Einfach gute Hausmannskost aus richtig guten Produkten kommt im „Zollpackhof" in Moabit auf den Tisch. Das Wirtshaus mit seinem großen Biergarten ist eine preußisch-bayrische Fusion und prominent gelegen – direkt an der Spree und gegenüber vom Bundeskanzleramt.
Mitten in Berlin im Biergarten sitzen. Das geht, ganz klar. Das Ganze dann aber stilecht unter einer weiß blühenden Rosskastanie, mit urbayrischem Bier im Glas und Blick aufs Bundeskanzleramt – das ist schon eine speziellere Nummer. Mit dem „Zollpackhof" hat es ein bayrisches Wirtshaus mit Biergarten direkt an die Spree, wo sie preußischer und bundesdeutscher kaum sein könnte, verschlagen. Darauf also zu einem frisch gezapften Hellen ein herzlich-granteliges wie universell verständliches „Prost!"
In einem Kleinod von Gebäude aus dem 19. Jahrhundert nehmen wir an diesem regnerischen Vorfrühlingstag allerdings doch lieber unseren Platz im Warmen ein. Nicht ganz am offenen Kamin, aber in dessen Nähe, am Stammtisch. Von dort aus haben wir den großen Gastraum gut im Blick. Und da ist auch schon am späten Nachmittag ordentlich was los – Augustiner-Bier und Brotzeit schmecken zu jeder Tageszeit. Und hey, wo sonst gibt es mitten in Berlin frischen Obazda zu essen? Zwei große Kugeln der bayrischen Käsecreme machen sich’s auf dem mit Landjäger, Leberwurst, Schwarzwälder Schinken, Bergkäse und Schweinebraten üppig bestückten Holzbrett gemütlich miteinander. Für die Aufzählung in einem Satz reicht der Platz nicht aus, denn auch Kringel vom Radi, Gewürzgurken, Griebenschmalz und frischer Meerrettich plus Salat-Deko wollen ihren Platz finden. Die Schnittlauchbrote liegen sicherheitshalber auf einem Extra-Brettl. Auch das Brot, auf dem sich diese Fleischlichkeiten und der Käse einfinden sollen, steht im Korb parat. Halleluja!
Die Menge ist eine Ansage und tatsächlich für zwei Personen gedacht, die am besten Zeit für die eine oder andere Maß mitbringen. „Für jeden eine Kugel Obazda", stellt Benjamin Groenewold, Geschäftsführer und Inhaber vom „Zollpackhof", klar. Die Creme, die aus allem Guten vom Käse und längst nicht mehr aus Reststücken besteht, setzt sich aus zerdrücktem Brie, Camembert, Schmand, Zwiebeln, Kümmel, Paprikapulver und natürlich „der geheimen Geheimzutat", wie Groenwold sagt, zusammen. Der „Angestoßene", der ausschließlich frisch und niemals industriell hergestellt schmeckt, ist mein Highlight. Das helle und dunklere Brot dazu überzeugt durch Frische und Knusperkruste, gerade auch wenn es gut gebuttert und mit Schnittlauchkringeln bestreut daherkommt.
Ganze Wagenräder von Weichkäse werden für die „Angebatzten" täglich frisch verarbeitet, verrät Groenewold. Obazda ist naturgemäß kein Light-Gericht, dafür aber eine prima Unterlage fürs Bier. Das große Brotzeit-Brettl, das für verträgliche 13,50 Euro pro Nase serviert wird, gibt’s aber auch in gemäßigten Ausgaben – als Kleine Brotzeit mit Schinken, Braten, Radi und Gurke für 9,50 Euro. Der Obazda kann auch im Duo bestehen – zu ofenfrischen Brezn für 8,60 Euro. Das soll natürlich nicht heißen, dass ausschließlich Bayrisches auf Teller, Platten und „Brettl" kämen – auf dem „Wurstteller Zollpackhof" leistet Berliner Currywurst Nürnberger Würstl und Pfefferbeißern zu Kartoffelsalat länderübergreifende Gesellschaft.
Lecker frische Hausmannskost
Wir verzichten aufs Probieren der Würste, denn wir wollen noch Platz lassen für Schweinshaxe in Dunkelbiersauce mit Sauerkraut und Kartoffelknödeln sowie für ein Wiener Schnitzel. Ja doch, Wiener Schnitzel – ein Klassiker weltweit und gern mal von Touristen als „typisch deutsch" angesehen. Zu patriotisch soll’s an der Spree, mitten im Regierungsviertel, wahrlich nicht zugehen. Im „Zollpackhof" finden auch Blutwurst mit Sauerkraut, Apfelmus und Kartoffelstampf oder mittags gern ein vegetarisches Curry vom Koch aus Sri Lanka ihren Platz auf der Karte. Demnächst soll außerdem noch mehr Wild aus der Region das herzhafte Angebot bereichern.
Die Gäste lieben die einfache, von Küchendirektor Marcel Scholtun und seinem Team auf den Punkt gebrachte, frische Hausmannskost. Die bis zu 1.000 Plätze in den unterschiedlichsten Räumen im Inneren sind häufig genug gut belegt. Abends ist eine Reservierung angeraten. Kaum lässt sich ein Sonnenstrahl blicken, ist der Biergarten mit den bis zu 2.000 Plätzen an der Spreekante der Anziehungspunkt. „Jeden Abend geht hier der Vorhang auf", sagt Benjamin Groenewold. Ob damit die Action gemeint ist, die größere Gästegruppen im „Augustinerkeller" oder in der luftigen „Festhalle" entfalten oder das allabendliche kleine Fassbier-Anstich-Spektakel, spielt keine Rolle. Der Satz gilt für alles gleichermaßen. Insbesondere die Politik, mit Kanzleramt, Ministerien und Reichstag in der Nähe, oder Gäste aus den nahen Hotels rund um den Hauptbahnhof kommen gern vorbei.
In jedem Fall läutet Barchef Collin Bittroff gegen 18 Uhr die Glocke oberhalb vom Tresen im Gastraum: Fassanstich vom „Augustiner Edelstoff"! Ich habe die Ehre, das erste Glas aus dem Holzfass zu bekommen. Prizzelig und goldgelb im Glas und ein bisschen malzig ist das Stöffchen zu Beginn, hopfig-würziger wird’s etwas später. Gegen die Reste meiner Erkältung hilft’s auch, da bin ich mir sicher. Ich bescheide mich mit einem 0,3er Glas. Aber keine Bange, auch eine richtige Maß ist erhältlich. Die Liter-Krüge sind keineswegs nur folkloristische Ständer für die Brotzeit-Bretter, sondern werden aktiv mit „Edelstoff" oder Hellem gefüllt und für neun Euro oder 8,70 Euro serviert.
Zum „Augustinerwirt" wurde der Urberliner Benjamin Groenewold im Jahr 2013. Er hatte die damalige Kantine vom Zollamt für eine private Party 2004 entdeckt und das Gebäude von 1855 dann kurzerhand selbst übernommen. Uferlage, die Bundesrepublik Deutschland als Eigentümerin, Behörden und Denkmalschutzauflagen – es waren zahlreiche Hürden zu überwinden und grundlegende Sanierungsarbeiten durchzuführen, um dem Haus zu neuer Schönheit zu verhelfen. „Wir haben im laufenden Betrieb gebaut", erzählt Groenwold. Im Sommer war der Biergarten geöffnet, im Winter das Restaurant, weitergebaut wurde immer.
Die Kanzlerin war auch schon da
Im Mai 2005 wurde zum ersten Mal eröffnet; ab 2013 kam Groenewolds Lieblingsbrauerei dazu. „Augustiner-Bräu" engagierte sich im „Zollpackhof" langfristig. Man baute gemeinschaftlich Haus und Biergärten mit traditionellen Handwerksbetrieben aus. Die Firma Feil aus Siegsdorf bei Traunstein fertigte das hölzerne Mobiliar, die Schmiede Schröpfer die großen, jugendstilartigen Kronleuchter. Heraus kam ein dunkel akzentuierter, aber dennoch lichter, einladender und weitläufiger Gastraum. Auch viele der insgesamt 100 Mitarbeiter, darunter derzeit sechs Azubis, sind von Anfang an dabei und hielten, Bauarbeiten hin, Umstände her, dem Betrieb die Treue, erzählt Groenewold.
Im November 2016, nach Abschluss aller Arbeiten, wurde endgültig eröffnet: „Stilecht mit Kutschpferden, Wagen und Bierfässern." Man versteht sich eben, ganz im Sinne der 1328 in München gegründeten Brauerei, als Traditionsbetrieb. „Als Augustinerwirt geht man ganz anders an das Produkt heran", sagt Groenewold. Die hölzernen Bierfässer kommen in speziellen Kühlwagen bei konstant zwei Grad Celsius direkt aus der Münchner Brauerei. Ist ein 30-Liter-Fass erst einmal angestochen, soll es in 60 Minuten, ein 50-Liter-Fass in 100 Minuten geleert sein. Abgestandenes Bier kommt nicht ins Glas. Alle zwei Wochen werden sämtliche Leitungen von den Mitarbeitern selbst gereinigt. Eine spezielle Gläserwaschmaschine mit einer heißen und einer kühlen Strecke, aber wenig Chemie ist im Einsatz. Das dient der Umwelt und dem unverfälschten Bier-Geschmack. Und selbst der Endgegner bekommt keine Chance: „Wir brechen eher das Glas, als dass es mit einem Lippenstift-Rest wieder herausgeht", sagt Groenewold.
An unserem Stammtisch, so richtig mit metallenem Aufsteller ausgestattet, munden uns das Helle und der „Edelstoff" bestens zum Wiener Schnitzel. Ein kleines paniertes Elefantenohr vom Kalb wölbt sich über den ovalen Teller, beinah so, als wolle es den lauwarmen Erdäpfelsalat beschützen. Wir bahnen uns unseren Weg durchs dünn geklopfte und in Butter ausgebratene Fleisch, gabeln den süßsauer angemachten Salat mit seinen Gurkenstückchen. Preiselbeer-Kompott dazu, fertig ist das österreichische und international kompatible Soul Food par excellence, das für 20,50 Euro gereicht wird.
Da wir eine Lücke im Bauch gelassen haben, passt sogar noch ein Apfelstrudel mit Vanilleeis und -sauce hinein. Der Fotograf ist entzückt: „Der beste Apfelstrudel, den ich je gegessen habe." Er ist von außen schön rösch, von innen strudelweich, mit säuerlichem Apfel und spürbarem Zimt gefüllt. Der Apfelstrudel ist wie alle Gerichte, die wir im „Zollpackhof" probierten, einfach richtig gute Hausmannskost aus richtig guten Produkten. Das wissen auch die Gäste von gegenüber und ihre Chefin zu schätzen: „Auf gute Nachbarschaft!" schrieb Angela Merkel unter ihr Konterfei, das wie die aller bisherigen Bundeskanzler gemalt in einer kleinen Galerie über dem Eingang zur Festhalle steht. Und deshalb wird auch bald das 14. „Kanzlerfest" in Folge und mit ihr im „Zollpackhof" gefeiert. „Da ist alles ganz einfach, mit Bratwurst, Nudel- und Kartoffelsalat und natürlich mit Bier", sagt Benjamin Groenewold. Aber für 2.000 Leute auf einmal, und auch das muss man erst einmal schmackhaft und erfolgreich hinbekommen.