Die „Kohlekommission" hat ein 40-Milliarden-Euro-Förderpaket vorgelegt. Die Kommission für Gleichwertige Lebensverhältnisse arbeitet noch. Das Saarland kämpft um angemessene Berücksichtigung.
Es wirkt schon ein Stück weit schizophren. Da beschäftigen sich selbst ausländische Medien mit der Frage, wie sich aus dem kleinen Saarland so viel politisches Spitzenpersonal für die Bundesbühne rekrutiert. Gleichzeitig muss das kleine Land im deutsch-luxemburgisch-französischen Dreiländereck am Rand der Republik darum kämpfen, in Berlin überhaupt „einen Fuß in der Tür" zu haben, wenn es um die Verteilung von immerhin 40 Milliarden Euro für die nächsten 20 Jahre geht. Und dabei ist die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung", im Volksmund als „Kohlekommission" bekannt, die Vorschläge zur Verteilung erarbeitet hat, nicht die einzige Baustelle, an der das Saarland darum kämpfen muss, angemessen berücksichtigt zu werden. Neben dieser „Kohlekommission" hat gleichzeitig eine hochangesiedelte Kommission zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ihre Arbeit aufgenommen. Auf die wiederum setzen vor allem die klammen Kommunen im Land große Erwartungen.
Bezeichnenderweise tauchen im Ringen um Strukturmittel altbekannte Argumente wieder auf, über die auch schon das Bundesverfassungsgericht befunden hat, die aber nie verwirklicht wurden. Bereits im Kampf um die früheren Teilentschuldungen stellten Karlsruher Richter die strukturelle Benachteiligung des Saarlandes fest, die schlicht der Tatsache geschuldet ist, dass das Saarland bekanntlich das erste neue Bundesland war. Zum Zeitpunkt des Beitritts waren alle wichtigen Einrichtungen der Bundesrepublik bereits fein säuberlich verteilt.
Berechtigte Ansprüche weitgehend ignoriert
Die höchsten Richter empfahlen deshalb bereits vor mehr als einem Vierteljahrhundert (1992) unter anderem, bei neuen Bundeseinrichtungen das Saarland besonders im Blick zu haben, auch als Beitrag zum Strukturwandel. Passiert ist nicht nur nichts, sondern das Gegenteil. Die Entwicklung etwa bei Post und Bahn ist bekannt. Nach der großen Wiedervereinigung waren, zunächst nachvollziehbar, alle Blicke auf den Aufbau Ost gerichtet. Dem großen Verständnis zu Beginn folgte immer lauter die Forderung, Fördermittel „nicht nach Himmelsrichtung, sondern nach Bedürftigkeit" zu verteilen. Denn auch wenn nicht überall im Osten die versprochenen „blühenden Landschaften" zu besichtigen sind, ist unübersehbar, dass im Westen mangels ausreichender Investition ganze Landstriche ein tristeres Bild abgeben als in den neuen Bundesländern.
Die jüngste Entscheidung, die neue Cyber-Agentur von Bundesinnenministerium und Bundeswehr in den Raum Leipzig zu vergeben, passt in dieses Bild. „Deutlicher kann eine Absage der Bundesregierung an das Saarland kaum ausfallen", kommentiert der wirtschafts- und finanzpolitische Sprecher der Linken, Jochen Flackus.
Eine Ansiedlung dieser Agentur im Saarland stand übrigens auch auf der Projektliste, die das Saarland bei der „Kohlekommission" eingereicht hat. Dass überhaupt eine saarländische Liste aufgenommen wurde, ist dem Drängen von Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) zu verdanken. In Teilen des Koalitionspartners gab es auch skeptische Stimmen, die vor einer Bittstellerrolle des Landes warnten.
Allerdings hatte sich Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) gemeinsam mit Rehlinger an die Spitze gestellt und in einem Brief an die Kanzlerin sowie an das Wirtschafts- und das Finanzressort Druck gemacht. Schließlich ist das Land erheblich vom geplanten Ausstieg aus der Kohleverstromung betroffen.
Perspektivisch steht auf der Liste des Landes zum Strukturwandel die Förderung einer grenzüberschreitenden Batteriezellenfertigung (in Zusammenarbeit mit Frankreich) sowie des grenzüberschreitenden Testfelds für autonomes Fahren, aber auch die Förderung eines permanenten Co-Working-Spaces im Silicon Valley.
Die Elf-Punkte-Liste des Saarlandes nimmt sich dabei recht bescheiden aus gegenüber den hunderten Punkten der Braunkohle-Länder.
Dilemma der Himmelsrichtung
Parallel haben 18 Bürgermeister ehemaliger saarländischer Bergbaugemeinden vehement in einer gemeinsamen Resolution und einem offenen Brief an die Bundesregierung „Gleichbehandlung" eingefordert. Ihre Verärgerung macht sich alleine am reinen Zahlenverhältnis fest: Während jetzt über 40 Milliarden Euro verhandelt wird, standen zur Flankierung beim Ende des Saar-Steinkohlebergbaus gerade mal gut 100 Millionen zur Verfügung. Ein Verstoß gegen das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse, mahnt die Resolution. CDU-Fraktionschef Alex Funk, ehemals Mitglied im Haushaltsausschuss des Bundestags, sieht in der Liste des Kommissionsberichts aber noch nicht das Ende der Milliarden-Verteilung. Es gehe schließlich um Steuergelder, und da hätten die Haushälter und somit das Parlament das letzte Wort.
Um die vielzitierten gleichwertigen Lebensverhältnisse insbesondere mit Blick auf die Kommunen soll sich die gleichnamige Kommission kümmern, die aus Sicht von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) „Herzstück einer neuen Heimatpolitik" sein soll. Jeder müsse „echte Chancen auf Wohlstand, Zugang zu Bildung, Wohnen, Arbeit, Sport und Infrastruktur" haben, hieß es vollmundig zur Auftaktsitzung vor knapp einem halben Jahr. Sechs Arbeitsgruppen haben sich unterschiedliche Aspekte vorgenommen. Die Saar-Kommunen dürften vor allem auf die mit dem Arbeitsfeld „Kommunalen Altschulden" blicken. Mit der hochverschuldeten Landeshauptstadt Saarbrücken an der Spitze drängt ein „Bündnis für die Würde der Städte" schon lange auf eine Lösung für die Lasten der hochverschuldeten Kommunen. Die Schere auf der kommunale Ebene entwickelt sich seit geraumer Zeit stark auseinander. Auf der einen Seite die, die in einer „Vergeblichkeitsfalle" stecken, weil alle Sparbemühungen von neuen, vom Bund beschlossenen, gesetzlichen (Sozial-)Aufgaben aufgefressen werden und die Verschuldung weiter wächst. Auf der anderen Seite Kommunen, deren Kämmerer, einem Spott zufolge, nachts nicht schlafen könnten, weil sie nicht wüssten, wo sie die überschüssigen Einnahmen sinnvoll anlegen sollten.
Diese Kommission hat sich zumindest offiziell vom Himmelsrichtungsprinzip verabschiedet. Sie will „effektive und sichtbare Schritte" vorschlagen zur Verbesserung in den Regionen „von Ost nach West, von Nord nach Süd". Der Bericht soll bis Sommer dieses Jahres vorliegen. Wie bei der „Kohlekommission" bleibt der, oft unausgesprochene, Argwohn, dass sich bei den Beratungen und Verhandlungen der Blick auf gleich drei ostdeutsche Landtagswahlen im Herbst nicht ausblenden lässt.