Der grenzüberschreitende Künstleraustausch „Artmix" findet als binationale Ateliergemeinschaft derzeit in der Saarbrücker Stadtgalerie und anschließend in den Künstlerateliers im luxemburgischen Schloss Bourglinster statt. Die beteiligten Künstler Sarah Niecke und Karen Fritz, beide aus Saarbrücken, sowie der Luxemburger Serge Ecker (von links) berichten von der ersten gemeinsamen Woche.
Der Vortragsraum der Stadtgalerie Saarbrücken wurde vor wenigen Tagen in ein Laboratorium umfunktioniert. Die Stühle sind beiseite geräumt, in einer Ecke stehen drei Schreibtische mit Laptops, auf dem Boden liegen – wie bei einer kriminaltechnischen Untersuchung – verwässerte Fotos zum Trocknen. Daneben sind verrostete Moniereisen auf einer Decke angeordnet. Nein, es gab weder einen Wasserschaden noch ein Gewaltverbrechen in der Stadtgalerie – der grenzüberschreitende Künstleraustausch „Artmix" tagt an diesem Ort.
Er findet in diesem Jahr bereits zum eflten Mal statt und soll Künstlern aus Saarbrücken und Luxemburg eine Begegnungsplattform bieten, neue Wege der Kunstproduktion eröffnen und einen lebendigen Kunst- und Kulturtransfer zwischen Künstlern unterschiedlicher Disziplinen schaffen. Man lebt und arbeitet zusammen und lernt die benachbarte Kunstszene kennen. Im Anschluss an zwei mehrwöchige Aufenthalte in den jeweiligen Städten werden die Ergebnisse in einer gemeinsamen Ausstellung präsentiert.
Gestartet wurde das Projekt 2005 vom Ministère de la Culture in Luxemburg gemeinsam mit dem Kulturdezernat der Landeshauptstadt Saarbrücken. Während die Saarbrücker Atelierräume bis zum Jahr 2014 im Kulturzentrum am Eurobahnhof angesiedelt waren, ist nun die Stadtgalerie zum vierten Mal in Folge Gastgeber. Ähnlich auch die Situation in Luxemburg. Hier residierten die artmix-Künstler zuerst im Kulturhuef Grevenmacher, danach im Konschthaus am Engel, und seit 2014 im Schloss Bourglinster. Das Interesse der luxemburgischen Nachbarn an diesem Projekt scheint etwas eingeschlafen zu sein. Vonseiten der Künstler gab es nur eine einzige Bewerbung, auch die Jury-Zusammensetzung geschah ohne luxemburgische Beteiligung.
Zusammen leben und arbeiten
Die Direktorin der Stadtgalerie Saarbrücken, Andrea Jahn, und ihre Assistentin, Kamila Kolesniczenko, wählten die beteiligten Artmix-Künstler 2019 aus: den 1982 in Esch-sur-Alzette geborenen Luxemburger Serge Ecker und die beiden Saarbrücker Künstlerinnen Karen Fritz (geb. 1988) und Sarah Niecke (geb. 1984). Den Artmix-Regularien entsprechend wurden Künstler mit unterschiedlichen Disziplinen kombiniert. Karen Fritz schloss im letzten Jahr ihr Masterstudium der Freien Kunst an der Hochschule der Bildenden Künste (HBK) in Saarbrücken ab. Die Meisterschülerin von Daniel Hausig beschäftigt sich in ihren Installationen und kinetischen Skulpturen mit Zeit und Raum als dynamischen Prozessen. Sie setzt natürliche Materialien wie Gestein, Sand und Wasser verschiedenen Reaktionen aus, die schließlich auch als Gerüche und Geräusche wahrnehmbar werden. So auch in ihrer Installation „Dynamisch-kontingentes Elemente System", die sie im vorigen Jahr innerhalb der Ausstellung „Licht und Wasser" im Deutsch-Französischen Garten in Saarbrücken zeigte. Mit einer Skulptur aus Metall, Plastik, Wasser und Sonnenlicht wurden Wechselwirkungen der verschiedenen Materialien erzeugt, die somit den Kontext des Ortes veränderten.
Die gelernte Erzieherin Sarah Niecke studiert seit dem Jahr 2015 Freie Kunst, ebenfalls an der HBK, bei den Professoren Eric Lanz und Georg Winter. In ihren Installationen, Fotografien und Videos untersucht sie gesellschaftliche und intellektuelle Abläufe, die sie ihrer alltäglichen Selbstverständlichkeit entzieht. Sie konfrontiert den Betrachter gern mit der Instabilität verschiedener Realitäten. Im Jahr 2018 entstand ihre Videoinstallation „schlandschlund", die –
auf Luftschächten eines Heizungskellers projiziert – eine Endoskopkamera-Aufzeichnung in einer Schleife zeigte. Ergänzt wurde das Video durch einen computergesprochenen Text von Georges Bataille aus der Encyclopedia Acephalica zum Eintrag „Mund".
Komplettiert wird das Artmix-Trio durch den Luxemburger Künstler und 3D-Grafiker Serge Ecker, der in Nizza Filmwissenschaft mit Schwerpunkt 3D-Animation und Special Effects studierte. In 3D-Drucken und digitalen beziehungsweise analogen Fotografien geht er der Frage nach, was von einem Objekt nach seiner digitalen Transformation in der Realität übrig bleibt. Im Jahr 2016 war er Teil eines vierköpfigen, interdisziplinären Teams, das Luxemburg bei der Architektur-Biennale Venedig vertrat, und thematisierte in der Installation „Tracing Transitions" das Thema „Wohnungsnot" im Großherzogtum.
Unterschiedliche Disziplinen
Serge Ecker und Karen Fritz nutzen während der Artmix-Kooperation die Möglichkeit in den Künstlerappartements der Stadtgalerie zu wohnen, Sarah Niecke zog es vor, in ihrer Wohnung in St. Arnual zu bleiben. Tagsüber arbeiten sie gemeinsam in ihrer temporären Ateliergemeinschaft im Vortragsraum der Stadtgalerie. Doch was heißt das, wenn es keinerlei Vorgaben bezüglich Inhalt oder Materialwahl gibt? „Mach’ mal was im weißen Raum – mit Leuten, die du nicht kennst", resümiert Serge Ecker kritisch den ersten Tag. „Jeder bringt seinen Hintergrund ein, wir schaffen eine Plattform, sammeln Ideen, skizzieren, recherchieren und schauen mal, was dabei herauskommt. Wir sitzen hier nicht gegenseitig abgeschirmt an den Laptops und denken, der andere solle bloß nicht abschreiben", fügt Serge Ecker lächelnd hinzu.
Karen Fritz ist froh, dass es hier keinen Zeitstress gibt, dass man sich offen auf Dinge einlassen kann: „Es braucht Luft, Ideen zu entwickeln und um kreativ zu sein, aus dem Alltag rauszukommen, damit sich Dinge auch manifestieren." Das bestätigt auch Sarah Niecke: „Wir müssen uns erst einmal finden und austauschen. Wir kannten uns ja gar nicht. Also haben wir Serge zuerst die Stadt und natürlich die HBK in Saarbrücken und die Handwerkergasse in Völklingen gezeigt". In der Völklinger Innenstadt hat Serge zahlreiche Fotos von leerstehenden Geschäften gemacht. „Dreckige Fenster sind traumhaft. Man fotografiert eine Ebene, aber es liegen noch andere dahinter", begründet Serge seine Faszination für nicht fassbare Zwischenräume.
Den Stadterkundungen in Völklingen und Saarbrücken schloss sich auch ein Ausflug in die Natur an. Am Brennenden Berg in Dudweiler sind sie durch den Wald gestreift, haben Fundstücke gesammelt, und die Überreste eines Bunkers entdeckt. Einige rostige Moniereisen des Bunkers liegen nun wie Trophäen auf einer Decke ausgebreitet. Natürliche Verwitterungen verschiedener Materialien machen den Wald für das Trio so anziehend. „Organisches und anorganisches Material trifft aufeinander. Spannende Prozesse werden ausgelöst, wenn das eine in das andere übergeht", erklärt Karen Fritz. Die Bunkeranlage haben sie nicht nur haptisch erfühlt, sondern mit den Moniereisen auch „bespielt" und damit Töne beziehungsweise Schwingungen erzeugt. „Die Bunkeranlage wird gerade durch ihre Funktionslosigkeit interessant, sie hat etwas Skulpturales und wird als dekonstruierter Raum erlebbar", schwärmt Serge. Sarah Niecke und Karen Fritz haben Plätze und Ecken im Saarland für sich ganz neu entdeckt und mit anderen Augen gesehen, als sie Serge – gewissermaßen als Fremdenführerinnen – begleitet haben. Orte und Nicht-Orte haben es ihnen angetan. Dazu gehört auch eine leerstehende Villa, die sie bei ihren Erkundungen wiederentdeckt haben. Dort fanden sie unter anderem ein Fotoalbum und zahlreiche verwitterte Analogfotografien, die durch Feuchtigkeit mineralische Strukturen auf der Oberfläche ausgebildet haben. Jetzt liegen sie als „Ausbeute" zum Trocknen in der Stadtgalerie. Was damit geschehen soll, ist noch offen.
Ohne Zeitdruck kreativ sein
Im nächsten Schritt werden sie einen quadratischen Körper bauen, um ihre gesammelten Funde sowohl zu ordnen als auch einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Wieviel Potenzial enthalten sie? Wie lassen sich die Fundstücke in eine gemeinsame Installation integrieren, die sowohl die individuelle Arbeitsweise als auch den gemeinschaftlichen Arbeitsprozess reflektiert? Das müssen sie in den kommenden Wochen herausfinden. An die Ausstellung, die ab 11. Juli im Konschthaus Engel in Luxemburg ihre Ergebnisse präsentieren und im Herbst in die Saarländische Galerie nach Berlin wandern wird, denken sie noch nicht. Sie genießen die derzeitige Ateliergemeinschaft, die es ihnen ermöglicht, ohne Zeitdruck kreativ zu sein und gemeinsam ein spannendes Projekt zu entwickeln. Nach der ersten Woche im „Artmix"-Atelier steht ein arbeitsfreier Sonntag mit Kaffee und Kuchen an.