Mit Charles Leclerc hat Ferrari-Star Sebastian Vettel einen neuen, knallharten Teamkollegen im Titelkampf. Der 21-jährige Monegasse ersetzt Vettels „Wohlfühlkamerad" Kimi Räikkönen, der zum Schweizer Rennstall Alfa Romeo Racing (früher Sauber) zurückgekehrt ist, in dem Leclerc 2018 als Rookie sein Ausbildungsjahr absolviert hat.
Den deutschen Ferrari-Vizeweltmeister Sebastian Vettel erwartet eine knüppelharte Formel-1-Saison 2019. Experten prophezeien dem Heppenheimer sein schwierigstes Jahr. Schon teamintern muss er sich gegen ein anderes Kaliber als den treuen Helfer Kimi Räikkönen durchsetzen. Ein Jungspund mit Namen Charles Leclerc ist zum Start an diesem Sonntag, 17. März, in Melbourne/Australien (7.10 Uhr live RTL/Sky) in erster Linie der härteste Gegner. „Du musst zuerst deinen Teamkollegen besiegen und im Griff haben", heißt eine der wichtigsten Regeln im internen Konkurrenzkampf. Und dieser interne Konkurrenzkampf wird für Sebastian Vettel eine erste Bewährungsprobe im Kampf um seinen fünften WM-Titel. Es wäre sein erster als Ferrari-Pilot seit seinem Dienstantritt 2015 in dem italienischen Traditions-Rennstall.
Ja, wäre, wenn da nicht ein hoch talentierter Jungspund dem zehn Jahre älteren, viermaligen Weltmeister Sebastian Vettel in die Quere kommen würde. Dieser 21-jährige Monegasse aus der Ferrari-Fahrer-Akademie, in die er 2015 aufgenommen wurde, hat gute Chancen, dem Ziel der Ferrari-Königsfigur schwere Brocken in den Weg zu legen. Der Rookie und Aufsteiger der vergangenen Saison hat bereits klargestellt, dass er nicht vom Sauber-Team zu Ferrari gewechselt ist, um dort den Wasserträger für Vettel zu spielen. „Ich fahre nicht Ferrari, um Vierter zu werden. Ich werde mächtig Gas geben, um so schnell wie möglich mein erstes Rennen zu gewinnen."
Vettel sieht’s noch gelassen. „Die Zeit wird zeigen, wie wir klarkommen werden", so seine Reaktion auf Leclercs forsche Attacke. Das kann also heiter werden. Und die Fans können sich auf einen internen roten Zweikampf der Extraklasse freuen – wie schon lange nicht mehr in einem Teamduell.
Der Heppenheimer geht aber davon aus, „dass wir uns auf der Strecke bekriegen und Rivalen sein werden, genau wie Kimi (Vettels Ex-Teamkollege Räikkönen, Anm. d. Red.) und ich auch. Wir haben immer versucht, Rennen zu gewinnen", sagte Vettel bei der FIA-Gala in St. Petersburg. Noch sieht er seinen neuen Stallgefährten Leclerc als „guten Jungen". Aber wie lange noch? Der 2015 als großer Heilsbringer ins Ferrari-Hauptquartier nach Maranello gekommene „Tedesco" (Deutsche) weiß aber auch, dass das Naturtalent Leclerc die große Chance hat, ihm sogar kurzfristig schon den Rang abzulaufen. „Natürlich wird es anders. Charles ist nicht Kimi, und Kimi ist nicht Charles", stellte Vettel in einem Interview mit dem Portal „Motorsport total" fest. Und ihm ist bewusst, dass es in der neuen Konstellation durchaus mal unbequemer zugehen könnte als mit seinem Wahlschweizer Nachbarn Räikkönen. Der „Wohlfühlkamerad" hat seine Rolle im Team zumeist ohne Widerrede akzeptiert.
Kritik am Viermal-Champion mehrt sich
Vettel und sein handzahmer Teamkollege Räikkönen – das hat gepasst. Beide pflegten in ihrer vierjährigen Ferrari-Zeit ein überaus gutes Verhältnis. Nicht immer normal im Haifischbecken Formel 1, in dem Rivalität der größte Bremsklotz ist. Vettel hatte das Glück, dass sich der wortkarge, schmallippige Finne unter anderem auch bedingungslos in den Dienst des Deutschen stellte, ihm stets loyal ohne Tricks und politische Spiele stets zur Seite stand. Dieses Glück war dem Hessen in seiner Karriere nicht immer beschert. Besonders haften geblieben ist der „Bullenkampf" mit Teamgefährte Mark Webber in der gemeinsamen Zeit der beiden Red-Bull-Rivalen zwischen 2009 und 2013. Und die bitteren Niederlagen gegen „Bullen"-Pilot Daniel Ricciardo, die schließlich zum Ferrari-Wechsel geführt hatten. Und jetzt?
Ein hoch talentierter Nachwuchspilot, dazu noch ein Hausgewächs aus der Ferrari-Talentschmiede gegen den arrivierten Platzhirsch Sebastian Vettel, dem er einheizen soll. Ob das gut geht? Vettels Pleitesaison 2018 scheint Anlass genug, seinen Status als Nummer eins und als Herausforderer von Lewis Hamilton infrage zu stellen. Die Kritik an dem Vierfach-Champion mehrt sich. Die Fehler, die er sich in den vergangenen zwei Jahren neben den strategischen Patzern seines Teams geleistet hat, kratzen zunehmend an seinem Status als unumstrittener Starpilot der Scuderia.
Einen ersten Vorgeschmack auf Talent und Können seines selbstbewussten Teamkollegen bekam Vettel bei den Winter-Tests in Barcelona. Mit einigen Tagesbestzeiten in der ersten und zweiten Testphase hat „Prinz Charles" seinem Ferrari-Rivalen und seinen Formel-1-Kollegen schon mal gezeigt, wo der Hammer hängt. Gleichzeitig hat er damit seine und die Stärke seiner „Roten Göttin" SF 90 demonstriert. Nun darf man aber diese Testfahrten nicht überbewerten, die nicht selten Tarnen und Täuschen der Teams sind. Aufgedeckt werden die Karten erst an diesem Sonntag, oder wie Motorsport-Legende Hans Stuck zum Saisonauftakt zu sagen pflegt: „Erst beim ersten Rennen werden die Hosen runtergelassen."
„Ich will und werde die bestmögliche Arbeit abliefern", verspricht Leclerc. Den Kritikern, die behaupten, sein Aufstieg nach nur einem Formel-1-Jahr in ein Top-Team wie Ferrari käme zu früh, entgegnet Leclerc: „Die Frage habe ich mir selbst nie gestellt. Ich habe die Möglichkeit bekommen, und ich werde sie ganz sicher nutzen." Der WM-13. der vergangenen Saison bekennt frank und frei: „Sollten meine Ergebnisse in dieser Saison nicht genug sein, dann verdiene ich den Platz bei Ferrari auch nicht. Ich weiß, dass mir kein Lehrjahr eingeräumt wird, das habe ich ja bei Sauber hinter mir. Ich muss bei Ferrari jedenfalls sofort Ergebnisse liefern." Das wünscht ihm vor allem sein größter Fan, sein Landsmann Fürst Albert.
Das Top-Talent hofft, dass er von seinem neuen Arbeitgeber nicht eingebremst wird, sprich, er sich nicht einer Stallregie unterordnen muss. Ferrari setzt voll und ganz auf seine Speerspitze und die Karte Sebastian Vettel. „Ich werde aber vom ersten Rennen an voll angreifen", verspricht der „Neu-Italiener". Allerdings macht er diese Ankündigung mit einer Einschränkung: „Falls die Stallregie mich lässt." Er ist sich aber auch bewusst, dass „eine Menge Leute denken, dass jetzt ein mächtiger Druck auf meinen Schultern lastet. Aber das stimmt nicht. Ich besitze eine Mentalität, die alle Belastungen von mir fernhält. Ich kann mich ganz auf mich konzentrieren."
Den Unterschied zwischen Sauber und seinem neuen Team sieht der Jungstar so: „Bei Ferrari erwartet mich das Gleiche wie bei Sauber, nur eine Dimension größer. Da muss ich mehr anpassen als neu lernen."
„Ich weiß, dass mir kein Lehrjahr eingeräumt wird"
Für Leclerc wird es aber nicht leicht, als Nachfolger in die großen Fußstapfen seines Vorgängers Kimi Räikkönen zu treten. Der „Iceman" kann auf eine beeindruckende Karriere mit dem WM-Titel 2007 und 21 Siegen in 292 Grand Prix zurückblicken. Immerhin hat das finnische „Nordlicht" aus Espoo seinem Nachfolger ein paar Tipps für eine optimale Zeit bei der Scuderia gegeben. „Charles soll sich einfach nur auf das konzentrieren, wofür er bezahlt wird – aufs Fahren. Maranello ist ein spezieller Ort. Manchmal ein bisschen durcheinander, aber so war es schon immer. Er tut gut daran, sich aus vielen Dingen rauszuhalten. Er soll einfach nur machen, was ihm aufgetragen wird", so die Empfehlungen des 39-jährigen Alterspräsidenten der aktiven Fahrer gegenüber dem 18 Jahre jüngeren Monegassen. Ex-Mercedes-Pilot Nico Rosberg, Weltmeister von 2016, hat seine eigene Meinung zum Team-Duell Vettel/Leclerc. „Wenn Sebastian fährt wie im vergangenen Jahr, dann ist sein neuer Teamkollege am Ende des Jahres vor ihm. Charles kann richtig gut Auto fahren, das wird ein Riesenspaß für uns alle werden." Der Schweizer Ex-Formel-1-Fahrer und frühere Sky-Experte Marc Surer befürchtet sogar einen Stallkrieg, „weil Leclerc zu den weltweit ganz wenigen Ausnahmekönnern gehört. Seine Chancen im Teamduell stehen bei 50:50." Welche Dynamik Vettel und sein neuer Teamkollege Leclerc zusammen entwickeln werden, wird sich im Laufe dieser Saison zeigen. Leclerc ist für Vettel der siebte Formel-1-Teamkollege (nach Nick Heidfeld, Vitantonio Luizzi, Sebastien Bourdais, Mark Webber, Daniel Ricciardo und Kimi Räikkönen).
Dass Leclerc eine gewisse Dynamik entwickeln kann, bewies er in seinen „Aufbaujahren" mit großem Erfolg. Mit 18 Jahren wurde Jung-Charles Formel-3-Meister, 2017 gewann er mit 19 Jahren in überlegener Manier die Formel 2 und wurde 2018 Stammfahrer im Schweizer Sauber-Team. Am Anfang lief es in der Formel 1 noch etwas holprig, aber in seinem vierten Grand Prix in Baku/Aserbaidschan heimste er mit Platz sechs acht WM-Punkte ein. Es war das beste Ergebnis für Sauber seit 2015 (Felipe Nasr mit Rang sechs in Sotschi). Leclerc war damit zugleich der erste Monegasse seit Louis Chiron 1950, der damals passenderweise auf heimischen Straßen in Monte Carlo einen dritten Rang und somit ebenfalls Punkte in einem Rennen zur Formel-1-Weltmeisterschaft eroberte. Noch ein wenig Statistik: Nach Chiron und Olivier Beretta ist Leclerc erst der dritte monegassische Formel-1-Pilot überhaupt. Und mit 21 Jahren, vier Monaten und 15 Tagen bei seinem Ferrari-Debüt am kommenden Sonntag der zweitjüngste Formel-1-Pilot der Scuderia (nach dem Mexikaner Ricardo Rodriguez mit 19 Jahren, sechs Monaten und 27 Tagen). Aber in seiner zweiten Saison schon in einem Ferrari zu sitzen, das können nicht viele von sich behaupten. Und gleich neben einem viermaligen Champion. Fazit: Das neue Ferrari-Fahrer-Duo Vettel/Leclerc birgt jedenfalls jede Menge Zündstoff und Brisanz.