Sie nennt die Schau ihre bis jetzt hochkarätigste Ausstellung – die Fondation Beyeler in Basel. Unter dem Titel „Der junge Picasso" sind Werke zahlreicher Leihgeber vereint. Ein Blick auf die frühe Entwicklung eines Künstlers, der das 20. Jahrhundert mitprägte.
Seitlich sitzt der junge Mann zum Betrachter, hat ihm den Kopf und damit den eindringlichen Blick zugewandt. Ein weißes Hemd, ein orangerotes Tuch, alles mit kraftvollen, geradezu energischen langen Pinselstrichen auf die Leinwand gebracht. Kaum könnte der Kontrast stärker sein zwischen den leuchtenden Farbtönen, die Pablo Picasso für sein Selbstporträt wählte, und dem dunklen Bildhintergrund. „Yo Picasso" – Ich, Picasso: So betitelte er sein im Jahr 1901 entstandenes Werk, das den Auftakt für die große Picasso-Schau in der Baseler Fondation Beyeler darstellt.
„Der junge Picasso – Blaue und Rosa Periode", unter diesem Motto ist dort bis Ende Mai eine hochkarätig besetzte Ausstellung zu sehen, die sich dem Schaffen des Künstlers von 1901 bis 1907 widmet. Bereits im vergangenen Jahr habe es im Pariser Musée d’Orsay eine Schau zum Frühwerk Picassos gegeben, erklärt Christine Burger vom Kuratoren-Team der Fondation. Doch jetzt, bei ihnen in Basel, könne man rund 75 selten ausgeliehene Gemälde und Skulpturen zeigen. Beispielsweise die „Eingeschlafene Trinkerin" aus dem Jahr 1902, die Picassos Blauer Periode zugerechnet wird.
Allein in den angesprochenen sieben Jahren hatte Pablo Picasso, 1881 als Pablo Ruiz Picasso geboren, rund 500 Werke geschaffen, Ölgemälde, Zeichnungen, Skizzen, Skulpturen. Doch viele von ihnen seien fragil, dürften nicht reisen, sagt Christine Burger. Oder sie befänden sich in Privatbesitz. In wessen genau, sei nicht immer geklärt. Umso stolzer ist man bei der Fondation, anhand ausgewählter Werke aus 13 verschiedenen Ländern zeigen zu können, wie sich der Stil Picassos, die Herangehensweise an Sujets, aber auch die Auswahl seiner Motive in nur wenigen Jahren gleich mehrfach änderte.
Zurück aber zu Picassos unglaublich selbstbewusst, fast ein wenig herausfordernd wirkendem Selbstporträt von 1901. Ein Jahr zuvor war der junge Künstler das erste Mal nach Paris gereist – anlässlich der Weltausstellung, auf der er ein Bild präsentieren durfte. Er zog gemeinsam mit seinem Freund Casagemas durch die Museen und Galerien der Metropole, begeisterte sich für die Impressionisten, aber auch für die Plakate Toulouse-Lautrecs. Und für dessen Motive – die Tänzerinnen aus den Revuetheatern wie dem Moulin Rouge, die bunt gemischte Klientel, die man dort antraf zwischen Bürgertum, Boheme und Elendsgestalten. Zurück in Madrid brachte der Maler all das auf die Leinwand. Farbenfrohe Gemälde entstanden, die deutlich den Einfluss van Goghs, aber auch Toulouse-Lautrecs spüren lassen. Wieder zog es Picasso nach Paris, der Kunsthändler Vollard organisierte eine erste Ausstellung mit Werken Picassos. Die Hälfte der ausgestellten Gemälde wurde dabei verkauft. Den finanziellen Durchbruch bedeutete das für den jungen Künstler dennoch keinesfalls. Im Gegenteil – sparsamst musste mit Materialien umgegangen werden, Farben waren rar und Leinwände wurden oft beidseitig bearbeitet – so wie bei der im Fenster-Stil gemalten Absinth-Trinkerin von 1901.
Bittere Armut: Im Ofen landeten statt Kohle Picassos Zeichnungen
Im Januar 1901 war Picasso nach Madrid zurückgekehrt, wo er eine tragische Nachricht erhielt: Sein Freund Casagemas hatte sich aus enttäuschter Liebe zur Tänzerin Germaine Gargallo erschossen. Picasso war tief erschüttert, malte unter dem Eindruck des Verlusts vorwiegend in Blau- und Grautönen, so auch den Freund auf dem Totenbett. Überhaupt waren es jetzt die düsteren Motive, die ihn zu immer neuen Werken anregten. Etwa die Trinkerinnen aus den Kneipen und Varietétheatern – im Gegensatz zu früher keine kraftvollen, Lebenslust versprühenden Gestalten mehr, sondern in sich zusammengesunkene Körper. Frauen, etwa die Inhaftierten in einem Pariser Gefängnis, die in ihren Umschlagtüchern zu versinken scheinen, Bettler, ein Blinder, der sich über einen Tisch mit seinem kargen Essen, einem Laib Brot und einem Krug Wasser, beugt. Auch ein Selbstporträt des Künstlers aus dieser Blauen Periode ist in der Fondation Beyeler ausgestellt – verblüffend, wie verändert er darauf wirkt. Blass, mit eingefallenen Wangen und gebeugter Körperhaltung, in dunkler Kleidung vor fast ebenso düsterem Hintergrund. Doch auch ein erstes Harlekin-Motiv taucht in diesem Jahr auf, fast maskenhaft wirkt das weiß geschminkte Gesicht des Mannes am Cafétisch. Kokett dreht er sich zur Seite, wendet dem Betrachter sein Profil zu. Sein blau-schwarz kariertes Kostüm steht in Kontrast zum blendend weißen Kragen und einer bunten Blumentapete im Hintergrund.
Bis 1904 pendelte Picasso zwischen Barcelona und Paris. Hier lebte er in ärmlichen Verhältnissen, mal in einfachen Hotels, dann bei dem Dichter Max Jacob, der als Gehilfe in einem Modegeschäft etwas hinzuverdiente. Geld hatten beide jungen Künstler kaum – nicht selten wurde der Raum beheizt, indem Zeichnungen Picassos im Ofen landeten. Zum Malen wurde Leuchtpetroleum statt Öl benutzt.
Eine neue Etappe im Leben und Werk Picassos begann 1904, als er endgültig nach Paris umsiedelte und hier ins Atelierhaus Bateau-Lavoir einzog. Das „Waschhaus-Boot" war ursprünglich ein Ballhaus, dann eine Klavierfabrik – und wurde um 1890 zu kleinen Ateliers umgewandelt. Es gab keine Heizung, kein fließend Wasser. Das schon baufällige Haus schien bei Sturm zu schwanken, fast wie ein Boot – daher auch der Spitzname, den der Dichter Max Jacob ihm verpasste. Jacob und Picasso gehörten zu den ersten (später) berühmten Bewohnern des Bateau-Lavoir, schnell aber begannen sich hier regelmäßig auch andere Kreative einzufinden: Schriftsteller, Maler, Bildhauer, aber auch Kunstsammler und -händler. Fernande Olivier, die damalige Lebensgefährtin von Picasso, erinnert sich in „Picasso und seine Freunde" an das Leben im Atelierhaus – und an die Begegnungen unter anderen mit Guillaume Apollinaire, Max Jacob und Henri Rousseau, für den im Atelierhaus ein legendäres Abendessen gegeben wurde. Fernande, die es durch ihren zweiten Ehemann, einen Bildhauer, in die Pariser Künstlerkreise verschlagen hatte, arbeitete als Model und wurde für Picasso zur Muse. „Er hatte nichts Verführerisches, wenn man ihn nicht kannte", heißt es in Fernande Oliviers Erinnerungen über ihre erste Begegnung mit Picasso. „Allerdings, sein seltsam eindringlicher Blick erzwang die Aufmerksamkeit. Dieses innere Feuer, das man in ihm spürte, verlieh ihm eine Art Magnetismus, dem ich nicht widerstand. Und als er mich kennenzulernen wünschte, wollte ich es auch."
Picassos Werke begannen sich nun nach und nach von der blau dominierten Farbpalette zu lösen, Rosa- und Ockertöne traten nach vorn. Und auch die Motive veränderten sich. Bevorzugt ging es Picasso jetzt um Artisten, Gaukler und Harlekine, die wie die zuvor thematisierten Menschen am Rande der Gesellschaft einen antibürgerlichen Lebensentwurf verkörperten. Zur sogenannten Rosa Periode mit ihren Darstellungen aus dem Schausteller- und Zirkusmilieu gehören auch ganze Familienszenen wie die „Akrobatenfamilie mit einem Affen" von 1905, vom Göteborg Konstmuseum an die Fondation Beyeler ausgeliehen.
Das Motiv löst sich auf in geometrische Formen
Seinen ersten großen kommerziellen Erfolg habe Picasso 1906 erlebt, erzählt Christine Burger vom Kuratorenteam der Fondation Beyeler. Der Kunsthändler Ambroise Vollard kaufte ihm rund 20 Werke für etwa 20.000 Francs ab, heute wären das etwa 7.000 Euro. Für Picasso war das ein Vermögen. Er reiste mit Fernande für mehrere Monate ins katalanische Dörfchen Gosol. Und ließ sich hier zu Szenerien inspirieren, bei denen sich klassische und archaische Elemente verbanden, malte Menschen, oft Frauen in idyllischen und ursprünglichen Szenerien, meist in Erd- und Ockertönen gehalten. Nach und nach entwickelte sich so eine neue Bildsprache, die oft imposanten weiblichen Akte stehen in Kontrast zu den eher ätherisch wirkenden Gestalten der Zirkuswelt. Körper werden vereinfacht, erscheinen teilweise geometrisiert. Iberische, aber auch ozeanische Kunst floss ein, das alles bündelt sich in Picassos Meisterwerk von 1907: „Les Demoiselles d’Avignon". Die in der Fondation ausgestellte Frauenfigur aus demselben Jahr ist den „Demoiselles" verwandt, auch sie ist schon fast gänzlich in geometrische Formen zerlegt. Schwungvolle Linien, eine kräftige Farbgebung – Picassos Werk stieß zunächst auf heftige Kritik, wird aber heute als der Grundstein des Kubismus und wegweisend für die Kunst des 20. Jahrhunderts angesehen.
Zum Ausklang der Schau geht es in einen Multimedia-Raum – ein Film mit historischen Aufnahmen lässt noch einmal wichtige Stationen aus Picassos Leben am Besucher vorbeiziehen. Und wer möchte, kann sich in ausgeklügelt gestalteten interaktiven Büchern in die Entstehung einzelner Werke vertiefen.