass es an den Zähnen klebt", merkt der italienische Feinschmecker-Fotograf an.
Stimmt. Aber das ist die Natur eines Bao-Buns. Die gedämpften Brötchen führen Wärme, einen Tick Süße und ein bisschen Kleben mit sich. Und wie sie so mit aufgeklappten Mündern auf dem Teller vor uns stehen, schweift die Fantasie in Richtung „Little Shop of Horrors". Wir bremsen ihre Audrey-II-Anwandlungen und essen sie ratzfatz auf.
„Einfaches, gutes Essen" will die Küchenchefin schicken. „Auch die Gäste, die nicht viel zu Hause essen, schätzen das", sagt Stefanie La, die ihre asiatische Handschrift bei Tim Raue zunächst im gleichnamigen Restaurant, dann im „Sra Bua" erprobte und verfeinerte. Das „Einfache" kann auch auf der alpenländischen Seite so verführerisch duften wie die mit Raclette-Käse überbackenen La-Ratte-Kartöffelchen. Je nach Hunger oder Trink-Status eignen sich sämtliche Gerichte als Wein-Begleiter, wenn im Laufe des Abends noch mehr Substanz gefordert ist. Mit Preisen zwischen fünf und 16 Euro geht sich das für die mittelgroßen Portionen im Nebenbei-Bereich ebenso wie bei einer höheren Teller-Anzahl für den größeren Hunger portemonnaieverträglich aus.
Der Rindfleischsalat ist bereits Gäste-Liebling geworden. Frisch geriebener Kren, sprich: Meerrettich, eingelegte Zwiebeln, schicke grüne Kresse und eine Vinaigrette mit Kürbiskernöl und Balsamico-Essig vereinen sich zu einem schmackhaften Kameraden. Denn inzwischen ist auch ein waschechter „Kumarod" von Hans Schwarz im Glas gelandet. „Der beste Kamerad", wie Johannes Schellhorn übersetzt, ist von 2017, ein bisschen anparfümiert, aber ansonsten ein eher herber weißer Gesell aus dem Burgenland.
600 Positionen auf der Weinkarte
So hatte er sich schon an die „Austern Rockefeller" herangeschmeichelt, die uns Stefanie La über den Tresen hinweg dringend zum Probieren empfohlen hatte. Sie tun das mir einzig Richtige, was Austern tun können: Sie tarnen sich unter einer Haube von Spinat und einem Crumble aus Parmesan, Semmelbröseln und Zitronenzesten. Verwandeln ihre Grundtextur durchs Gratinieren in eine mir mundgefälligere, standhaftere Konsistenz. Das Meer ist kompakt erhalten und von einer Vinaigrette mit Pernod, Schalotten und Weißweinessig umfangen. Wir werden zwar nie enge Freunde werden, die Austern und ich. Aber so gehen sie allemal und zwar richtig gut. Und vielleicht werden wir nach ihrem Verzehr nun, rockefellergleich, unermesslich reich? Wenn nicht – auch kein Problem. Überbordender Luxus und augenfällige Dekadenz sind jedenfalls nicht das Programm des Hauses. Dann doch lieber entspanntes österreichisches Understatement. Die Weinkarte umfasst, bei zwei gestandenen Wein-Experten kein Wunder, „um die 600 Positionen", verrät Willi Schlögl. „Da ist viel, was uns gefällt." Die Hälfte davon ist in jedem Fall österreichisch. „Wichtig ist uns, dass wir die Betriebe und ihre Arbeitsweise kennen." Das entspricht auch der Freundschaft, die den Steirer und den Salzburger vereint und der sie mit der Eröffnung und dem Namen ihres Lokals Tribut zollten.
„Wir haben so viel Zeit miteinander verbracht − da haben wir uns gedacht, dann können wir auch miteinander arbeiten", sagt Schlögl. 800 Positionen wären schon schön, „mit ein paar Weinen, die wir uns wünschen würden", ergänzt Johannes Schellhorn. „Ein paar rare Burgunder oder was von der Loire. Oder was Gereiftes. Weine, die man halt nicht immer so sieht." Die können durchaus als einer der immer mal wechselnden zwölf offenen Weine auf der Karte auftauchen, die für sechs bis 19 Euro im 0,1-Liter-Glas ausgeschenkt werden. „Wir achten auf Standards, aber unsere Weine sollen auch etwas Besonderes haben", sagt Schellhorn. „Es soll nur nicht überkompliziert werden und ‚Attitüde‘ bekommen." Gänzlich attitüdenfrei unprätentiös erhalten wir zum Dessert, einer Schwarztee-Crème-Brûlée, einen Ruster Ausbruch von Heidi Schröck. „Jetzt fahren wir mal große Geschütze auf", sagt Schellhorn, als er uns von dem 2006er Süßwein einschenkt. Hallo österreichische Sonne, einmal eingefangen und in Süße konzentriert, wie ein kleiner, sehr gepflegter Löffel Zucker zur Tee-Creme. Passt, macht Spaß und zeigt, wie stimmig das Konzept auch nach hinten raus funktioniert.
Unterm „großen Geschütz", dem roten Riesenkuli, sitzend lassen wir die Wände auf uns wirken: Strickpullover, DDR-Embleme, Dix-artige Zeichnungen, Reminiszenzen an Hirschgeweih und Skihütte: Auch bei der Kunst am Bau hat sich jemand zweifellos viel und mit Hintersinn Gedanken gemacht. Auge und Kopf genießen mit.
Außerdem verfügt die „Freundschaft" über zwei Features, die insbesondere im Sommer das Wiederkommen noch schöner machen werden: eine Eins-a-Lage im Souterrain, im Hinterland von Staatsbibliothek und Dussmann. Da gibt’s in der Bürowüste keine Nachbarn, die sich gestört fühlen könnten, wenn die Fenster geöffnet werden und David Bowie oder The Clash etwas lauter vom Vinyl herausschallen. Zudem ist die Mittelstraße „eine Ost-West-Verbindung", wie Johannes Schellhorn anmerkt. „Da geht die Sonne kerzengerade unter." Spätestens dann sind wir gerne auf einen entspannten Freiluftwein und leibliche Wohlsein-Häppchen zum großen Outdoor-Abendspektakel mit Sonne und Freundschaft wieder da.