Waren, die nicht rechtzeitig an ihr Ziel gelangen, weil plötzlich strengere Zollkontrollen greifen – das ist das Schreckensszenario vieler Logistiker und Spediteure für die Zeit nach dem Brexit. Im englischen Felixstowe sieht man die Situation bis jetzt noch gelassen.
Schon von Weitem sieht man sie in den Himmel ragen, die blaugrauen Kran-Ungetüme, dahinter Reihen um Reihen, Stapel um Stapel von Containern in allen nur erdenklichen Farben. Fast wirkt das wie eine Landschaft aus Legosteinen. Aber erst wenn man sich dem Hafengelände von Felixstowe an der Ostküste Englands nähert, auf dem Wasser oder an Land, dann werden die Ausmaße des gewaltigen Areals deutlich. Riesige Containerschiffe werden im Schichtbetrieb be- oder entladen, die Container teilweise gleich direkt auf die Schiene gebracht, denn jedes Terminal hat einen eigenen Güterbahnhof. Was nicht per Bahn weitertransportiert wird, geht per Lkw Richtung London, Midlands oder in den Norden Großbritanniens.
Pro Jahr 3.000 Schiffe abgefertigt
Felixstowe an der Mündung der Flüsse Orwell und Stour in der Nordsee ist der wichtigste Containerhafen Großbritanniens, 42 Prozent des gesamten britischen Containerhandels werden hier abgewickelt. Jedes Jahr laufen rund 3.000 Schiffe den Hafen an, vier Millionen sogenannte TEU (Twenty Foot Equivalent Unit) werden in Felixstowe verladen. Der Hafen ist einer der wichtigsten Arbeitgeber in der gesamten Region – mit rund 2.500 Beschäftigten. Und in den vergangenen Jahren hat die Hutchison Port Holdings – die Betreibergesellschaft des Port of Felixstowe – es stets verstanden, sich schnell an die neuesten Entwicklungen und Bedürfnisse in der Containerschifffahrt anzupassen. Bei immer neuen Schiffsgenerationen mit mehr Tiefgang musste die Tiefe des Hafenbeckens zumindest in einigen Bereichen angepasst werden – jetzt wirbt der bedeutende ostenglische Hafen damit, dass die Wassertiefe an den neuen Liegeplätzen 18 Meter beträgt, und das trotz Tidenhubs von etwa vier Metern.
Man sei so auf dem aktuellsten Stand, könne die momentan größten Containerschiffe abfertigen, heißt es von der Betreibergesellschaft. Und sieht sich auch anderen britischen Häfen gegenüber – beispielsweise am Ärmelkanal – klar im Vorteil. Die Verkehrsanbindung sei ausgezeichnet. Momentan nutzten 17 Schiffslinien den Hafen und bedienten von hier aus rund 300 Destinationen weltweit. Gerade ist ein neuer Vertrag mit der dänischen Fährgesellschaft DFDS geschlossen worden, so plant man die bisherigen „Roll on, roll off"-Kapazitäten, also das Verladen, um 40 Prozent zu steigern: In einen neuen Fähranleger soll dazu investiert werden, in Sattelzugmaschinen und weitere Parkmöglichkeiten für Lkw. So können diese schneller auf die Fähre, abladen und wieder von der Fähre hinunterrollen.
Bei all den Zukunftsplänen für einen weiteren Ausbau sieht man den drohenden EU-Austritt keinesfalls als Schreckensszenario. Im Gegenteil. Auf der Webseite des Hafens wirbt man unter dem Motto „Prepared for Brexit" („Auf den Brexit vorbereitet") mit staufreien Wegen von und nach Europa. Denn die Routen sowohl von Felixstowe als auch von Harwich International und vom London Thamesport unter anderem nach Holland und Belgien, Deutschland und Polen gehörten zu den kürzesten auf der Nordsee. Somit, heißt es von der Hafen-Betreibergesellschaft, könne man einen reibungslosen Ablauf des Warenverkehrs garantieren – auch nach einem Brexit.
Dennoch rät man Logistikunternehmen, sich möglichst jetzt verwaltungstechnisch auf einen Brexit und komplexere Zollbestimmungen einzustellen. Dazu gehöre auch die Abstimmung mit Zulieferern, damit es später keine unnötigen Verzögerungen gebe.
Hoffen auf „business as usual"
Wie aber sieht es dort aus, wo die Schiffe nach Felixstowe oder zum London Thamesport starten, beispielsweise in Rotterdam? Hier ist das Vereinigte Königreich nach Russland vom Volumen her die zweitwichtigste belieferte Destination – mit etwa 40 Millionen Tonnen an Gütern. Das entspricht 8,5 Prozent des Gesamtumschlags von Rotterdam. Schon vor zwei Jahren hat das niederländische Statistische Amt errechnet, dass ein Brexit die Wirtschaft der Niederlande relativ hart treffen könnte. So rechnet man mit einem Rückgang des Umschlags in den niederländischen Häfen zwischen 2,6 und 4,4 Prozent.
Da nach einem Ausstieg Großbritanniens aus dem europäischen Binnenmarkt Zollabfertigungen erfolgen müssen, stellt man sich auf die Einrichtung solcher Stationen unter anderem im Rotterdamer Hafen ein und geht davon aus, dass zusätzlich knapp 1.000 zusätzliche Mitarbeiter in der Zollkontrolle sowie bei der Lebensmittelbehörde eingestellt werden müssten. Doch die niederländischen Behörden sehen nicht nur Probleme auf Fährterminals und Reedereien zukommen, sondern gehen davon aus, dass sich der Brexit auf die gesamte logistische Kette auswirkt. Scheinbare Kleinigkeiten wie eine nicht vorhandene Zollnummer eines deutschen Verladers könnten die gesamte Transportkette zum Erliegen bringen.
Der Hafen Rotterdam geht momentan nach dem Motto „Das Beste hoffen, sich aber auf das Schlimmste vorbereiten" vor. Und hofft auf einen Handelsvertrag zwischen EU und Vereinigtem Königreich, der einen Übergangszeitraum bis 2020 ermöglicht. Das würde allen Beteiligten einen „Vorlauf" verschaffen, um sich auf geänderte Zollformalitäten und -abläufe, auf Kontrollen bei Lebensmitteln einzustellen. Und wer weiß, so heißt es weiter, womöglich würde in dem Übergangszeitraum ein neuer Handelsvertrag geschlossen, der Klarheit über die Formalitäten nach 2020 gibt. Fast scheint es, als hoffe man darauf, dass es letztlich beim „business as usual" bleibt.